Sesselmann ist der deutschlandweit erste AfD-Landrat
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Robert Sesselmann (Archivbild)

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AfD stellt erstmals einen Landrat in Deutschland

Der Thüringer Kreis Sonneberg an der Grenze zu Bayern wird künftig von einem Landrat mit AfD-Parteibuch regiert. Eine Premiere für die Rechtsaußenpartei, die andere Parteien mit Schrecken sehen.

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Zehn Jahre nach ihrer Gründung hat die rechtspopulistische AfD erstmals in Deutschland ein kommunales Spitzenamt erobert. Im Kreis Sonneberg in Thüringen gewann ihr Bewerber Robert Sesselmann am Sonntag die Landratswahl.

Sesselmann erlangt 52,8 Prozent

In einer Stichwahl erhielt er nach dem vorläufigen Ergebnis 52,8 Prozent der Stimmen. Das teilte das Wahlamt mit. Der amtierende Landrat von der CDU, Jürgen Köpper, kam nur auf 47,2 Prozent, obwohl er von einer Parteienallianz unterstützt wurde. Sesselmann war wegen seines hohen Ergebnisses im ersten Durchgang als Favorit in das Rennen gegangen.

Robert Sesselmann ist 50 Jahre alt, Rechtsanwalt und derzeit AfD-Landtagsabgeordneter in Erfurt. Er stammt aus der Stadt Sonneberg. Als Chef der Kreisverwaltung muss er künftig vor allem Beschlüsse des Kreistages, aber auch von Landtag und Bundestag umsetzen. Außerdem kann er regionale Fragen klären wie die Kita-Betreuung oder die Sanierung von Gebäuden und Straßen.

Er und die AfD bestritten den Wahlkampf vor allem mit Bundesthemen wie dem umstrittenen Heizungsgesetz, der hohen Inflation oder gestiegenen Flüchtlingszahlen. In der Region, die ländlich und konservativ geprägt ist, war darum von einer Abstimmung über die Bundespolitik die Rede, mit der derzeit viele Menschen unzufrieden seien.

Sesselmann: "Jetzt sind wir auf dem Weg zur Volkspartei"

Sesselmann kündigte an, er wolle als künftiger Landrat auch mit dem politischen Gegner sprechen. Man sollte ideologische Betrachtungen außen vor lassen, sagte er bei der AfD-Wahlparty in Sonneberg. Er wolle mit allen Fraktionen reden. "Wir müssen auch auf den politischen Gegner zugehen", sagte er und betonte, dass es ihm um Sachthemen wie die Konsolidierung des Haushaltes oder die Sanierung von Schulen gehe. Er kündigte an, sein Landtagsmandat niederzulegen. "Ich habe nur eine begrenzte Arbeitszeit."

Die AfD sieht Sesselmann "auf dem Weg zur Volkspartei". Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sagte er: "Wir können nächstes Jahr, 2024, Geschichte schreiben."

AfD-Chef Chrupalla: Sonneberg war "erst der Anfang"

AfD-Bundeschef Tino Chrupalla bejubelte den Wahlsieg seiner Partei. "Das war erst der Anfang", schrieb Chrupalla am Sonntagabend auf Twitter. "Wir überzeugen Mehrheiten mit unserer Politik für die Interessen der Bürger. So werden wir für Deutschland die Wende zum Guten erreichen."

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke sieht im Wahlsieg im Landkreis Sonneberg den Auftakt für mehr Erfolge bei Kommunal- und Landtagswahlen. Höcke sagte am Sonntag bei der AfD-Wahlparty, von Sonneberg gehe ein "politisches Wetterleuchten" aus. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen. "Und dann bereiten wir uns für die Landtagswahlen im Osten vor, wo wir dann wirklich ein politisches Erdbeben erzeugen können."

Köpper: Schlechter Tag für den Landkreis

CDU-Kandidat Köpper bezeichnete den Wahlausgang als "enttäuschend" und sprach von einem schlechten Tag für den Landkreis Sonneberg und Thüringen. "Trotz einer höchst engagierten Arbeit von unzähligen Wahlhelfern haben die Sonneberger heute anders entschieden", sagte er laut einer Mitteilung vom Sonntagabend. Am Ende sei auch der Wahlkampf durch die schlechte Politik der Bundesregierung überlagert worden.

Thüringens Innenminister und SPD-Vorsitzender Georg Maier sprach von einem "Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte". Nun heiße es, "parteipolitische Interessen hintan zu stellen und gemeinsam die Demokratie zu verteidigen". Politik und Demokratie seien der Wettstreit um die besten Ideen und nicht um die größte Empörung, erklärte der SPD-Politiker.

Ministerpräsident Ramelow: AfD-Sieg in Sonneberg ein Signal

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht den AfD-Wahlerfolg im Landkreis Sonneberg als Signal der Unzufriedenheit. "Ich glaube, wir müssen den Geist der deutschen Einheit neu definieren, dass wir die Ostdeutschen mitnehmen und nicht das Gefühl auslösen, dass über sie gelacht wird oder über sie nur geredet wird", sagte der Linken-Politiker am Sonntagabend im ZDF. Die Sonneberger hätten "ein Signal an die ganze Republik zu senden, dass ihnen viele Dinge nicht gefallen". Es sei eine demokratische Wahl gewesen. Das habe er zur Kenntnis zu nehmen.

Der Linken-Ostbeauftragte Sören Pellmann sieht eine politische Zäsur. "Das muss ein allerletzter Warnschuss für alle Bundestagsparteien sein", forderte der Leipziger Bundestagsabgeordnete am Sonntagabend. "Insbesondere die Bundesregierung darf nicht länger eine Politik machen, die keine Probleme löst, sondern zusätzliche schafft."

