16.02.2024, Bayern, München: Julia Nawalnaja, Ehefrau von Alexej Nawalny, nimmt an der Sicherheitskonferenz teil.
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Julija Nawalnaja hielt die wohl bewegendste Rede auf der Sicherheitskonferenz.

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Diese Frauen haben die Sicherheitskonferenz geprägt

Julija Nawalnaja hielt die wohl bewegendste Rede, die estländische Premierministerin Kaja Kallas gab sich gelassen, obwohl Putin sie gerade zur Fahndung ausgeschrieben hat. Über fünf Frauen, die auf der Sicherheitskonferenz dieses Jahr wichtig waren.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Die Münchner Sicherheitskonferenz hat den Ruf, sehr männlich geprägt zu sein – und dieses Klischee wurde sie auch in den letzten Jahren nur langsam los. Schuld war auch ein Foto vom Rande der Veranstaltung, das 2022 viral ging. Zu sehen: Eine fein gedeckte Tafel im obersten Stock des Bayerischen Hofs, an der etwa 30 Männer in dunklen Anzügen sitzen, viele mit ergrauendem Haar. Frauen? Fehlanzeige – auch wenn, nachdem das Foto aufgenommen wurde, noch eine dazugestoßen sein soll. Die Runde traf sich zum CEO-Lunch, die Kritik betraf also eher die deutsche Wirtschaft. Doch das Bild war eines, das von dem Münchner Großevent in Erinnerung blieb.

Auf den Bühnen der Sicherheitskonferenz zeigt sich dagegen ein anderes Bild. Nahezu ausgeglichen ist das Verhältnis hier dieses Jahr zwischen Frauen und Männern in den Diskussionsrunden – inklusive Moderatorinnen und Moderatoren. Einige Panels sind sogar rein weiblich besetzt, zum Beispiel das zur Zukunft Russlands, wo die Teilnehmerinnen mehrfach freudig betonen: Das hätten sie so noch nie erlebt.

Vorbei scheint die Zeit, in der die großen Namen der deutschen und internationalen Sicherheitspolitik alle männlich sind. US-Vizepräsidentin Kamala Harris, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Nancy Pelosi, ehemalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und eine der promintesten Figuren der Demokratischen Partei, sowie Außenministerin Annalena Baerbock sind nur einige derjenigen, die in diesem Jahr zu Gast in München waren.

Die folgenden fünf gehören zu den Frauen, die die Sicherheitskonferenz 2024 wohl besonders geprägt haben.

Julija Nawalnaja – Die Bewegende

Es ist der Moment, der wahrscheinlich am stärksten in Erinnerung bleiben wird von den drei Tagen: Julija Nawalnaja, die Frau von Alexej Nawalny, betritt die Hauptbühne im Bayerischen Hof zu Standing Ovations, ihre Augen glänzen feucht. Keine zwei Stunden ist es her, dass die russische Gefängnisleitung bekannt gab, ihr Mann Alexej Nawalny sei tot, gestorben in einem sibirischen Straflager.

"Sie haben ja sicher diese entsetzliche Nachricht erhalten", setzt sie an. "Ich habe überlegt: Soll ich wirklich jetzt zu Ihnen sprechen? Oder soll ich zu meinen Kindern zurückfliegen? Und dann habe ich mich gefragt: Was hätte Alexej getan an meiner Stelle? Und ich bin mir absolut sicher, er wäre hier geblieben. Er hätte zu Ihnen von diesem Platz aus gesprochen."

Julija Nawalnaja hält eine emotionale, kämpferische Rede, die keine fünf Minuten dauert und trotzdem weit über die Bubble der Konferenz hinausstrahlt. Medien weltweit berichten und noch zwei Tage später steht der Mitschnitt in den YouTube-Trends.

Eigentlich kam sie für Hintergrundgespräche nach München, ein Auftritt auf der Bühne war nicht geplant. Doch nachdem nur wenige Minuten vor dem Start der Konferenz Nawalnys Tod bekannt geworden war (über das Timing und welche Botschaft Wladimir Putin damit an den Westen senden wollte, wird seitdem wild spekuliert), änderte die Sicherheitskonferenz kurzfristig das dicht getaktete Programm für Julija Nawalnaja.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Nawalnys Team dessen Tod noch nicht bestätigt – die Gewissheit kam erst später. Falls ihr Mann tatsächlich tot sei, wolle sie, dass Putin und alle, die für ihn arbeiten und seine Freunde wissen: "Sie werden bestraft werden für das, was sie unserem Land angetan haben, was sie meiner Familie angetan haben, was sie meinem Mann angetan haben. Sie werden zur Verantwortung gezogen werden und dieser Tag wird bald kommen."

