Kampf gegen Armut: Wer profitiert von der Kindergrundsicherung?
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Kampf gegen Armut: Wer profitiert von der Kindergrundsicherung?

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Kampf gegen Armut: Wer profitiert von der Kindergrundsicherung?

Die Ampel ist sich einig: Die Kindergrundsicherung kommt und bringt Verbesserungen für viele Familien. Kinderschutzverbänden reicht das nicht. Die Opposition spricht von einer Mogelpackung. Wer hat den Streit um die Kindergrundsicherung gewonnen?

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Am Ende ging es offenbar nicht mehr ohne den Bundeskanzler: Olaf Scholz musste die Gespräche zur Kindergrundsicherung begleiten, damit die Bundesregierung zu einer Einigung kommt. Die beiden zuständigen Fachminister Christian Lindner (Finanzen) und Lisa Paus (Familien) verhakten sich im monatelangen Streit ums Geld. Grünen-Ministerin Paus blockierte zuletzt sogar ein Gesetz zur Entlastung der Wirtschaft von FDP-Minister Lindner.

2,4 Milliarden Euro zusätzlich gegen Kinderarmut

Lisa Paus sowie ihre Partei die Grünen wollten mehr Geld für armutsgefährdete Familien und damit Leistungsverbesserungen durchsetzen. Damit sind sie nach dem geeinten Eckpunktepapier, das nun auf dem Tisch liegt, gescheitert – zumindest zum großen Teil.

Paus rang dem Finanzminister 2,4 Milliarden Euro und damit etwas mehr Geld für das Einführungsjahr 2025 ab, als dieser mit zwei Milliarden im Bundeshaushalt bisher eingeplant hatte. Aber die gewünschten Leistungsverbesserungen werden nicht kommen. Deshalb räumt Paus ein: Um Kinderarmut zu vermeiden bzw. sie abzuschaffen, "braucht es einen größeren Impuls", also mehr Geld.

Ampel-Minister präsentieren Einigung als Erfolg

Dennoch versuchen die Familienministerin sowie ihre Kabinettskollegen Lindner und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Einigung bei der Kindergrundsicherung als Erfolg zu präsentieren. Paus spricht von zum Teil "wirklich sehr harten Verhandlungen, um in der Sache zu einem guten Ergebnis zu kommen." Für die Grünen-Politikerin ist dieses Ergebnis die "umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren".

Ministerin Paus: 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien sollen profitieren

Die Kindergrundsicherung werde dafür sorgen, dass in Zukunft mehr Kinder und Jugendliche von den verschiedenen Leistungen profitieren. Dazu werden nun alle bisherigen finanziellen Unterstützungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag zu einer Leistung zusammengefasst.

Dadurch würden laut Paus 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien und ihre Kinder diese Leistungen schneller, einfacher und direkter erhalten. Darunter seien viele Eltern, die Unterstützungsleistungen bisher nicht abgerufen hätten, "weil sie vorher gar nicht wussten, dass ihnen diese Unterstützung zusteht", erklärte die Familienministerin. Künftig soll alles einfacher, digitaler und automatisierter gehen, ergänzt Finanzminister Lindner. Denn auch die bisher komplizierte Antragsstellung sorgte dafür, dass viele Leistungen nicht in Anspruch genommen wurden.

Minister Lindner lehnt mehr Geld für Familien ab

Zusätzliche Hilfen und damit mehr Geld für Familien, die in Armut leben, lehnen Lindner und seine FDP ab. Von dieser Reform dürfe für Familien kein Anreiz ausgehen, sich nicht um Erwerbsarbeit, um Integration, um Sprachkenntnisse zu bemühen. Denn: "Das Beste, um Armut zu überwinden, ist Arbeit", sagt Lindner. "Deshalb haben wir auch keine generellen Leistungserhöhungen verabredet."

