Die Statue Justitia in einem Amtsgericht.
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Unparteilichkeit auch gegenüber Verfassungsfeinden? Die Gerichte sind sich uneins.

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Muss die Juristen-Ausbildung auch Rechtsextremen möglich sein?

Der Fall hat für Aufsehen gesorgt: In Sachsen klagt sich ein Verfassungsfeind durch - und darf schließlich zum Juristen ausgebildet werden. Wie es zu dieser Entscheidung kommen konnte und warum sich auch die Gerichte weiterhin nicht einig sind.

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Es ist Januar 2020. Matthias B. hat gerade sein erstes Staatsexamen bestanden. Sein nächster Schritt auf dem Weg zum Volljuristen: Das Referendariat. Die Ausbildung in allen Rechtsgebieten soll die Praxis näherbringen. Zwei Jahre lang lernen die Referendarinnen und Referendare die Arbeit im Zivilrecht, Strafrecht, öffentlichen Recht und schließlich in einer Anwaltskanzlei kennen. Das Referendariat ist Voraussetzung für das zweite Staatsexamen. Erst wenn das bestanden ist, darf Matthias B. Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder sogar Richter werden.

Doch dazu kommt es erst mal nicht: Das Oberlandesgericht Bamberg lehnt die Bewerbung von B. für das Referendariat ab. Denn B. ist Mitglied der rechtsextremen Kleinstpartei "Der III. Weg". Die Partei warnt in ihrem Programm vor der "Überfremdung Deutschlands" und fordert die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes".

Für das Gericht zentral: Die Funktion in der Partei

B. beantragt daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Würzburg, dass der Freistaat Bayern ihm zum Referendariat zulässt. Vor Gericht kommen seine bisherigen Verurteilungen zur Sprache. Er habe unter anderem "auf einem Weinfest den Hitlergruß" gezeigt und "Prost, Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen. Zudem sei er wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden, als er "in szenetypischer Kleidung (T-Shirt mit Bild des Rudolf Hess sowie Reichskriegsflagge)" jemanden mit der Faust schlug.

Seine Mitgliedschaften in rechtsextremen Vereinigungen und Parteien werden ebenfalls thematisiert. Matthias B. habe sich nicht nur in der mittlerweile verbotenen Organisation "Freies Netz Süd" engagiert, sondern sei auch bei Aktivitäten der NPD in Erscheinung getreten. Für das Gericht zentral: In der Partei "Der III. Weg" ist B. "seit 2013 bis zum heutigen Tage nicht nur einfaches Mitglied", sondern habe eine "herausgehobene Funktion innerhalb dieser Partei" und "sich damit in besonderem Maße für die Partei und deren Ziele aktiv einsetzt." Aus diesen Gründen lehnt das Gericht B.s Antrag ab (externer Link).

Gerichte in Thüringen und Sachsen beschäftigen sich mit dem Fall

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München bestätigt: B. darf in Bayern nicht Referendar werden. In der Begründung heißt es, dass B. "aufgrund seiner politischen Vita für den Vorbereitungsdienst ungeeignet" sei. Weiter: "Auch wenn die Partei 'Der III. Weg' nicht verboten ist, kann die Parteimitgliedschaft gleichwohl zu einer negativen Eignungsbeurteilung für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst führen."

Also versucht B. es in Thüringen. Auch dort wird seine Bewerbung für das Referendariat wegen seiner Verfassungsfeindlichkeit abgelehnt. In Sachsen geht B. dann den Weg durch die Instanzen, erhebt schließlich Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Das Gericht entspricht dem Bundesverfassungsgericht auf Landesebene. Dort kommt es zu einer finalen Entscheidung (externer Link): Der sächsische Gerichtshof entscheidet, dass Matthias B. sein Referendariat beginnen darf.

Entscheidend: Artikel 12 des Grundgesetzes

Für die Ausbildung am Oberlandesgericht in Dresden ist Sabine Schönknecht zuständig. Sie erklärt im Gespräch mit dem BR: Das Gericht habe Artikel 12 des Grundgesetzes, also die Berufsfreiheit und die damit verbundene Ausbildungsfreiheit stärker gewichtet: "Das heißt, dass ich Gründe brauche, um jemandem zu sagen: Du darfst aus bestimmten Gründen einen Beruf nicht ergreifen." Wer Referendaren die Ausbildung verweigere, sage: "Mir egal, ob du den Beruf ergreifen darfst. Du wirst ihn nicht ergreifen, weil du die Ausbildung dafür nicht bekommst."