Im Video: Julija Nawalnajas Rede auf der Sicherheitskonferenz

Julija Nawalnaja, die Ehefrau von Alexej Nawalny, auf der Münchner Sicherheitskonferenz
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Julija Nawalnaja auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Kaja Kallas – Die Gelassene

Wie geht es einem, wenn man gerade erst von Russland zur Fahndung ausgeschrieben wurde, wenn man ein Dorn in Wladimir Putins Auge ist? Kaja Kallas, die Premierministerin von Estland, wirkt davon vor allem unbeeindruckt. Fragt man sie danach, lächelt sie nur entspannt. Der Vorwurf: Sie hat in ihrem Land sowjetische Kriegsdenkmäler abreißen lassen und grenzt sich damit ab von der gemeinsamen Geschichte mit Russland, hin zu einer Zukunft Richtung Westen orientiert.

Auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz teilte Kallas so direkt gegen Putin aus, wie man es von ihr gewohnt ist – aber nicht nur gegen ihn. "Putin ist ein Aggressor und das hatten wir in den 1930er Jahren schon einmal. Wir sollten aus der Geschichte lernen", sagte sie am Samstag auf der Bühne. Mehrfach applaudiert ihr das Publikum, zum Beispiel als sie sagt, dass man aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt habe, dass ein Krieg in Europa schnell übergreift – und dass die USA bald ein viel größeres Problem hätten, wenn sie sich isolieren würden. Oder als sie gegenüber Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisiert, dass die baltischen Staaten manchmal wie Nato-Mitglieder zweiter Klasse behandelt würden: "Da sollten wir keinen Unterschied machen." Zu seiner Sorge vor steigender Migration sagte sie zum republikanischen US-Senator Pete Ricketts trocken: "Bei uns sind sechs Prozent der Bevölkerung ukrainische Flüchtlinge. Ich kann mir vorstellen, dass auch die USA mit den Migranten überleben."

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Die estländische Premierministerin Kaja Kallas gab sich gelassen, obwohl Putin sie gerade zur Fahndung ausgeschrieben hat.

Am Abend zuvor hatte sie Privateres von sich erzählt, im Charles Hotel vor lauter Frauen, nur wenige Gehminuten vom Bayerischen Hof entfernt. Die Organisatorinnen des "Frauen 100"-Dinners hatten sie als Keynote Speakerin eingeladen. Jährlich zur Sicherheitskonferenz versammelt das feministische Netzwerk einflussreiche Frauen aus Politik und Wirtschaft, aber auch aus Wissenschaft (bis hin zu Nobelpreisträgerinnen) an blumengeschmückten Tafeln, dieses Jahr bei Auberginen-Involtini, Süßkartoffelravioli mit Trüffel – und einer Rede von Kaja Kallas.

Sie spricht über ihre Sorge vor "male supremacist ideas" (die Vorstellung von männlicher Überlegenheit) als Teil von populistischen Bewegungen und darüber, wie ihr Geschlecht immer wieder zum Thema in ihrem Beruf wird. "Ich war die erste Frau in meinem Job. Worüber am meisten gesprochen wurde, war mein Geschlecht", sagt sie, das zeigen Videoaufnahmen des Events. Wenn sie in einem Meeting sagen würde, sie würden nun gerne heim zu ihrer Familie, würde sie gefragt, warum sie denn diese Position dann habe. Sie habe den Rat bekommen, stattdessen zu sagen, sie habe noch einen Termin. Wenn sie das wiederum tun würde, werde sie gefragt: "Wer ist dann bei deiner Familie?" Gelächter und Nicken im Publikum, solche Anekdoten scheinen wohl vielen Frauen bekannt vorzukommen.

Mia Mottley – Die Beharrliche

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Mia Mottley diskutierte gleich bei drei Panels auf der Sicherheitskonferenz mit.

Ein Gesicht, das immer wieder bei der Münchner Sicherheitskonferenz auftaucht, ist das von Mia Mottley. Die aktuelle und erste Premierministerin des kleinen karibischen Inselstaats Barbados sitzt gleich in drei Gesprächsrunden auf der Bühne und spricht leidenschaftlich über ihr großes Thema: die Transformation von internationalen Finanzsystemen zum Schutz des Klimas.

