Die Abschiebung eines Asylbewerbers aus Mecklenburg-Vorpommern, der per Direktflug am 3. Juli von München aus zusammen mit 68 weiteren Flüchtlingen nach Afghanistan geflogen wurde, hat scharfe Kritik hervorgerufen.
Nasibullah S. hatte im Dezember 2015 Asyl beantragt, dies wurde jedoch im Februar 2017 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Dagegen reichte der jetzt 20-jährige Afghane Klage ein. Diese Klage war beim Verwaltungsgericht Greifswald noch anhängig, als er von Polizisten aus seiner Unterkunft in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) geholt und abgeschoben wurde.
"Wegen des laufenden Asylklageverfahrens hätte keine Abschiebung erfolgen dürfen", teilte ein Gerichtssprecher auf Anfrage des NDR mit. In der Woche nach der Abschiebung hätte der 20-Jährige vor Gericht angehört werden sollen.
Opposition spricht von "Skandal"
"Verfassungsrechtlich muss man hier von einem Verstoß sprechen", sagt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Denn jeder Asylbewerber habe Anspruch auf Schutz, so lange das Verfahren nicht wirklich geklärt sei. "Von daher ist es im Grunde genommen ein Skandal, dass hier einfach über die Gerichte hinweg abgeschoben wird", so Jelpke. Die Anwältin des Asylbewerbers, die Stralsunder SPD-Bundestagsabgeordnete Sonja Steffen, hat nach eigenen Angaben bereits beantragt, dass die Behörden Nasibullah S. zurück nach Deutschland holen, damit er sein Verfahren beenden kann.
Schweriner Innenministerium bedauert Fehler
Dokumente, die dem NDR vorliegen, belegen, dass das BAMF und die Ausländerbehörde bei der Abschiebung von falschen Voraussetzungen ausgingen. Sie glaubten, die Ablehnung des Asylantrags sei rechtskräftig geworden, und S. könne deshalb abgeschoben werden. Allerdings hatte Anwältin Steffen das Sozialamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte, dem auch die Ausländerbehörde untersteht, mehrfach über die Klage ihres Mandanten informiert. Das Schweriner Innenministerium als Fachaufsicht der Ausländerbehörden bedauerte den Fehler, verwies aber auf das Bundesamt, das die fehlerhaften Daten geliefert habe. Aussagen des BAMF seien für die kommunalen Ausländerbehörden bindend.
Aus den Dokumenten geht hervor, dass Ausländerbehörde und BAMF auch auf wiederholte Nachfrage des Sozialamtes dabei blieben, dass S. als vermeintlich endgültig abgelehnter Asylbewerber abgeschoben werden könne. Dessen Klage war dem Bundesamt bekannt, man ging aber fälschlicherweise davon aus, dass das Verwaltungsgericht sie nicht zur Entscheidung angenommen hatte. "Da sieht man, wie nachlässig das Bundesamt in den Klageverfahren arbeitet. Die gerichtliche Verfügung liegt dem Bundesamt ja vor, die müssen sich doch damit beschäftigen", kritisiert Steffen. Das Gericht hatte die Klage bereits im August 2017 akzeptiert, zehn Monate vor der Abschiebung.
Das BAMF äußerte sich auf Anfrage des NDR nicht zu dem Fall. Das Bundesinnenministerium teilte mit: "Im vorliegenden Fall sind (...) Verfahrensfehler beim BAMF zu konstatieren. (...) Der Vorgang wurde seitens des BAMF zum Anlass genommen, bestehende Prozesse nochmals zu prüfen."
Bundesinnenminister Seehofer hatte sich erfreut gezeigt
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) war wegen der Sammelabschiebung und seinem Umgang damit heftig kritisiert worden. Bei der Vorstellung seiner Pläne zur Asylpolitik hatte er grinsend gesagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden." Am Tag danach wurde bekannt, dass sich der Hamburger Asylbewerber Jamal M. nach seiner Ankunft in Kabul das Leben genommen hatte. Seehofer wies die Kritik an ihm zurück. Rückendeckung hatte er vom CDU-Innenpolitiker Armin Schuster erhalten, der in der "Rheinischen Post" von einer "moralisch völlig überladenen politischen Debatte" gesprochen hatte. "Wir schieben nach Afghanistan immer noch nur Gefährder und Straftäter ab", hatte Schuster dem Blatt gesagt.
Kein Hinweis auf Straftat
Im Fall von Nasibullah S. gibt es bisher jedoch keine Hinweise, dass dieser in Deutschland mit dem Gesetz in Konflikt gekommen wäre. Ihrem Wissen nach sei S. nicht straffällig geworden, sagte Steffen. Das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern gab auf Nachfrage keine Auskunft und verwies auf den Datenschutz.
Die Mehrzahl der Abgeschobenen lebte in Süddeutschland, die meisten in Bayern. Unter den insgesamt 69 Menschen waren nach unterschiedlichen Recherchen mehrerer Medien mehrere, die gut integriert waren und feste Jobs hatten. Andere befanden sich in der Ausbildung oder waren kurz davor, die Schule abzuschließen.