Trotz abgeflauter Corona-Epidemie herrschte im vergangenen Winter schon wieder Ausnahmezustand in vielen bayerischen Kinderkliniken. Vor allem für die Zeit zwischen Oktober und Dezember 2022 konstatiert Professor Johannes Liese, Fachbereichsleiter der Kinderklinik an der Universität Würzburg eine "massive Welle an Infektionskrankheiten bei Kindern in allen Altersstufen".
Das, so Liese, habe "jede Klinik - und auch unsere - an die Grenze der Belastbarkeit gebracht". Das heißt: Alle Betten belegt, das Personal überlastet, Kinder mit Atemnot mussten abgewiesen und in Krankenhäuser im Umfeld verlegt werden. In manchen Kliniken wie dem Augsburger Josefinum fanden sich Patienten, die auf eine OP warteten, auf dem Gang wieder.
Eine indirekte Corona-Folge
Im Gespräch mit dem Bayern 2 Notizbuch hat Liese für die Häufung schwerer Fälle zwei Erklärungen, nämlich Nachholeffekte und Doppelinfektionen.
Zum einen seien im Zuge der Corona-Bekämpfung mit AHA-Regeln, Schulschließungen und- Lockdowns die üblichen Infektionswellen im Herbst zwei Jahre lang ausgeblieben und dafür nach Auslaufen der Maßnahmen besonders massiv ausgefallen. Zum anderen habe es zusätzlich zu den überdurchschnittlich vielen viralen Infektionen im Herbst - insbesondere durch das RS-Virus - auch eine Zunahme von bakteriellen Infekten gegeben. Dieser doppelte Angriff auf den Körper kann dann laut Liese zu Lungenentzündungen mit Ergüssen im Lungenfellraum führen, deren Behandlung deutlich länger dauert.
Es ist noch nicht vorbei
Noch, so Professor Liese, ist der normale Basisschutz des Immunsystems bei manchen Menschen nicht vollständig wiederhergestellt - und bei etlichen Kindern noch nicht altersgemäß entwickelt. Der Infektionsspezialist erwartet daher eine weitere belastende Saison für die Krankenhäuser, bevor sich die Lage wieder normalisieren könne. Doch auch dann ist die Lage in den Krankenhäusern nicht zufriedenstellend.
Das Gesundheitssystem ist schlecht auf Wellen vorbereitet
"Wir kommen fast jeden Winter in eine Situation hinein, in der Kliniken und Kinderarztpraxen für drei bis vier Monate stark belastet sind", so Liese. Der Grund: Das Gesundheitssystem sei auf eine mittlere Auslastung ausgerichtet, damit in infektionsarmen Zeiten möglichst wenig Betten leer stehen - und folgerichtig auf die Wellenkämme im Infektionsgeschehen nicht vorbereitet. "Wenn man ein Gesundheitssystem nur auf Wirtschaftlichkeit hin führt, wird man in Spitzenzeiten immer wieder Probleme haben."
Immunisierung: eine schlechte und eine gute Nachricht
Besondere Empfehlungen, wie man das Immunsystem von Kindern stärken kann, will Liese nicht geben. Infektionskrankheiten bei Heranwachsenden könne man nie ganz vermeiden, allenfalls mit dem Risiko von schwereren Verläufen und Parallelschäden aufschieben. Die gute Nachricht: Ein spezielles Training des Immunsystems sei auch nicht nötig, wie der Infektionsexperte mit einem einleuchtenden Sprachbild erklärt:
"Die allermeisten Kinder kommen mit einem guten Immunsystem auf die Welt. Doch das Immunsystem muss genau wie die Kinder selbst 'in die Schule gehen', indem es sich mit Viren auseinandersetzt." Professor Johannes Liese
Dass Kinder Viruserkrankungen durchmachen, sei ein normaler Prozess. Allerdings: "Ein kleiner Teil der Kinder hat Komplikationen. "Die können wir behandeln, dafür gibt es Medikamente. Und wenn wir ein gutes Gesundheitssystem haben, funktioniert das auch."
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