Münchner Sicherheitskonferenz
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60 Jahre Sicherheitskonferenz: Weltpolitik im Nobelhotel

Seit 1963 gibt es die Münchner Sicherheitskonferenz. Sie ist über die Jahre zu einem wichtigen Treffen von Staatenlenkern weltweit geworden. Vertrauliche Gespräche haben Tradition, genauso wie Proteste gegen die Konferenz und der Ärger der Münchner.

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Anfang der 1960er steht die Welt nah an einem dritten Weltkrieg: 1961 beginnt das DDR-Regime damit, eine Mauer mitten durch Berlin zu bauen. 1962 ist es die Kuba-Krise, die um ein Haar aus dem Kalten Krieg einen heißen macht. In dieser Zeit ist es ein Mann, der die Lage zum Anlass nimmt, eine Konferenz ins Leben zu rufen: Ewald von Kleist lädt 1963 zur ersten "Wehrkunde-Tagung" ein, aus der später die Sicherheitskonferenz hervorgehen sollte. Sein Ziel: Auf Augenhöhe über das transatlantische Verhältnis und Sicherheitspolitik in Zeiten des Kalten Krieges reden.

Von Kleist war als Wehrmachtssoldat Teil der Gruppe Stauffenberg, die ein Attentat auf Hitler verübte. Für SPD-Politiker Egon Bahr, der als Architekt der Ostpolitik unter Willy Brandt gilt, ein großer Vorteil. "Ewald von Kleist war unser Glücksfall als ein Mann, der bereit gewesen ist, sich mit Hitler in die Luft zu sprengen", sagte Bahr 2014. Von Kleist sei der Einzige gewesen, der glaubwürdig und unangreifbar die Fähigkeit gehabt habe, eine solche Konferenz zu initiieren.

"Wichtiger ist, was hinter den Kulissen stattfindet"

Bereits zum ersten Treffen gibt sich die Politikprominenz die Klinke in die Hand. So sind 1963 der damalige Hamburger Innensenator Helmut Schmidt als auch Henry Kissinger dabei, der später Außenminister der USA werden sollte.

Auf der Bühne halten die Teilnehmer Reden, es wird anschließend diskutiert. Aber das ist nur der eine Teil, der unbedeutendere. "Noch viel wichtiger ist, was hinter den Kulissen stattfindet", erklärt der ehemalige Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, im BR-Interview 2014. Das Treffen lebt vom informellen Charakter, es gibt weder Beschlüsse noch Abschlusserklärung. Ging es anfangs ausschließlich um Sicherheitspolitik, stehen inzwischen auch Themen wie Wirtschaft, Klimawandel oder Menschenrechte im Mittelpunkt. Am Freitag startet die diesjährige Konferenz und das Treffen geht damit in sein 60. Jahr.

Sicherheitskonferenz: Mehr als nur Politik

Ein wichtiger Faktor für die Teilnehmer ist jenseits der weltpolitischen Fragen auch der Bayerische Hof. Für viele sei das Hotel besonders attraktiv, weil es direkt in der Münchner Innenstadt liegt, erklärt Ischinger einst. "Es gibt manchen die Gelegenheit, zwischendurch einmal auszubüxen". Sein Vorgänger Horst Teltschik machte die gleiche Beobachtung: "Alles in Fußnähe, das lieben sie. Sie können abends zum Franziskaner Biergarten gehen, wenn noch frei ist, oder mittags einfach mal über den Marienplatz laufen." So gibt es etwa Bilder, wie Hillary Clinton 2005 in der Innenstadt shoppen war. Als in den 90ern das Treffen für einige Jahre in ein Hotel etwas außerhalb der Münchner Stadtmitte verlegt wurde, sollen besonders die amerikanischen Gäste protestiert haben.

Für die Münchner bedeutet das Treffen dagegen: Weite Teil der Stadt sind abgesperrt, tausende Polizisten im Einsatz, Gullydeckel werden zugeschweißt, Bus- und Tramlinien fallen aus. Das Gebiet rund um den bayerischen Hof verwandelt sich in einen Hochsicherheitstrakt. Wenig überraschend begeistert das nicht jeden.

