Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev
Bildrechte: Press Service of the President of Azerbaijan / via Reuters

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev

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Aserbaidschan verkündet Sieg über Armenier in Berg-Karabach

Es war ein kurzer, ungleicher Kampf: Überlegene aserbaidschanische Truppen zwingen die Armenier in Berg-Karabach zur Kapitulation. Die Armenier befürchten nun eine Massenvertreibung aus ihrer Heimat.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Am Nachmittag war noch die Rede von einer Feuerpause, inzwischen hat eine Partei den Sieg erklärt: Im Konflikt um Berg-Karabach, eine Region im südlichen Kaukasus, hat der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev am Mittwochabend den Sieg verkündet, nachdem seine Armee das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet angegriffen hatte.

In der eintägigen Operation habe Aserbaidschan seine Herrschaft über das Gebiet im Südkaukasus wiederhergestellt, sagte er am Mittwochabend in einer Fernsehansprache in Baku. Der Einsatz, den er eine Anti-Terror-Operation nannte, sei beendet. Bei den Kämpfen waren nach armenischen Angaben 32 Menschen getötet worden.

Was Aserbaidschan den Besiegten verspricht

Aliyev sprach von illegal in Karabach stationierten armenischen Truppen, die vernichtet worden seien: "Militärische Ausrüstung wurde zerstört und unbrauchbar gemacht." Den Karabach-Armeniern, die eine Vertreibung aus alten Siedlungsgebieten befürchten, versprach Aliyev, sie würden bald eine Wende zum Besseren erleben.

Für die armenischen Verteidiger war die aserbaidschanische Übermacht zu groß. Nach Beginn der Angriffe am Dienstag gaben sie am Mittwoch bekannt, einer Feuerpause zugestimmt zu haben – die einer Kapitulation gleichkommt. Denn aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku kam die Bedingung, dass sie ihre Waffen niederlegen und Kampfpositionen aufgeben. Die Behörden der nicht anerkannten Republik fühlten sich von der Welt im Stich gelassen: "In der aktuellen Situation sind die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft zur Beendigung des Kriegs und zur Lösung der Situation unzureichend", werden sie von der Deutschen Presseagentur zitiert.

Bis dahin waren bei den Bombardements armenischen Angaben zufolge mehr als 30 Menschen getötet und über 200 weitere verletzt worden, unter ihnen auch Zivilisten. Aserbaidschans Armee hatte das Gebiet um die Stadt Stepanakert stundenlang mit Artillerie, Raketen und Drohnen angegriffen, um es zu erobern.

In Berg-Karabach lebt eine ethnische Minderheit

Das bereits seit Jahrzehnten zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken umkämpfte Berg-Karabach liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnt. Die Schätzungen zufolge rund 100.000 verbliebenen Bewohner der Region waren schon vor den Angriffen in einer verzweifelten Lage, weil Aserbaidschan monatelang die einzige armenische Zufahrtsstraße, den Latschin-Korridor, blockierte. Lebensmittel, Medikamente und Benzin waren knapp.

Nun ist ihre Zukunft noch ungewisser. Aliyev und seine autoritäre Führung sprechen von der "Wiedereingliederung" Berg-Karabachs. Viele Armenier fürchten eine gewaltsame Rache der Aserbaidschaner, weil sie so lange ausharrten und Widerstand leisteten. Hunderte Menschen versammelten sich am Flugplatz der Hauptstadt Stepanakert in der Hoffnung, mit Hubschraubern ausgeflogen zu werden.

Die Angst vor dem Genozid

Bereits am Dienstag hatten armenische Journalisten vor Ort Fotos und Videos veröffentlicht, die zeigen, dass – entgegen der Beteuerungen aus Baku – nicht nur militärische Objekte, sondern auch Wohnhäuser getroffen wurden. Familien harrten in Kellern aus, während über ihren Köpfen die Geschosse donnerten.

"Nach neun Monaten des Hungers sind wir nun in einem Bombenschutzkeller und schlafen hier mit Kindern, die gestern noch von Brot träumten und die heute davon träumen, morgen noch aufzuwachen", schrieb etwa die Reporterin Siranush Sargsyan auf der früher als Twitter bekannten Plattform X. "Ich weiß nicht, ob wir aufwachen werden, aber ich hoffe, ihr werdet uns dafür in Erinnerung behalten, dass wir diesem Genozid mit Würde entgegengetreten sind."

