17.06.2023, Hessen, Bad Vilbel: Die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock spricht auf dem Länderrat der Grünen. Foto: Boris Roessler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Länderrat der Grünen - Annalena Baerbock

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Nach kontroverser Debatte: Grüne einigen sich im Asyl-Streit

Auf ihrem Parteitag ringen die Grünen um ihre Haltung zur umstrittenen Reform des EU-Asylrechts. Außenministerin Baerbock gesteht: "Auch mich hat es zerrissen." Nach harten Diskussionen finden die Delegierten eine gemeinsame Position.

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Die Zustimmung auch ihres eigenen Spitzenpersonals zur geplanten Verschärfung des EU-Asylrechts hat viele Grüne tief empört. Die Delegierten lieferten sich denn auch beim sogenannten Länderrat eine kontroverse Debatte. Mehrere Rednerinnen und Redner kritisierten die Zustimmung der Bundesregierung zum von den Innenministern der Europäischen Union gefundenen Kompromiss - er bedeute eine Verschlechterung der Rechte für Geflüchtete.

Grüne verständigen sich auf gemeinsame Position

Letztlich verständigten sich die Grünen im hessischen Bad Vilbel auf eine gemeinsame Position: Eine klare Mehrheit stimmte für einen Leitantrag der Parteiführung, der jedoch in den Beratungen verschärft worden war. Demnach pochen die Grünen auf deutliche Nachbesserungen bei den künftigen Asylregeln in der EU.

Außenministerin Annalena Baerbock hatte zuvor ihre Zustimmung zum Asyl-Kompromiss verteidigt und versucht, ihre Abwägungen zu erklären. "Auch mich hat es zerrissen", sagte sie. Immerhin habe man nun eine Einigung gefunden, die eine bessere Verteilung von Schutzsuchenden in Europa bedeuten würde. "Wir haben im Vergleich zum Status quo eine kleine Verbesserung", sagte Baerbock. Immerhin sollten nun mehr Geflüchtete von den europäischen Außengrenzen auf andere Länder in Europa verteilt werden.

Asyl-Kompromiss: "Schmerzende" Entscheidung

Die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré wandte sich in einer emotionalen und stark bejubelten Rede gegen die Entscheidung. "Sie schmerzt mich, sie enttäuscht mich", sagte sie. "Es sind Menschen wie meine Familie vor 30 Jahren", sagte sie um Fassung ringend. "Und deshalb ist es für mich persönlich." Tourés Eltern waren nach einem Putsch im westafrikanischen Mali nach Deutschland geflohen. So klare Worte wie sie fanden wenige Kritiker.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte, aktuell sei die Lage in den Staaten an den EU-Außengrenzen ohne Humanität und ohne Ordnung, das müsse sich ändern. Auch Nouripour verwies auf seine eigene Vergangenheit als Flüchtling aus dem Iran. Er appellierte an die Delegierten: "Lasst uns heute streiten, und dann gehen wir zusammen raus, untergehakt und kämpfen für das Richtige!"

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt betonte: "Wir haben alle Vertrauen in unser Führungspersonal." Die Grünen bestimmten derzeit nicht die Debatte. An den europäischen Außengrenzen würden Menschen systematisch entrechtet. Er rief seine Partei darauf auf, stolz zu sein auf ihre Diskussionen und Zweifel. "Wenn man Parteien will, die nicht mehr diskutieren, dann kann man auch gleich nach China gehen."

Der Europaparlamentarier Rasmus Andresen sagte, es sei schmerzlich, dass Familien mit minderjährigen Kindern von den Grenzverfahren nicht ausgenommen werden sollen. "Aus meiner Sicht seid ihr da einen Schritt zu weit gegangen", sagte er an die Adresse der grünen Regierungsmitglieder.

Der Frust der vergangenen Wochen hat sich bei den Grünen an dem Thema Asyl entladen. Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke mit einer Einschätzung.
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Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke mit einer Einschätzung zum Grünen-Parteitag.

Kritiker: Familien mit Kindern nicht in Asyl-Schnellverfahren

Trotz aller Bedenken stellten sich die Delegierten mit deutlicher Mehrheit hinter einen Antrag des Bundesvorstandes, in den zuvor allerdings zahlreiche Änderungen von Kritikern der Entscheidung aus Luxemburg integriert worden waren. Beispielsweise sollen Familien mit Kindern grundsätzlich nicht in Asyl-Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen kommen, und EU-Staaten sollen nicht zur Durchführung solcher Grenzverfahren verpflichtet werden.

"Wir wollen ein effektives Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen und eine verbindliche Verteilung in den Mitgliedsstaaten", heißt es in dem Beschluss weiter. "Das Ergebnis werden wir gemeinsam bewerten. Unsere jeweiligen Positionierungen zu den Rechtsakten werden wir davon abhängig machen, ob unter dem Strich Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen."

Ein weitergehender Antrag der Grünen Jugend, der eine finale deutsche Zustimmung von "substanziellen Verbesserungen" für Betroffene abhängig gemacht hätte, fand keine Mehrheit. Die Nachwuchsorganisation hatte darin unter anderem erklärt, es dürfe keine Verpflichtung zu Außengrenzverfahren geben.

Die EU-Innenminister hatten kürzlich mit deutscher Zustimmung - und damit auch mit Genehmigung von Spitzen-Grünen - Pläne für eine weitreichende Asylreform beschlossen. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen, um illegale Migration zu begrenzen - insbesondere aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Das EU-Parlament wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über die Pläne verhandeln und dürfte noch Änderungen durchsetzen.

Der Parteivorstand und Robert Habeck appellierten an die Delegierten, trotz Gegenwind auf Kurs zu bleiben.
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Der Parteivorstand und Robert Habeck appellierten an die Delegierten, trotz Gegenwind auf Kurs zu bleiben.

Habeck ermutigt Partei: Trotz Gegenwind auf Kurs bleiben

Zu Beginn des Länderrats am Vormittag hatte Wirtschaftsminister Habeck seine Partei dazu aufgerufen, trotz Gegenwind auf Kurs zu bleiben. Beim Klimaschutz habe sich viel getan mit Blick auf den Anteil der Erneuerbaren Energien, dem Ausbau und der Energieeinsparung. Die Grünen dürften sich nicht in eine Nische drängen lassen.

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang warnte vor einem Kulturkampf um ökologische und soziale Themen. In Richtung CDU und CSU sagte sie, wer Thesen der Rechten übernehme, der stärke nur das Original.

Zum Heizungsgesetz, mit dem sich nun der Bundestag befasst, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, es sei normal, dass Menschen sich fragten, wie sie den Umstieg bezahlen könnten. "Wir dürfen das nicht wegreden, wir dürfen das nicht kleinreden." Die Akzeptanz grüner Vorhaben hänge daran, die Bedenken der Menschen ernst zu nehmen.

Mit Informationen von dpa und AFP

Die Grünen mussten zuletzt einige bittere Entscheidungen mittragen und sogar treffen.
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Die Grünen mussten zuletzt einige bittere Entscheidungen mittragen und sogar treffen.

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