Palästinenser vor zerstörtem Haus im Gazastreifen
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Palästinenser vor zerstörtem Haus im Gazastreifen

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Plünderungen im Gazastreifen: Humanitäre Lage spitzt sich zu

Die humanitäre Lage im Gazastreifen wird immer katastrophaler – Plünderungen deuten auf den Zusammenbruch der zivilen Ordnung hin. Hilfsorganisationen fordern eine sofortige Waffenruhe. Sorgen macht auch die Lage im besetzten Westjordanland.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Während Israel den Militäreinsatz im Krieg gegen die Hamas ausweitet, spitzt sich die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen weiter zu. Tausende Menschen seien in mehrere Lagerhäuser und Verteilungszentren des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in mittleren und südlichen Gebieten des Gazastreifens eingebrochen, teilte UNRWA am Sonntag in Rafah mit.

UNRWA-Direktor: Zivile Ordnung droht, zusammenzubrechen

Vom UNRWA hieß es weiter, dass die Plünderer in Gaza Weizenmehl und andere lebensnotwendige Dinge wie Hygieneartikel an sich genommen hätten. In einem der Lagerhäuser in Deir al-Balah lagere das Hilfswerk Vorräte der humanitären Konvois aus Ägypten. Thomas White, Direktor für UNRWA-Angelegenheiten im Gazastreifen, sagte, die Plünderungen seien "ein besorgniserregendes Zeichen dafür, dass die zivile Ordnung nach drei Wochen Krieg und einer strengen Belagerung des Gazastreifens droht, zusammenzubrechen".

Die Menschen seien verängstigt, frustriert und verzweifelt. Nachdem der Kontakt zu Mitarbeitern wegen des Zusammenbruchs des Telekommunikationsnetzes in Gaza zeitweise unterbrochen war, teilte das UN-Welternährungsprogramm am Sonntag auf X mit, dass sich die Lage zwischenzeitlich wieder verbessert habe.

Im Video: Plünderungen im Gazastreifen

Plünderungen im Gazastreifen: Humanitäre Lage spitzt sich zu
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Plünderungen im Gazastreifen: Humanitäre Lage spitzt sich zu

Guterres ruft erneut zu Waffenstillstand auf

UN-Generalsekretär António Guterres bekräftigte seinen Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand. In Gaza spiele sich eine humanitäre Katastrophe ab, teilte Guterres am Samstag auf X, vormals Twitter, mit. Er forderte eine bedingungslose Freilassung der israelischen Geiseln und die Bereitstellung von Hilfsgütern für Gaza.

Die Zahl der seit Beginn des Krieges mit Israel im Gazastreifen getöteten Menschen ist nach Angaben der Gesundheitsbehörde in dem von der radikal-islamischen Hamas beherrschtem Gebiet derweil auf 8.005 gestiegen. 3.342 davon seien Kinder. Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden. Dem Krieg vorausgegangen war ein Angriff der Terrororganisation Hamas aus dem Gazastreifen am 7. Oktober, bei dem in Israel mehr als 1.400 Menschen getötet und mehr als 220 Menschen als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden.

Nun sind erstmals seit einem Jahrzehnt wieder israelische Panzer im Gazastreifen im Einsatz. Aktuelle Videos der Armee zeigen gepanzerte Fahrzeuge, die im Norden des Küstenstreifens über sandigen Boden rollen. Daneben laufen Soldaten in Schutzausrüstung mit großen Rucksäcken und Sturmgewehren. Nach dreiwöchigen massiven Luftangriffen in dem dicht besiedelten Gebiet spricht Regierungschef Benjamin Netanjahu nun mit Ausweitung der Bodeneinsätze von der "zweiten Phase" des Kriegs. Ziel sei es, die militärischen Fähigkeiten der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen zu zerstören, ihre Herrschaft zu beenden sowie die mindestens 230 Geiseln zurück nach Hause zu bringen.

Im Video: Israel-Gaza-Krieg - die aktuelle Lage

Israelische Panzer im Gazastreifen
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Israelische Panzer im Gazastreifen

WHO und Unicef appellieren: humanitäre Waffenruhe

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich besorgt angesichts von Berichten, dass Israel den palästinensischen Roten Halbmond zur Evakuierung des Al-Kuds-Krankenhauses im Gazastreifen aufgefordert habe. Dies sei "äußerst besorgniserregend", schreibt WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf der Plattform X (vormals Twitter). "Wir bekräftigen - es ist unmöglich, Krankenhäuser voller Patienten zu evakuieren, ohne deren Leben zu gefährden."

Am Samstag beklagten WHO und das UN-Kinderhilfswerk Unicef zudem, dass sie den Kontakt zu Mitarbeitern in Gaza verloren hätten. Auch der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, schrieb am Sonntag auf X, dass die Hilfsorganisation es wieder geschafft habe, Kontakt zu allen Kollegen in Gaza aufzunehmen. Er forderte erneut einen "sofortigen humanitären Waffenstillstand, den Schutz von Gesundheitseinrichtungen und humanitären Helfern". Auch Unicef konnte wieder wenige seiner Mitarbeiter im Gazastreifen kontaktieren, wie die Organisation am Sonntag auf X mitteilte. Das palästinensische Telekommunikationsunternehmen Paltel schrieb am Sonntag auf X, dass Festnetz, Mobilfunk und Internet im Gazastreifen schrittweise wiederhergestellt würden.

