Zerstörte Häuser in Kahramanmaras, Türkei
Bildrechte: REUTERS/Issam Abdallah

Zerstörte Häuser in Kahramanmaras, Türkei

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Mehr als 40.000 Tote nach Erdbeben in der Türkei und Syrien

Eine Woche nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet spricht die WHO von der schwersten Naturkatastrophe in Europa seit einem Jahrhundert. Die Lage der Obdachlosen - darunter viele Kinder - ist dramatisch. Die Seuchengefahr wächst.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

"Wir sind Zeugen der schlimmsten Naturkatastrophe in der WHO-Europa-Region seit einem Jahrhundert", sagte der belgische WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, bei einer Pressekonferenz in Kopenhagen. Zur WHO-Region Europa gehören 53 Länder, darunter die Türkei sowie einige zentralasiatische Länder.

  • Zum Artikel: Spenden: Hilfe für die Menschen in der Türkei und in Syrien

Ähnlich äußerte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der an die letzte "Jahrhundertkatastrophe" in der Türkei erinnerte: 1939 kamen bei dem Erdbeben von Erzincan rund 33.000 Menschen ums Leben.

Türkei: Zwischenbilanz des Schreckens

Beim aktuellen Beben starben allein in der Türkei nach staatlichen Angaben 35.418 Menschen, dazu kommen nach letzter Zählung etwa 5.900 Tote im syrischen Grenzgebiet.

Die Zahl der Verletzten gab Erdogan mit 105.505 an. Mehr als 13.000 Verletzte würden derzeit in Krankenhäusern behandelt. 47.000 Gebäude mit 211.000 Wohnungen seien zerstört oder so stark beschädigt, dass sie abgerissen werden müssten.

Immer noch werden Überlebende geborgen

Die Bergungsarbeiten werden weiter fortgesetzt - auch wenn die Chancen, mehr als eine Woche in Trümmern zu überleben, insbesondere wegen der kalten Temperaturen immer geringer werden.

Gleichwohl gibt es noch vereinzelt Meldungen über die Bergung lebender Verschütteter - so in der Provinz Adiyaman: Hier lag ein 18-jähriger Mann 199 Stunden unter dem Schutt; dann konnten Retter ihn am Dienstag in einer dramatischen Aktion befreien, während das Gebäude über ihnen weiter in sich zusammenfiel. Nach mehr als 200 Stunden wurde eine Lehrerin aus den Trümmern eines Hauses in Antakya gerettet.

Familien schlafen bei eisigen Temperaturen auf den Straßen

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef betonte unterdessen die verzweifelten Lage von Familien mit Kindern sowie von Kindern, deren Eltern bei den Beben ums Leben gekommen sind. Viele von ihnen schliefen "auf der Straße, in Einkaufszentren, Schulen, Moscheen, Busbahnhöfen und unter Brücken" und hielten sich auf offenen Flächen auf, weil sie Angst hätten, nach Hause zu gehen, sagte der Unicef-Sprecher. Die Temperaturen seien beißend kalt, immer mehr Kinder litten an Unterkühlung und Atemwegsinfektionen.

Dazu kommt: Ein Großteil des Wassersystems in der Region ist nicht funktionsfähig - die Schäden am System erhöhen das Risiko einer Verunreinigung. Das türkische Gesundheitsministerium teilte mit, Proben von Dutzenden Stellen des Wassersystems hätten Kontaminationen ergeben.

Unicef: Mindestens sieben Millionen Kinder betroffen

Laut Unicef sind mindestens sieben Millionen Kinder betroffen. Das UN-Kinderhilfswerk erklärte, es fürchte dass "viele Tausend" Kinder durch das Beben am 6. Februar ums Leben gekommen seien. "In der Türkei lebten in den zehn vom Erdbeben betroffenen Provinzen insgesamt 4,6 Millionen Kinder. In Syrien sind 2,5 Millionen Kinder betroffen", sagte Unicef-Sprecher James Elder in Genf. Er verwies auf die weiter steigende Zahl von Todesopfern und sagte, die endgültige Opferzahl werde "unvorstellbar" sein.