Es gelte nun, Landtagswahlsiege der AfD in Ostdeutschland im kommenden Jahr zu verhindern. Dafür müsse die Politik Normalbürger in den Mittelpunkt rücken. "Wer die AfD klein machen will, muss die Wähler zurückgewinnen", meinte Pellmann. "Dafür braucht es eine Politik der ausgestreckten Hand."

Zentralrat der Juden zutiefst beunruhigt

Der Zentralrat der Juden zeigt sich tief erschüttert vom Wahlerfolg der AfD. Präsident Josef Schuster wertet die erste Wahl eines AfD-Politikers zu einem Landrat als "Dammbruch". Das sagte der in Würzburg lebende Schuster im Gespräch mit BR24. Das Wahlergebnis erschüttere ihn und mache ihm Sorgen. "Denn das ist jetzt der erste Landrat, der von der AfD gestellt wird, und es bleibt zu befürchten, dass er nicht der letzte sein wird."

Es besorge ihn besonders, "dass hier alle Rattenfänger von Hameln mit antidemokratischen und rassistischen Theorien" offensichtlich bei den Menschen ankämen. Er verstehe zwar, dass aktuell viele Menschen angesichts von Inflation und Klimafragen Existenzsorgen hätten, jedoch hätten die Wählenden mit ihren Stimmen für die AfD letztlich für einen Mandatsbewerber gestimmt, "der eigentlich keine Lösungen anbieten kann, sondern nur Probleme" aufzeige. Es irritiere ihn sehr, dass "so viele Menschen meinen, dass das die Lösung ihrer persönlichen Probleme sein könne".

Deutschlandtrend mit 19 Prozent für AfD "absolut besorgniserregend"

Auch der aktuelle Deutschlandtrend mit 19 Prozent für die AfD sei "absolut besorgniserregend" – wenn auch ein erheblicher Anteil der 19 Prozent vermutlich kein rechtsextremes Gedankengut habe, sondern ihre Unzufriedenheit mit politischen Entwicklungen in Deutschland zum Ausdruck bringen wolle, so Schuster.

Der in Würzburg lebende Präsident des Zentralrats der Juden sagte im BR24-Gespräch, er habe an diesem Morgen ambivalente Gefühle: Einerseits sei Sonneberg mit dem nun gewählten AfD-Landrat nur 70 Kilometer von Würzburg entfernt. Andererseits hatten am Sonntag in Würzburg mehr als 1.000 Menschen mit Trillerpfeifen und einer Sitzblockade eine Kundgebung der AfD verhindern können, die den zweiten Jahrestag der Messerattacke mit drei Todesopfern für ihre Zwecke nutzen wollte. Die Bürgerschaft in Würzburg habe "sich ganz klar und übrigens auch erfolgreich der AfD und Herrn Höcke in den Weg gestellt", als diese versucht habe, das "Massaker von vor zwei Jahren zu instrumentalisieren".

Knobloch: "Gefährliche Entscheidung"

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, twitterte: "Viele Entscheidungsträger in Bund und Land, in Politik und Gesellschaft tragen eine Mitverantwortung. Aber vor allem haben die Menschen vor Ort diese gefährliche Entscheidung getroffen. Sie haben – mit demokratischen Mitteln – ein Ausrufezeichen gegen die Demokratie gesetzt."

Landkreistag: Landräte sind an Recht und Gesetz gebunden

Der Deutsche Landkreistag hat daran erinnert, dass alle Landrätinnen und Landräte an Recht und Gesetz gebunden seien. "Als Wahlbeamter ist Herr Sesselmann auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung verpflichtet", erklärte Landkreistag-Präsident Reinhard Sager. "Wir nehmen das heutige Wahlergebnis zur Kenntnis."

Weiter sagte er: "Wir wünschen ihm gutes Gelingen bei seiner verantwortungsvollen Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises und eine konstruktive und zielführende Zusammenarbeit mit dem Kreistag." Der Landkreis müsse handlungsfähig bleiben, was nur in gutem Zusammenwirken von Kreistag und Landrat gelingen könne. "Insofern darf es zu keiner Blockadepolitik kommen. Es ist zu betonen, dass es sich um das Ergebnis einer demokratischen Wahl handelt. Für die anderen Parteien sollte das Wahlergebnis ein großer Ansporn sein, im politischen Wettstreit überzeugender zu sein."

AfD seit Wochen auf Höhenflug

Die Kommunalwahl in dem Kreis an der Grenze zu Bayern hatte bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Die AfD hat in Umfragen derzeit Aufwind, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. In Thüringen wird die Partei mit Landeschef Björn Höcke vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft und beobachtet.

Linke, SPD, Grüne und FDP in Thüringen hatten für eine hohe Wahlbeteiligung und die Unterstützung des CDU-Bewerbers geworben. Die Wahlbeteiligung lag nun bei 59,6 Prozent - im ersten Durchgang vor zwei Wochen waren es 49,1 Prozent. Der Landkreis im Thüringer Wald mit 57.000 Einwohnern und rund 48.000 Wahlberechtigten ist einer der kleinsten in Deutschland.

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

Im Video: 10 Jahre nach Gründung wird ein AfD-Kandidat erstmals in ein kommunales Spitzenamt gewählt

Zehn Jahre nach ihrer Gründung hat die rechtspopulistische AfD erstmals in Deutschland ein kommunales Spitzenamt erobert. Im Kreis Sonneberg in Thüringen gewann ihr Bewerber Robert Sesselmann am Sonntag die Landratswahl.
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Zehn Jahre nach ihrer Gründung hat die rechtspopulistische AfD erstmals in Deutschland ein kommunales Spitzenamt erobert.

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