Russland und Türkei als Schutzmächte

Die von russischer Seite initiierte Feuerpause trat am Mittwochmittag in Kraft, daraufhin kam es laut der Nachrichtenagentur dpa tatsächlich zu weniger Kämpfen. Doch viele Armenier seien trotzdem wütend auf Russland, das eigentlich traditionell als Schutzmacht des christlich-orthodoxen Landes gilt, während das muslimische Aserbaidschan auf die Türkei setzt.

In ihren Augen haben die in der Region stationierten russischen Soldaten die militärisch unterlegenen Armenier im Stich gelassen. Schon vor Ausbruch der jüngsten Eskalation hatten Beobachter gewarnt, das mit Öl- und Gaseinnahmen hochgerüstete Aserbaidschan könnte ausnutzen, dass Russland wegen seines eigenen Angriffskriegs gegen die Ukraine derzeit im Südkaukasus weniger präsent ist.

Was Armenien Russland vorwirft

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan mahnte, die Russen müssten spätestens jetzt angesichts des aserbaidschanischen Vormarsches für die Sicherheit der Karabach-Armenier sorgen. Er telefonierte nach Angaben seiner Regierung am Mittwochabend mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Moskau versicherte, die eigenen Soldaten blieben in Karabach stationiert und setzten unter anderem Evakuierungsmaßnahmen fort. Bis Mittwochabend hätten russische Kräfte 3.100 Zivilisten in Sicherheit gebracht, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Den Militärangaben nach wurden mehrere in Karabach stationierte russische Soldaten durch Beschuss auf ihr Auto getötet. Der Vorfall habe sich am Mittwoch bei dem Ort Dschanjatag ereignet. Es wurde nicht gesagt, wie viele russische Soldaten getötet wurden.

Die Wut auf Russland wächst

Kremlsprecher Dmitri Peskow wies armenische Vorwürfe über russische Untätigkeit zurück. Er erklärte zudem, man beobachte derzeit "de jure Handlungen der Republik Aserbaidschan auf ihrem Staatsgebiet". Diese Äußerung ist insofern bemerkenswert, als Russland nach dem letzten Karabach-Krieg 2020 zugesagt hatte, die damals vereinbarte Waffenruhe in der Region zu überwachen.

Und so richten sich die in Armeniens Hauptstadt Eriwan aufgeflammten Proteste nicht nur gegen die eigene Regierung, von der die Menschen mehr Beistand für ihre Landsleute in Berg-Karabach fordern. Auch die russische Botschaft in Eriwan wurde bereits von wütenden Demonstranten umringt. Zwischenzeitlich war Angaben der russischen Diplomaten zufolge normaler Botschaftsbetrieb nicht mehr möglich.

Internationale Forderungen

Gerade Aserbaidschan und das traditionell mit Armenien verbündete Russland müssten "dafür sorgen, dass Menschen in ihrem eigenen Zuhause sicher sind", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch am Rande einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York.

EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte in Onlinenetzwerken, er habe den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew in einem Telefonat aufgefordert, "für einen vollständigen Waffenstillstand" und eine "sichere und würdige Behandlung der Armenier in Karabach" zu sorgen. Zudem müsse humanitäre Hilfe "sofort" Berg-Karabach erreichen.

Mit Informationen von dpa und AFP.

💡 Der Berg-Karabach-Konflikt

Die Kaukasusregion Berg-Karabach ist international als zu Aserbaidschan zugehörig anerkannt, wird jedoch mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Der Streit, zu welcher der beiden ehemaligen Sowjetrepubliken die Region gehört, dauert bereits Jahrzehnte an. Berg-Karabach hatte 1991 seine Unabhängigkeit von Aserbaidschan erklärt.

2020 war der Konflikt in einem Krieg mit vielen Toten eskaliert, der nach sechs Wochen mit einer von Russland vermittelten Waffenruhe endete. Im Herbst 2022 waren die Kämpfe im Schatten des Ukrainekrieges erneut aufgeflammt. Bald darauf hatten sich Armenien und Aserbaidschan erneut auf eine Waffenruhe verständigt. In den vergangenen Monaten haben sich die Spannungen wieder verschärft.

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