Ein fünfjähriger Junge sitzt an einem roten Tisch und zählt sein gespartes Taschengeld. (Symbolbild)
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Die geplante Kindergrundsicherung gilt als komplex.

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Bleibt die Kindergrundsicherung für immer im Reich der Utopie?

Die geplante Kindergrundsicherung ist komplex: Mit Debatten über immer neue Zahlen zu Kosten und Personalstellen scheint das Projekt in weite Ferne zu rücken. Kann es eine derart einfache und unbürokratische Hilfe für Familien überhaupt geben?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Sarah Schiller ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern: Joleen, zehn Jahre, und Felix, 13 Jahre. Die dreiköpfige Familie Schiller wohnt im niederbayerischen Plattling: "Wir haben da echt Glück mit der Wohnung: Wir zahlen hier nur warm 460 Euro. Aber wenn du dann doch alles alleine stemmen musst, dann ist es halt doch irgendwie viel."

Die 30-Jährige arbeitet Teilzeit in einem Getränkemarkt. Pro Monat verdient sie zwischen 700 und 900 Euro – je nachdem, ob sie noch zusätzlich Schichten übernimmt. Sie ist auf Hilfe vom Staat angewiesen. Ohne Wohngeld und Kinderzuschlag wäre es "schwierig". Welche finanziellen Hilfen ihr zustehen, weiß sie aber nicht genau.

Ziel: Unbürokratischer, einfacher, digitaler

Die Berliner Politik ist weit weg von hier – doch will näher ran an Menschen wie Sarah. Mit der sogenannten Kindergrundsicherung sollen bisherige Hilfen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag zu einer Leistung gebündelt werden und ärmere Familien einen Zusatzbetrag erhalten. Mit der Kindergrundsicherung sollen auch beispielsweise die Unterhaltszahlungen für Kinder künftig nur noch zu 45 Prozent statt wie zuvor vollumfänglich angerechnet werden – es bleibt mehr Geld. Davon könnte auch Sarah profitieren.

Zudem soll die Kindergrundsicherung künftig einfacher, unbürokratischer, digitaler werden: mit einem Antrag und einer Behörde ab 2025. So zumindest der Plan. Bei Sarah Schiller kommt die Idee an, wenn sie an den bisherigen Bürokratiedschungel denkt.

Kindergrundsicherung: Kosten-Chaos und Zahlen-Zoff

In Berlin herrscht hingegen seit über einem Jahr beim Thema Kindergrundsicherung Kosten-Chaos und Zahlen-Zoff: Monatelang wurde über die Finanzierung der Kindergrundsicherung zwischen Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gestritten. Seit vergangenem Jahr hat das Projekt ein Preisschild: 2,4 Milliarden Euro.

5.000 neue Stellen: Vorwurf "Bürokratiemonster"

Es dreht sich viel um Geld und um Zahlen: sowohl bei Sarahs Familie in Bayern als auch in der Berliner Regierung. Hier sorgt eine andere Zahl aktuell für Ärger: 5.000. So viele neue Behördenstellen könnte es für die Kindergrundsicherung brauchen, dabei handelt es sich um eine Prognose der zuständigen Bundesagentur für Arbeit.

Von der FDP hagelt es Kritik: So viel Geld und neue Stellen schafften ein Bürokratiemonster, so der Vorwurf. Die Familienministerin versucht im Fernsehen zu beschwichtigen. Im ZDF-"heute journal" meint Paus: "Momentan sind wir tatsächlich in der Welt der reinen Spekulationen." Aber: Die Kindergrundsicherung schaffe etwas "Zusätzliches" – die Bündelung der Leistungen. Sie lässt offen, ob das bisherige Personal dafür nicht ausreicht und wie viele Stellen es tatsächlich braucht.

Neue Studie Kindergrundsicherung: Lohnt sich arbeiten?

Das Zahlen-Karussell aber dreht sich weiter – öffentlich, im Fernsehen. Finanzminister Lindner verweist in der ARD-Sendung bei Caren Miosga auf ein Gutachten, welches das Familienministerium in Auftrag gegeben hat. Dabei rechnen das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das Ifo-Institut und das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) damit: Vor allem bei Alleinerziehenden könnte der Anreiz zum Arbeiten mit der Kindergrundsicherung sinken. Denn sie würden mit dem Zusatzbetrag für Kinder und mit Unterhaltszahlungen, die nicht mehr voll angerechnet werden, finanziell profitieren.

Bezogen auf die gesamte arbeitende Bevölkerung wird damit gerechnet, "dass 70.000 Menschen nicht mehr arbeiten würden, weil es sich nicht lohnt", so Lindner.

Zukunftsmusik Kindergrundsicherung: Komplex statt nah dran

Und Sarah Schiller in Plattling? Sie würde weiterhin arbeiten gehen, wie sie sagt. Ohnehin: Die Kindergrundsicherung ist Zukunftsmusik. Die Debatten um Zahlen drehen sich weiter – mit einem ungewissen Ausgang. Für die 30-Jährige ist das alles weit weg: "Ich kann das eigentlich gar nicht nachvollziehen." Die Absicht der Politik findet sie zwar gut, die Kindergrundsicherung würde nicht nur ihrer Familie finanziell helfen. Derzeit ist das Vorhaben für Schiller aber abstrakt und komplex statt nah dran.

Ob das Projekt je umgesetzt wird? Diese Frage wirft jetzt eine ehemalige Mitarbeiterin und frühere Referatsleiterin von Familienministerin Paus auf. Im "Tagesspiegel" äußerte Franziska Vollmer ihre Bedenken: "Die Kindergrundsicherung ist die falsche Idee. Ganz einfach, am besten automatisch und zugleich zielgenau, eine solche Leistung kann es nicht geben." Die Juristin war laut Tagesspiegel federführend für die Kindergrundsicherung im Ministerium zuständig.

Im Interview: Bayerns Sozialministerin zur Kindergrundsicherung (08.04.24)

Interview: Bayerns Sozialministerin zur Kindergrundsicherung
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Interview: Bayerns Sozialministerin zur Kindergrundsicherung

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