Wohnhäuser mit Balkons und Grünfläche
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Christian Böhmer

Die Stadt Lörrach will Wohnungen der Wohnbaugesellschaft Lörrach in Flüchtlingsunterkünfte umwandeln.

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#Faktenfuchs: Müssen Mieter für Geflüchtete umziehen?

Im baden-württembergischen Lörrach sollen Mieter für Geflüchtete umziehen. Einige Politiker und Medien sprechen von "Zwangsumzügen" und verbreiten Angst vor Massenkündigungen. Aber Mieter sind rechtlich gut geschützt.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Dieser #Faktenfuchs ist erstmals am 14. April 2023 auf BR24 erschienen. Die Frage, ob Mieter für Geflüchtete umziehen müssen, wird im Netz weiterhin häufig gestellt. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Darum geht’s:

  • Im baden-württembergischen Lörrach sollen 40 Bewohner in andere Wohnungen umziehen, um Platz für etwa 100 Geflüchtete zu machen.
  • Politiker und Medien sprechen von “Zwangsumzug”, bis Ende März 2023 wurden aber noch keine Kündigungen ausgesprochen.
  • Ob generell ein "öffentliches Interesse" als Kündigungsgrund vor Gericht standhalten würde, darüber streiten sich Rechtsexperten - wenn, dann wäre es nur unter sehr hohen Auflagen und nur bei Wohnungen in öffentlicher Hand möglich.
  • Eine Behauptung, im bayerischen Kempten wäre es zu einem ähnlichen Fall gekommen, erweist sich als falsch.

Können Mieter zu einem Umzug gezwungen werden, um Platz für Geflüchtete zu schaffen? Diese Frage sorgt im Frühjahr 2023 bundesweit und parteiübergreifend für Diskussionen. Anlass ist ein Vorfall im baden-württembergischen Lörrach. Einen ähnlichen Fall vermutet ein Youtube-User fälschlicherweise auch im Allgäu.

Lörrach: Wohnbaugesellschaft will Bewohnern kündigen

Im Februar bekommen die Bewohner zweier Mehrfamilienhäuser in Lörrach Post. In dem Brief der städtischen Wohnbaugesellschaft Lörrach an die Anwohner findet sich diese Ankündigung: "Für Sie bedeutet das, dass wir in Kürze das mit Ihnen vereinbarte Mietverhältnis kündigen werden". Der Grund dafür: Die 30 Wohnungen in der Wölblinstraße 21 bis 29 seien besonders geeignet für die Unterbringung von Geflüchteten.

Das Schreiben ist eine Einladung für eine Mieterversammlung, auf der die Wohnbau Lörrach Fragen zu dem Vorhaben beantworten will. Gleichzeitig verspricht sie darin, "alternativen, geeigneten Wohnraum" anzubieten und die Bewohner beim Umzug auch finanziell zu unterstützen. Aber noch bevor es zu dem Treffen kommt, beginnt die öffentliche Debatte und mit ihr die Empörung.

Die Zeitung "Welt" betitelt ein Interview mit dem CDU-Abgeordneten Philipp Amthor mit dem Wort "Zwangsumzug". Auf dem Youtube-Kanal von Julian Reichelt "Achtung, Reichelt!" ist von den "Vertriebenen aus Lörrach" die Rede. Das Video hat inzwischen mehr als 150.000 Aufrufe. In einer aktuellen Stunde im Bundestag spricht der AfD-Abgeordnete Sebastian Münzenmaier ebenfalls von "Zwangsumzug". Der wohnungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg, Miguel Klauß, wird in der rechtskonservativen Wochenzeitung "Junge Freiheit", die als Sprachrohr der "Neuen Rechten" gilt, außerdem mit folgenden Worten zitiert: "Die Lüge, niemand wird etwas weggenommen durch Flüchtlinge, wurde entlarvt. In Zukunft wird einem sogar das Zuhause weggenommen." Eine berechtigte Sorge?

Stadt beabsichtigt einvernehmliche Lösung mit Bewohnern

Bisher (Stand 13.04.2023, A.d.R.) habe man keine Kündigungen ausgesprochen, sagt Thomas Nostadt, der Geschäftsführer der Wohnbau Lörrach, die die Wohnungen in der Wölblinstraße besitzt. Den Brief schätzt Jan Helge Kestel, Fachanwalt für Miet- und Eigentumswohnrecht, im Interview mit dem #Faktenfuchs als rechtlich zulässig ein. "Grundsätzlich ist das Schreiben ja noch keine Kündigung, sondern die Ankündigung einer solchen Kündigung." Ziel sei offenbar, die Mietverträge im Einvernehmen mit den Bewohnern zu beenden, so dass diese freiwillig ausziehen würden, erklärt der Fachanwalt.