WHO-Regionaldirektor: Bedarf ist riesig

Die WHO rief zu umfassender Hilfe für die vielen Erdbebenopfer auf. Der Bedarf sei riesig und wachse mit jeder Stunde. Rund 26 Millionen Menschen in beiden Ländern bräuchten humanitäre Unterstützung. "Jetzt ist die Zeit für die internationale Gemeinschaft, dieselbe Großzügigkeit zu zeigen, die die Türkei im Laufe der Jahre anderen Nationen weltweit gezeigt hat", so der WHO-Regionaldirektor Kluge. Das Land beherberge die größte Flüchtlingsbevölkerung der Erde.

Erleichterung über Grenzöffnungen

Unterdessen herrscht in Syrien Erleichterung über die Öffnung von Grenzübergängen: UN-Generalsekretär António Guterres und verschiedene Hilfsorganisationen lobten die Öffnung von zwei Grenzübergängen von der Türkei nach Nordwest-Syrien. Die Entscheidung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, die Übergänge Bab Al-Salam und Al Ra'ee für einen Zeitraum von zunächst drei Monaten zu öffnen, ermögliche die Lieferung humanitärer Hilfe, erklärte Guterres laut einer in Genf veröffentlichten Mitteilung.

Die Versorgung der Millionen Betroffenen der Erdbeben von Anfang vergangener Woche mit Nahrungsmitteln, Gesundheitsgütern, Unterkünften, Wintervorräten und anderen lebensrettenden Gütern habe äußerste Dringlichkeit.

Die Bevölkerung in den nicht vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten im Nordwesten des Landes wurde von den UN und Hilfsorganisationen bislang hauptsächlich über den an der Grenze zur Türkei gelegenen Übergang Bab al-Hawa versorgt. Grundlage dafür ist eine Resolution des UN-Sicherheitsrates. Russland, enger Verbündeter von Präsident Assad im 2011 begonnenen Bürgerkrieg, hatte immer wieder gegen eine Ausweitung des Mandats Stellung bezogen.

Hilfsgüter im Wert von 8,4 Millionen Euro aus Deutschland

Deutschland stellte für die türkisch-syrische Erdbebenregion bisher Hilfsgüter im Wert von insgesamt gut 8,4 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Türkei belaufe sich der Gesamtwert des deutschen Hilfsmaterials dabei auf 6,9 Millionen Euro, teilte das Bundesinnenministerium mit. Für das Katastrophengebiet in Syrien seien Hilfsleistungen im Wert von gut 1,5 Millionen Euro bereitgestellt worden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dankte deutschen Rettungs- und Bergungsteams, die inzwischen zurückgekehrt sind. "Sie haben alles getan, um Leben zu retten und Verschüttete noch aus den Trümmern zu bergen", erklärte sie. "Es war ein schwerer und gefährlicher Einsatz nach dieser Katastrophe."

Spenden aus der arabischen Welt

Um die Not der Obdachlosen zu mildern, spendet Katar Unterkünfte der Fußballweltmeisterschaft vom vergangenen Jahr. Die Behörden des Golfstaates teilten mit, rund 10.000 mobile Unterkünfte würden zur Verfügung gestellt. 350 davon wurden nach Angaben des Katarischen Entwicklungsfonds bereits am Sonntag verschifft. Katar plante nach eigenen Angaben schon vor der Katastrophe in der Türkei und Syrien, die mobilen Unterkünfte zu spenden. Sie waren angeschafft worden, um einige der 1,4 Millionen Fans unterzubringen, die für die Weltmeisterschaft ins Land strömten.

Am Dienstagmorgen landete zudem ein erster Hilfsflug aus Saudi-Arabien mit 35 Tonnen Lebensmitteln an Bord am Flughafen von Aleppo, der von der syrischen Regierung kontrolliert wird. Saudi-Arabien hat im Rahmen einer öffentlichen Kampagne rund 50 Millionen Dollar für die Türkei und Syrien aufgebracht. Bis Dienstag landeten saudische Flugzeuge ausschließlich in der Türkei, wobei ein Teil der Hilfsgüter auch in den verarmten, von Rebellen kontrollierten Nordwesten Syriens gelangte. Weitere Hilfsflüge kamen unter anderem aus Jordanien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Mit Informationen von AFP, AP, dpa und epd

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