Denn der Staat hat das Ausbildungsmonopol von Juristinnen und Juristen. Egal ob Rechtsanwältin in der freien Wirtschaft oder Richter am Amtsgericht: Die staatliche Ausbildung müssen alle durchlaufen. Wer also nicht zum Referendariat zugelassen wird, kann auch nicht Jurist werden. Damit wäre auch B. der Beruf auf Dauer verwehrt worden – nicht nur im Staatsdienst.

Juristen-Ausbilderin: "Wir haben uns verurteilen lassen"

Allerdings lässt der sächsische Verfassungsgerichtshof Matthias B. sein Referendariat nicht ohne Auflagen beginnen. Was bedeutet das in der Praxis? "Referendare können - sogar ohne, dass jemand daneben steht - bei kleineren Sachen den Staat vertreten", sagt Sabine Schönknecht aus der Ausbildungsabteilung. "Dann treten sie in Robe vor dem Strafgericht auf und vertreten die Staatsanwaltschaft." In dem Moment werde der Staat repräsentiert. "Da haben wir gesagt: Das findet nicht statt."

Schönknecht ist mit diesem Ausgang sichtlich unzufrieden: "Wir haben uns verurteilen lassen. Wir haben uns dagegen gewehrt, jemanden einzustellen, der in unseren Augen nicht hinreichend auf dem Boden der Verfassung stand. Wir haben ihn dann genommen, weil wir dazu verurteilt worden sind."

Warum konnte sich Bayern so erfolgreich gegen die Ausbildung von Matthias B. wehren, während die Justiz in Sachsen B. am Ende recht gab? Und das, obwohl der sächsische Landtag zuvor noch beschlossen hatte, die Zugangsregeln für das Referendariat zu verschärfen? Anlass für diese Gesetzesänderung war der Fall eines vorher bereits verurteilten Referendars, der sich mit Hunderten Neonazis und Hooligans an Krawallen in Leipzig-Connewitz beteiligt hatte. Explizit hielt man nun – im Gegensatz zu Regelungen in anderen Bundesländern – fest, dass eine Ablehnung möglich ist, wenn "die Bewerberin oder der Bewerber die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft."

Ablehnung in Bayern, Zustimmung in Sachsen

Der Fall zeigt, dass sich die Gerichte bei der Abwägung von Berufsfreiheit einerseits und dem Interesse am Schutz der Justiz andererseits offenbar noch nicht einig sind. Die Frage von Verfassungsfeinden in der Juristenausbildung ist damit auch rechtlich nicht abschließend geklärt.

Denn auch in Bayern gibt es Verständnis für die Entscheidung aus Sachsen. Peter Noll ist Vorsitzender Richter am Obersten Landesgericht in München und Mitglied der "Neuen Richtervereinigung". Der Berufsverband für Richterinnen und Richter, der sich als gesellschaftskritisch bezeichnet, beschäftigt sich immer wieder mit der Frage nach einer transparenten und wehrhaften Justiz. Noll macht im Gespräch mit dem BR deutlich: "Die Ausbildung zu verweigern, läuft auf ein lebenslängliches Berufsverbot hinaus." Schließlich könne B. dann auch nicht Anwalt werden. "Und das muss sehr hohe Hürden haben."

Denn der Rechtsstaat müsse aushalten, "dass Menschen auf geistigen Irrwegen sind und wir sie nicht von vornherein in die Ecke stellen und sie ihrer Existenzgrundlage berauben", sagt Noll. "Wir dürfen uns im Kampf gegen die Gegner der Verfassung nicht selbst kaputt machen." Die Freiheit dürfe im Kampf um die Freiheit nicht geopfert werden.

Juristen-Ausbilderin: Überprüfung der Referendare ist nicht gewollt

Wie viel Toleranz muss ein Staat denjenigen gegenüber zeigen, die nicht tolerant sind? Wie weit darf die freie politische Meinungsäußerung gehen, wann muss sie aufhören? Und lassen sich Verfassungsfeinde in der Justiz überhaupt verhindern? Vor Beginn des Referendariats müssen Bewerberinnen und Bewerber ein Führungszeugnis abgeben und ihre Verfassungstreue schriftlich erklären.

Eine weitergehende Überprüfung hingegen findet nicht statt. Das sei weder möglich noch gewollt, erklärt Sabine Schönknecht aus der sächsischen Justiz: "Wir wollen ja kein Staat sein, in dem jeder verdachtslos vom Verfassungsschutz überprüft wird. Das ist etwas, das wir als Rechtsstaat nicht wollen."

Matthias B. hat mittlerweile sein Referendariat beendet. Doch die Frage, wie der Staat mit Verfassungsfeinden in seiner Ausbildung umgehen soll, bleibt aktuell. Derzeit befasst sich das Bundesverwaltungsgericht damit.

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