Die Fünf-Prozent-Hürde – verfassungswidrig?
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Die Fünf-Prozent-Hürde – verfassungswidrig?

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Bundestagswahl: Ist die Fünf-Prozent-Hürde verfassungswidrig?

Kein Ende der Diskussion um die Fünf-Prozent-Hürde. In den Sozialen Medien wird behauptet, sie sei nur dazu da, die großen Parteien zu begünstigen. Ist die Sperrklausel am Ende gar verfassungswidrig? Ein #Faktenfuchs.

Bei Bundestagswahlen kommen nicht alle Stimmen zum Zug. Denn in den Bundestag ziehen nur Parteien ein, die fünf oder mehr Prozent der Zweitstimmen erzielt haben. Ist das fair? Diese Frage wird immer wieder gestellt, zumal die kleinen Parteien gleich doppelt im Nachteil sind: Wähler, die davon ausgehen müssen, dass ihr Favorit keine Chance hat, stimmen möglicherweise für eine aussichtsreichere Partei.

Das schreiben User in den Sozialen Medien

"Natürlich gehört die 5 %-Hürde abgeschafft, denn sie ist verfassungswidrig und dient nur dazu, dass die großen Parteien unter sich bleiben. Wenn die Stimmen ausreichen für einen Sitz im Bundestag, dann gehört der auch besetzt. Alles andere ist Betrug am Wähler." YouTube-Kommentar von Nikioko, 26. August 2021
"Die 5%-Hürde verstößt gegen die "Gleichheit der Wahl" und ist verfassungswidrig." @CeglerM auf Twitter, 16. August 2021
"Die [Fünf-Prozent-Hürde] muss doch verfassungswidrig sein, wenn Tausende Stimmen ungehört bleiben." @MacCuill auf Twitter, 27. Juni 2021

Immer wieder kommt der Vorwurf, die Fünf-Prozent-Hürde sei verfassungswidrig. Und das Bundesverfassungsgericht hat auch schon in der Sache entschieden – und zwar gegen die Hürde. 2011 war das, damals ging es um die Sperrklausel bei Europawahlen. Das Gericht urteilte, die Fünf-Prozent-Hürde verstoße

"unter den gegenwärtigen Verhältnissen gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien" BVerfGE, 2 BvCn4/10 vom 9. November 2011

Seitdem gibt es bei Europawahlen in Deutschland keine Hürde mehr – viele kleine Parteien schickten einen oder zwei Abgeordnete nach Straßburg.

Der Sinn der Hürde

Aber das oberste deutsche Gericht sagte auch: Auf Bundestagswahlen ist diese Entscheidung nicht übertragbar. Bei der Europawahl sei die Regierungsbildung nicht von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament abhängig. Anders formuliert: Straßburg wählt keine Regierung der EU.

Im Bundestag dagegen sollten die Fraktionen idealerweise eine Mehrheit finden, die die Regierung stützt: die Kanzlermehrheit oder auch Regierungskoalition. Sinn der Fünf-Prozent-Hürde ist es, die Mehrheitsbildung zu erleichtern. Diesen Faktor wertete das Gericht in der Vergangenheit höher als die unberücksichtigten Stimmen. Klagen gegen die Sperrklausel bei der Bundestagswahl scheiterten.

Video: Wie funktioniert die Fünfprozenthürde?

Wie funktioniert die Fünfprozenthürde?
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Wie funktioniert die Fünfprozenthürde?

Wie es mit der Fünf-Prozent-Hürde begann

Als die Verfassungsväter und -mütter das Grundgesetz schmiedeten, stritten sie ums Wahlrecht. Die Unionsparteien wollten eine Mehrheitswahl installieren, bei der faktisch weitaus mehr Stimmen unter den Tisch fallen. Die meisten anderen Parteien setzten sich schließlich mit ihrer Forderung durch, eine Verhältniswahl zu installieren – obwohl diese (aus Sicht der heutigen Forschung zu Unrecht) für den Zusammenbruch der Weimarer Republik verantwortlich gemacht wurde. Das Stimmenverhältnis sollte sich weiterhin im Parlament widerspiegeln.

Eine Fünf-Prozent-Hürde für die Bundestagswahl gab es schon damals. Sie galt aber nur für jedes einzelne Bundesland und auch nur für diejenigen Parteien, die keinen Direktkandidaten in den Bundestag brachten. Dank dieser "lockeren" Hürde saßen nach der ersten Bundestagswahl 1949 elf Parteien im Parlament.

Nun folgte eine heftige Debatte um die möglicherweise zu starke Zersplitterung des Bundestags. Vor allem die CDU machte sich - am Ende mit Erfolg - für eine bundesweite Fünf-Prozent-Hürde als Gegenmittel stark. Seit 1953 steht sie im Wahlgesetz. Schon zu dieser Zeit wurde der Vorwurf laut, die Adenauer-Regierung sei nur darauf aus gewesen, unliebsame Konkurrenz fernzuhalten.

Was das Verfassungsgericht sagt

Doch die Sperrklausel bei der Bundestagswahl hat bis heute unabhängig von der Ausrichtung der Regierungen politisch Bestand - und auch juristisch:

"Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Wahl des Deutschen Bundestages für verfassungskonform erachtet",

heißt es in einem Beschluss vom 27. September 2017. Ausdrücklich verweist das Gericht auf das "verfassungslegitime Ziel, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments zu sichern", wozu eine "stabile Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung" gehöre.

Und es ist auch nicht so, dass die Hürde generell den Einzug neuer Parteien in den Bundestag verhindern würde. Grüne und AfD beweisen das Gegenteil.

Abschaffen, senken – oder Eventualstimme?

Die seriöse Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Hürde wird weitergehen. Die Alternativvorschläge sind vielfältig und reichen von Abschaffung über Absenkung bis zu originellen Ideen, wie die der Eventualstimme. In diesem Modell hätten jede Wählerin und jeder Wähler eine zusätzliche Stimme, die immer dann zum Zuge käme, wenn die favorisierte Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Es ginge also zumindest keine Stimme verloren. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom September 2017 besagt, die "Einführung einer Eventualstimme […] ist verfassungsrechtlich nicht geboten." Was aber auch heißt: nicht verboten.

Fazit

Dass die Fünf-Prozent-Hürde die Chancen kleiner Parteien mindert, ist unbestritten, Vorwürfe der Ungerechtigkeit sind deshalb nicht von der Hand zu weisen. Dennoch geht die Sperrklausel bei der Bundestagswahl nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz konform. Denn sie verhindert eine Zersplitterung des Parlaments und erleichtert in einem Verhältniswahlrecht die Mehrheitsbildung. Dies war das Motiv für die Einführung der Fünf-Prozent-Hürde.

💡 Unter der Hürde durch

Es gibt übrigens eine Möglichkeit für eine Partei, Abgeordnete auch dann in den Bundestag zu bringen, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen bekommt. Natürlich zieht jeder gewählte Direktkandidat ins Parlament ein, egal ob seine Partei die Hürde reißt oder überspringt. Und wenn sie drei (oder mehr) Direktmandate erzielt, kommen so viele Abgeordnete in den Bundestag, wie es ihr nach dem Zweitstimmenanteil zusteht - auch wenn die Partei unter fünf Prozent liegt. Allerdings können die Abgeordneten dann keine Fraktion bilden und müssen sich mit einem Gruppenstatus mit verminderten Rechten abfinden. Das war Mitte der 1990er Jahre bei der PDS der Fall.

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