Das lässt sich aber auch anders sehen. Denn die Ampel-Minister verständigten sich darauf, das soziokulturelle Existenzminimum neu zu bemessen, das ausschlaggebend für die Höhe des Bürgergelds ist. "In der Folge werden sich die Regelbedarfe im Kinderzusatzbetrag erhöhen", heißt es in dem vorgelegten Papier zur Kindergrundsicherung. Arbeitsminister Heil von der SPD sagt: "Die Regelsätze sollen schneller die Inflation ausgleichen." Auch für alleinerziehende Elternteile soll es Verbesserungen geben, indem Unterhaltszahlungen weniger als bisher angerechnet werden.

Kindergrundsicherung könnte 2028 bei sechs Milliarden Euro liegen

Wie viel Geld die Kindergrundsicherung in den nächsten Jahren wirklich kosten wird, lässt sich derzeit nicht sagen. Die angekündigten 2,4 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr 2025 könnten schon im Jahr 2028 auf rund sechs Milliarden Euro klettern, sagt Lisa Paus – je nachdem, wie viele Familien die Leistungen tatsächlich in Anspruch nehmen. Das heißt, auf Finanzminister Lindner könnten in Zukunft weit höhere Ausgaben zukommen als er und die FDP heute kommunizieren wollen.

Arbeitsminister Hubertus Heil betont allerdings: "Mir ist persönlich egal, ob jemand auszählt, ob die FDP, die Grünen, die SPD gewonnen hat. Am Ende des Tages ist es ein wichtiger Fortschritt im Kampf gegen Kinderarmut in diesem Land." Der SPD-Politiker ist sich sicher, dass die Kindergrundsicherung helfen werde, bessere Lebenschancen für Kinder und Jugendliche zu erreichen.

Verbände und Opposition kritisieren Kindergrundsicherung

Kinderschutzorganisationen, Sozialverbände und Oppositionsparteien sehen das anders. Bei ihnen sorgen die Ampel-Pläne für Kritik. "Das, was die Bundesregierung vorschlägt, ist enttäuschend. Das ist keine Kindergrundsicherung", kritisiert Sabine Andresen, Präsidentin des Kinderschutzbundes. Das Konzept der Ampel sei mutlos und schaffe nicht den erhofften Beitrag, um Kinderarmut zu bekämpfen.

Hauptkritikpunkt: Geld reicht hinten und vorne nicht

Aus Sicht der Linkspartei hat sich Finanzminister Lindner bei den Verhandlungen "auf ganzer Linie durchgesetzt". Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisiert: Mit 2,4 Milliarden Euro könne man Kinderarmut nicht relevant bekämpfen. Ähnlich sieht das Michaela Engelmeier, Verbandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland. "Dieser Kompromiss ist keine echte Antwort auf die grundsätzliche strukturelle Problematik von Kinder- und Familienarmut."

Die stellvertretende CDU-Parteivorsitzende Silvia Breher bezeichnet die Einigung der Ampel als "größte familienpolitische Mogelpackung". Aus den bislang bekannt gewordenen Punkten gehe nicht hervor, wie die Kinderarmut tatsächlich effektiv bekämpft werden könne. Das Papier sei zu vage.

Erleichtert sind die Kritiker lediglich darin, dass überhaupt eine Einigung gefunden wurde und "die lähmende Debatte der Koalition, die zu viel Verunsicherung bei den Menschen geführt hat, ein Ende hat", sagt Engelmeier. Der vorliegende Kompromiss dürfe nur ein Anfang sein. Sie fordert Nachbesserungen.

Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen

Formal gesehen ist das vorgelegte Papier zur Kindergrundsicherung in jedem Fall nur ein Anfang. In den nächsten Schritten wird Familienministerin Lisa Paus der Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen. Fachverbände und Bundesländer werden ihn bewerten. Danach geht das geplante Gesetz in den Bundestag und Bundesrat.

Auf dem noch langen Gesetzgebungsweg wird es viele Einwände und Verbesserungsvorschläge geben. Wie die Kindergrundsicherung dann im Einzelnen aussehen wird, bleibt abzuwarten. Nicht auszuschließen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz im Laufe des Gesetzgebungsverfahren noch mal ran und für Einigung sorgen muss, bis die Kindergrundsicherung 2025 tatsächlich starten soll.

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