Vor 30 Jahren starben fünf türkische Frauen und Mädchen, als Rechtsradikale in Solingen das Haus der Familie Genc anzündeten.
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An der Stelle, an das Haus der türkischen Familie Genç gestanden hatte, erinnert eine Gedenktafel an die Opfer des Brandanschlags von Solingen.

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Brandanschlag von Solingen: Özdemirs Familie hatte Angst

Am 29. Mai 1993 wird am Haus der Solinger Familie Genç ein Feuer gelegt. Fünf Menschen sterben. An Pfingstmontag jährt sich der Brandanschlag zum 30. Mal. Die rassistische Tat hatte auch die Familie des Grünen-Politikers Özdemir tief verunsichert.

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In der großen Lücke zwischen den Häusern mit den Nummern 79 und 83 der Unteren Wernerstraße im nordrhein-westfälischen Solingen wachsen fünf Kastanien. Genau an der Stelle von Nummer 81, wo einst die türkischstämmige Familie Genç wohnte. Jeder Baum erinnert an einen der fünf Angehörigen, die bei dem Brandanschlag aus dem Leben gerissen wurden. Solingen markierte den Höhepunkt einer ganzen Serie fremdenfeindlicher Verbrechen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre - und jährt sich am Pfingstmontag zum 30. Mal.

Özdemir: "Nach Brandanschlag überprüfte mein Vater den Feuerlöscher"

Bei Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ruft der Jahrestag Erinnerungen wach. Die Tat hatte die Familie des Grünen-Politikers tief verunsichert. "Es war eine große Zäsur, weil das nicht der erste schreckliche Anlass dieser Art war. Davor hatte es schon eine Menge rechtsradikaler Anschläge gegeben, etwa in Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mölln und schließlich in Solingen", sagte Özdemir der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Sein Vater habe damals immer überprüft, "ob der Feuerlöscher noch funktioniert", erinnert sich Özdemir. Seine Eltern hätten ihn zudem gemahnt, sich öffentlich zurückzuhalten, "damit ich nicht selber zur Zielscheibe werde". Die Sorge sei groß gewesen, selbst Opfer eines rassistischen Angriffs zu werden. "Das waren Zustände, die man sich gar nicht vorstellen kann", sagte Özdemir.

"Migranten haben heute Zutrauen in den Rechtsstaat"

Auf die Frage, was sich seitdem in Deutschland verbessert hat, verwies der Grünen-Politiker auf seinen eigenen Werdegang. "Sie sehen beispielsweise einen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland vor sich, dessen Vorfahren nicht schon in der Schlacht am Teutoburger Wald gegen die Römer gekämpft haben, sondern woanders herkommen", sagte Özdemir. In der Politik machten heute nicht mehr Migranten Migrationspolitik, sondern kümmerten sich um Klimapolitik, um Sozialpolitik oder eben um Ernährung und Landwirtschaft und Politikerinnen und Politiker ohne Migrationsgeschichte um Migrationsthemen.

"Das ist genau das, worum es mir immer ging. Die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten hat ein großes Zutrauen in den Rechtsstaat und weiß, dass die Mehrheit in diesem Land nichts mit Rechtsradikalismus am Hut hat", erklärte er.

Forderung nach mehr Aufstiegschancen für Migrantenkinder

Zugleich forderte Özdemir mehr Aufstiegschancen für Migrantenkinder. "Jedes Kind - egal aus welchem Land und aus welcher Herkunftsfamilie - sollte sein Potenzial maximal ausschöpfen können", sagte er der Zeitung. Die Gesellschaft müsse insgesamt durchlässiger werden. Es sei immer noch so, dass das Schicksal in der Schule durch das Elternhaus vorherbestimmt sei.

Das gelte nicht nur für Migrantenkinder, sondern auch für Arbeiterkinder ohne Migrationshintergrund. "Wenn deine Eltern keine Akademiker sind, ist die Wahrscheinlichkeit in Deutschland besonders hoch, dass du es auch nicht zur Akademikerin schaffst", sagte der Grünen-Politiker.

Wüst sieht in Rechtsextremismus größte Gefahr für die Demokratie

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) rief anlässlich des Jahrestages dazu auf, die Erinnerung an die fremdenfeindliche Tat wach zu halten. "Erinnern bedeutet auch, aus der Vergangenheit zu lernen und jeden Tag dafür einzustehen, dass Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in unserer Gesellschaft haben."

Der 29. Mai 1993 sei einer der dunkelsten Tage in der Geschichte Nordrhein-Westfalens gewesen, so Wüst. Rechtsextreme hatten das Haus der Familie in Solingen in Brand gesetzt. Das Ehepaar Genç verlor bei dem rassistischen Brandanschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 17 Familienmitglieder waren dabei schwer verletzt worden. Die Tat rief weltweit Entsetzen hervor.

Den Rechtsextremismus bezeichnete Wüst als größte Gefahr für die Demokratie. "Darum müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen und deutlich machen, dass Rassismus, Hass und Hetze hier keinen Platz haben", sagte er.

Bundespräsident Steinmeier kommt zur Gedenkfeier

Am Montag findet in Solingen eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Brandanschlags statt. Hochranginge Politiker werden erwartet, darunter Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, Innenministerin Nancy Faeser und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Auch die Opfer-Familie wird sich bei der Gedenkveranstaltung äußern.

Mit Informationen von dpa, KNA und epd

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