Man könnte bei Mia Mottley das David gegen Goliath-Bild bemühen, oder was auch immer ein weibliches Pendant davon wäre. Sie ist bekannt dafür, sich mit den Großen anzulegen, doch obwohl Barbados nicht einmal 290.000 Einwohner hat, hat ihr Wort Gewicht - zum Beispiel bei Weltklimakonferenzen.

Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow hielt sie 2021 eine eindringliche Rede darüber, dass das Überleben von Staaten wie ihrem davon abhänge, ob die Maßnahmen für ein 1,5-Grad-Ziel auch wirklich finanziert würden. Für ein Scheitern würde zuerst der Globale Süden zahlen, "mit Menschenleben und Existenzgrundlagen".

Es sei ein "Versagen", nicht zu handeln, sagte sie am Freitag auf der Hauptbühne der Sicherheitskonferenz. Das Wissen sei da, aber die Entscheidungen würden nicht getroffen. Und sie gestand auch klar ein: "Man kann den Planeten nicht retten, ohne dem Menschen zu schaden."

Mette Frederiksen – Die Drängende

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Mette Frederiksen: "Wir hätten die Ukraine schon sehr viel früher besser unterstützen sollen."

"Wir hätten die Ukraine schon sehr viel früher besser unterstützen sollen", sagt die dänische Ministerpräsidentin und Sozialdemokratin Mette Frederiksen am Samstag auf der Sicherheitskonferenz bei einer Gesprächsrunde, in der auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sitzt. Sie räumt damit aus ihrer Sicht Fehler der internationalen Gemeinschaft im Ukrainekrieg ein - eine Seltenheit auf einem Event, wo es oft heißt: Man müsse, man sollte, man würde.

"Einen Krieg gewinnt man nicht mit Worten", sagt Frederiksen und macht auch die Grenzen der Sicherheitskonferenz (zumindest des sichtbaren, offiziellen Teils) klar: "Wir hatten schon viele Reden, das ist hier eine tolle Konferenz, aber wir brauchen nicht mehr Worte, sondern mehr Entscheidungen." Die Ukraine benötige dringend Munition, mehr Flugverteidigung und auch Langstreckenraketen. Es müsse alles geliefert werden, was nötig sei, meint die Dänin. Davon versuche Dänemark derzeit alle Bündnispartner zu überzeugen. "Unsere F-16-Jets werden bald in der Ukraine fliegen", kündigte sie an.

Kamala Harris – Die Staatstragende

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Fortsetzung 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC)

US-Vizepräsidentin Kamala Harris war der hochkarätigste Name der amerikanischen Gäste bei der Sicherheitskonferenz, ihre Rede wurde mit Spannung erwartet. Präsident Joe Biden war nicht dabei, aber Harris betonte immer wieder ihre gemeinsamen Positionen – die besonders bei der Weltpolitik weit von dem abweichen, was Präsidentschafts-Mitbewerber Donald Trump äußert.

Ex-Präsident Trump hatte eine knappe Woche vorher bei einer Kundgebung in South Carolina behauptet, er würde ein Nato-Mitgliedsland nicht vor Russland beschützen, wenn es die Verteidigungsausgaben nicht zahle. Vielmehr noch: Er würde Russland "sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen". Trump erwähnt immer wieder, wie unfair es sei, dass die USA für die Verteidigung der 30 anderen Mitgliedstaaten einstehen müssten. Dabei kritisierte er vor allem, dass die Europäer nicht genügend Geld für Rüstung ausgäben.

Und nun also Kamala Harris in München, die Trumps Namen in ihrer Rede zwar ausdrücklich nicht nennt, aber ihn trotzdem anspricht. Mit Blick auf die US-Wahlen im November sagt sie, es gebe auch in ihrem Land Stimmen, die sich eine andere Rolle der USA wünschten, die die USA isolieren und von den Verbündeten abkehren wollten. "Diese Sicht der Welt ist gefährlich, destabilisierend und kurzsichtig", sagte sie. Die USA müssten schon aus ureigenen Interessen ihre weltweite Führungsrolle auch in Zukunft unverändert übernehmen. Die USA könnten aber nur im Ausland stark sein, wenn sie auch zu Hause stark seien.

Später fordert sie bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dass Russland nach Kriegsende für die in der Ukraine durch die Angriffe angerichteten Schäden aufkommen müsse: "Wir werden uns dafür einsetzen, dass Russland der Ukraine Schadenersatz leistet."

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