So einen Kompromiss habe man in der Vergangenheit an anderen Standorten schon öfter finden können, bestätigt der Bürgermeister der Stadt Lörrach, Jörg Lutz. Und auch Thomas Nostadt von der Wohnbau Lörrach wundert sich über den Streit. In 176 Fällen habe man genauso gehandelt, nie sei es dabei zu einem Gerichtsverfahren gekommen. Mehr als 3.000 Wohnungen bewirtschaftet die Wohnbaugesellschaft. Jedes Jahr würden genug Wohnungen frei, damit auch die Bewohner und Bewohnerinnen der Wölblinstraße nach und nach neue und modernere Wohnungen beziehen könnten.

Behauptungen über angeblichen Fall in Kempten sind falsch

Der Streit schürt nicht nur Ressentiments gegen Geflüchtete, sondern fördert auch Behauptungen, in anderen Städten wäre es ebenfalls zur "Vertreibung" von Mietern gekommen. Unter einem Youtube-Video beschreibt ein User einen angeblichen Fall im bayerischen Kempten. Dort soll die Firma Liebherr mehreren Mietern gekündigt haben, um diese Wohnungen im Anschluss der Stadt für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen.

Auf #Faktenfuchs-Anfrage teilen sowohl die Stadt Kempten als auch die Firma Liebherr mit, dass diese Wohnungen bereits leer standen. Schon 2021 habe das Unternehmen geplant, die Wohnungen abzureißen, und den Mietern deshalb gekündigt. Als die Zahl der Asylbewerber durch den Krieg gegen die Ukraine im vergangenen Jahr weiter anstieg, habe die Stadt deshalb bei der Firma Liebherr nach möglichen Unterkünften angefragt, erklärt Thomas Baier-Regnery, Referent für Soziales der Stadt Kempten, den Sachverhalt. Und auch die Firma Liebherr bestätigt, dass 15 Wohnungen bereits leer standen und das jetzt auch weitestgehend wieder tun. In der zweiten Jahreshälfte 2023 sollen die Abrissarbeiten beginnen.

Wäre eine Kündigung rechtlich zulässig?

Auch wenn man eine Kündigung nach Angaben der Stadt Lörrach vermeiden will: Die Stadt argumentiert, sie könne das Mietverhältnis aus einem „öffentlichen Interesse” heraus kündigen. Doch die vom #Faktenfuchs kontaktierten Rechtsexperten sind sich uneins darüber, ob das tatsächlich auch so durchsetzbar wäre.

Im Gesetzestext kommt diese Formulierung zumindest nicht explizit vor. Grundsätzlich gilt laut Paragraph 573 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass ein Vermieter nur kündigen kann, "wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat." Das liegt laut Gesetzestext insbesondere in drei Fällen vor: Wenn der Mieter seinen Pflichten nicht nachkommt, also zum Beispiel die Miete nicht zahlt, im Falle einer Eigenbedarfskündigung für sich selbst oder Angehörige oder bei einer sogenannten Verwertungskündigung, also wenn der Vermieter Umbaumaßnahmen, Sanierungen oder einen Abriss plant.

Monika Schmid-Balzert, Geschäftsführerin des Deutschen Mieterbundes in Bayern und Anwältin für Mietrecht, hält es dennoch für möglich, dass eine Gemeinde aus öffentlichem Interesse ein Mietverhältnis kündigen könne: "Es könnte zum Beispiel für die Unterbringung von Obdachlosen oder für die Unterbringung von Geflüchteten passieren." Denn das sei eine Aufgabe, zu der die Stadt verpflichtet ist, bestätigt auch Jan Helge Kestel, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Das ergebe sich aus den jeweiligen Polizeigesetzen der Länder. "Das heißt, die Kommune hat für die Unterbringung von Obdachlosen grundsätzlich ein Angebot vorzuhalten."

Trotzdem schätzt Kestel eine Kündigung aus öffentlichem Interesse als schwierig durchsetzbar ein. "Eine Person gegen die andere auszutauschen ist nicht vorgesehen im BGB." Auch der Fachanwalt für Miet- und Eigentumswohnrecht Thomas Pliester sieht die Mieter in so einer Situation im Vorteil. "Die Kommune muss sagen: Ich habe keine Wohnungen, ich kann keine Hotels anmieten, ich habe keine Fläche, ich habe keinen Sportplatz, den ich möglicherweise dazu nutzen kann, um hier mal zehn Container aufzustellen. Das wird schwierig."

In den 1990er Jahren hatte sich eine solche Argumentation allerdings bereits einmal durchgesetzt. Damals wurde einem Mieter in Rosdorf in Niedersachsen gekündigt, um in seiner bisher bewohnten Wohnung zehn Asylbewerber unterbringen zu können. Wie aus einem Urteil des Amtsgericht Göttingen aus dem Jahr 1991 hervorgeht, schaffte es die Gemeinde damals zu beweisen, dass andere Unterbringungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft waren. Auf diesen Fall beziehen sich auch der Bürgermeister von Lörrach, Jörg Lutz, und der Geschäftsführer der Wohnbau Lörrach, Thomas Nostadt, im Interview mit dem #Faktenfuchs.