1,4 Millionen Binnenflüchtlinge auf wenig Raum

Nach UN-Schätzungen sind innerhalb des Gazastreifens rund 1,4 Millionen Menschen vor der Gewalt geflüchtet. Fast 590.000 von ihnen seien in 150 UNRWA-Notunterkünften untergebracht, hieß es. Die Überbelegung sei ein wachsendes Problem, die durchschnittliche Zahl der Binnenflüchtlinge pro Unterkunft habe das 2,6-Fache der vorgesehenen Kapazität erreicht.

Bei der Versorgung der Menschen gibt es offenbar aber auch einen Lichtblick. Israel will die Lieferung humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen nach eigenen Angaben erleichtern. Elad Goren von der zuständigen Cogat-Behörde sagte Journalisten am Sonntag, Hilfslieferungen sollten in den kommenden Wochen "dramatisch erhöht" werden. Dies geschehe auf Bitten der USA.

Lässt Israel neue Hilfslieferungen zu?

Es sei ein neuer gemeinsamer Mechanismus mit USA, Ägypten und den Vereinten Nationen eingerichtet worden. Hilfslieferungen für Gaza sollten demnach zunächst am Nitzana-Übergang von Israel nach Ägypten geprüft werden. Man habe große Sorgen, dass in den Lastwagen auch Waffen in den Gazastreifen geschafft werden könnten, sagte Goren.

Nach der Kontrolle sollten die Hilfslieferungen über den Rafah-Grenzübergang von Ägypten in den Gazastreifen gebracht und dort den Vereinten Nationen übergeben werden. Diese Lieferungen seien nur für den südlichen Abschnitt des Gazastreifens bestimmt. Goren sprach von einer "humanitären Zone" im Bereich von Chan Junis.

Karte: Übersicht Israel und angrenzende Länder

Über hundert tote Palästinenser im Westjordanland seit 7. Oktober

Die Welt schaut auf den Krieg in Israel und Gaza, doch auch die Situation im Westjordanland bleibt angespannt. Dort wurde erneut ein Palästinenser getötet. Dieser war nach Angaben seines Onkels bei der Olivenernte von einem israelischen Siedler erschossen worden. Sein Neffe habe am Samstag im Dorf Sawija gemeinsam mit dessen Frau und den vier Kindern gearbeitet, als eine Gruppe Siedler angegriffen habe, sagte Tajsir Mahmud am Sonntag. Der Siedleranführer Jossi Dagan teilte in einem Video bei Facebook mit, dass der Siedler aus Notwehr geschossen habe.

Der Siedler sei mit Familienmitgliedern unterwegs gewesen. Sie seien "von Dutzenden randalierenden Hamas-Unterstützern mit Steinen angegriffen" worden, sagte Dagan. Das israelische Militär teilte mit, ihm sei eine "gewaltsame Konfrontation" zwischen Palästinensern und israelischen Zivilisten gemeldet worden, bei der angeblich ein Palästinenser getötet worden sei. Die Polizei habe Ermittlungen eingeleitet.

Sullivan: "Gewalt jüdischer Siedler im besetzten Westjordanland unannehmbar"

Damit starben seit Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel am 7. Oktober im Westjordanland mehr als 110 Palästinenser sowie ein Israeli. Die Situation im seit 1967 von Israel besetzten Westjordanland war jedoch schon vorher angespannt. Es gab regelmäßig Razzien der israelischen Armee und zunehmend auch Angriffe jüdischer Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung.

Der Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan, ermahnt die israelische Regierung mit Blick auf den Militäreinsatz im Gazastreifen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um zwischen Zivilisten und Terroristen zu unterscheiden. Im Sender CNN erklärt er zudem, die Gewalt jüdischer Siedler im besetzten Westjordanland gegen unschuldige Einwohner sei vollkommen unannehmbar. Aus Sicht der USA habe Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Verantwortung, gegen extremistische Siedler vorzugehen.

Aus Gründen der "staatlichen und öffentlichen Sicherheit" haben israelische Behörden laut Medienberichten einen prominenten jüdischen Siedler-Aktivisten vorläufig festgenommen. Der Israeli Ariel Danino wurde in der Nacht zum Samstag von Einheiten der Grenzpolizei und des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet nahe einer illegalen jüdischen Siedlung im Westjordanland festgenommen, wie die Tageszeitung "Times of Israel" am Sonntag mitteilte. Danino und andere Siedler-Aktivisten stehen demnach im Verdacht, in den vergangenen Jahren mehrere Angriffe auf Palästinenser begangen zu haben.

Mit Informationen von epd, dpa, AFP und Reuters

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