Interesse des Mieters besonders geschützt

Anwalt Thomas Pliester bezweifelt, dass ein solches Urteil heute noch einmal genauso getroffen werden würde. Er beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Damals kippte es eine Kündigung auf Eigenbedarf und stellte dabei die Interessen des Mieters über das der Vermieterin. Wichtig ist dabei vor allem die Argumentation, die den Artikel 14 des Grundgesetzes in den Vordergrund stellt. Auch, wenn es damals nicht um Asylbewerber ging, sieht das Pliester als eine Stärkung der Mieterrechte. "Artikel 14 ist der Schutz des Eigentums, und das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die Situation des Mieters ist vergleichbar mit der eines Eigentümers." Und das Eigentum hat einen besonders hohen Schutz.

Die Härte der Umstände kann von Vermieterseite aber gemildert werden, sagen sowohl Anwalt Jan Helge Kestel als auch Thomas Pliester. Und zwar dann, wenn man den aktuellen Mietern eine entsprechende neue Wohnung anbietet, die aber keinen großen finanziellen Schaden für die Betroffenen verursacht, also keine extreme Mietsteigerung bedeutet. "Dann könnte möglicherweise auch eine Interessenabwägung zu seinen (A.d.R.: des Mieters) Lasten bei einer Kündigung ausfallen", sagt Pliester. Die Härte der Umstände seien hier im Einzelfall zu beurteilen. Generell gilt also: Es gibt zwei hohe Hürden. Erstmal müsste überhaupt ein öffentliches Interesse nachgewiesen werden und im Anschluss, ob dieses auch über den Interessen des Vermieters steht.

Mieter von Privatwohnungen sind nicht vom öffentlichen Interesse betroffen

Damit überhaupt mit öffentlichem Interesse argumentiert werden könne, müssten die Wohnungen auch in öffentlicher Hand sein, sagt Kestel. Für alle anderen privaten Vermieter bleibt diese Option als Kündigungsgrund allerdings nicht, sie müssten sich auf einen der drei oben genannten Regelfälle in §573 BGB berufen. Ein Eigenbedarf gilt nur für Angehörige des Vermieters oder den Vermieter selbst und fällt deshalb für die Unterbringung von Geflüchteten weg. Bei einem geplanten Abriss oder einer Sanierung muss es dem Mieter gestattet sein, bis zum Startpunkt der Baumaßnahmen in dem Gebäude wohnen zu bleiben.

Auch eine Verwertungskündigung, um dann für kurze Zeit an andere Personen zu vermieten, wäre laut Kestel und Pliester rechtswidrig. Bleibt nur noch die Kündigung, falls der Mieter seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Eine Möglichkeit, die als vorgeschobener Grund im Einzelfall denkbar wäre, im Gesetzestext ist aber klar von "nicht unerheblichen" Verletzungen die Rede. Wer sich hier ungerecht behandelt fühlt, sollte sich rechtliche Beratung suchen, rät Monika Schmid-Balzert vom Deutschen Mieterbund.

Fazit

Dass Mieter künftig häufig ihre Wohnungen an Geflüchtete verlieren, ist laut Mietrechtsexperten sehr unwahrscheinlich. Die Voraussetzungen dafür sind sehr hoch und wären nur für nicht-private Vermieter möglich. Mietrechtsexperten sind sich allerdings nicht einig darüber, ob eine Kündigung zum Zweck der Unterbringung von Geflüchteten im Einzelfall vor Gericht standhalten würde. Beim häufig zitierten Beispiel in Lörrach kann nach Einschätzung der Experten von einem "Zwangsumzug" nicht die Rede sein, ebenso wenig in Kempten, wo ein solcher Vorfall vermutet wurde.

Disclaimer 17.04.2023, 10:50: Der Text wurde stellenweise korrigiert. Im Text war fälschlicherweise von 40 Wohnungen in Lörrach die Rede. Es handelt sich um 40 Bewohner, aber nur um 30 Wohnungen. Ursprünglich hieß es im Text "Mieter", da es sich aber nicht bei allen um Mieter handelt, sondern teils auch um ordnungsrechtlich untergebrachte Personen, haben wir an diesen Stellen "Mieter" durch "Bewohner" ersetzt. Außerdem haben wir den Namen des Bürgermeisters von Lörrach ausgebessert und ergänzt, dass die Wohnbaugesellschaft Lörrach die Wohnungen besitzt.

Disclaimer 14.04.2023, 10:25: Der Teasertext des Artikels wurde sprachlich konkretisiert, um Missverständnissen vorzubeugen.

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