Duell zwischen Fischer und Rumsfeld 2003

Auch wenn sich auf der Sicherheitskonferenz vieles hinter den Kulissen abspielt, geht es manchmal auch auf der Bühne heftig zur Sache. Berühmtes Beispiel ist das Jahr 2003. Im Vorfeld ist klar, dass die USA planen, den irakischen Herrscher Saddam Hussein zu stürzen. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder will – anders als beim Afghanistan-Einsatz – nicht mitmachen. Der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld spricht in Washington deshalb verächtlich über Deutschland und Frankreich, dem "alten Europa", das in dieser Frage nicht auf ihrer Seite sei. Und er nennt Deutschland dabei in einer Reihe mit Kuba und Libyen.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz betreibt Rumsfeld zwar keine weitere Provokation, doch er wirbt erneut für Unterstützung. Es folgt der Auftritt Fischers: Er legt sein Manuskript beiseite, spricht frei und wechselt zwischenzeitlich ins Englische. Direkt an Rumsfeld gerichtet, sagt er: "Sie müssen starke Argumente liefern. Um in einer Demokratie starke Argumente zu liefern, muss man selbst überzeugt sein. Ich bin nicht überzeugt. Das ist mein Problem. Und ich kann nicht in die Öffentlichkeit gehen und sagen: Nun müssen wir Krieg führen, da gibt es Gründe oder so, und ich glaube nicht daran."

Fischer: "Es geht zur Sache"

Konfrontation ist für viele Teilnehmer wesentlicher Bestandteil des Treffens. "Es bringt nichts, dort hinzugehen und so diplomatisch zu sein, dass die wichtigen Themen ignoriert werden", sagt Nancy Pelosi, die ehemalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in der BR-Doku "Hotel Weltpolitik" über die Geschichte der Sicherheitskonferenz (läuft am Mittwochabend um 22 Uhr im BR Fernsehen). "Das ist das Schöne an der Münchner Sicherheitskonferenz: Staatschefs, Gesetzgeber und andere Diplomaten kommen zusammen - mit Ehrlichkeit und Offenheit." Nur so ließen sich Probleme lösen. Und Joschka Fischer sagte gegenüber dem BR 2014, es gebe auf der Sicherheitskonferenz "nicht nur das übliche staatsmännische oder staatsfrauliche Gemurmel, sondern es geht zur Sache, dass es dann notfalls fetzt."

Das tut es auch im Jahr 2007, als ein Hauch von Kaltem Krieg in München weht. Wladimir Putin nimmt als erster russischer Präsident an der Sicherheitskonferenz teil und nutzt das Podium für eine Abrechnung mit dem Westen. Den USA wirft er vor, die alleinige Weltherrschaft anzustreben. "Was bedeutet eine monopolare Welt?", fragt Putin. "Wie man diesen Begriff auch verschönern mag, bedeutet er letztlich in der Praxis nur eines: Es gibt nur ein Machtzentrum, ein Kraftzentrum, ein Entscheidungszentrum."

2007: Putin geht auf Konfrontation

Aus Sicht vieler zieht man seinerzeit nicht die richtigen Konsequenzen. "Man hatte gar nicht richtig zugehört", sagt beispielsweise der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in der Dokumentation "Hotel Weltpolitik". "Und jetzt ist das natürlich klar: Die Sicherheit in Europa ist im Moment gegen Russland zu organisieren."

Trotz der Eskalation von 2007 gibt es auf der Sicherheitskonferenz zwischendurch auch Signale der Annäherung: Mit dem Wahlsieg von Barack Obama 2008 wollen die USA das Verhältnis zu Russland neu justieren; Gespräche über das Thema Abrüstung beginnen auf der Sicherheitskonferenz und münden 2011 im START-Abkommen, das die Außenminister Hillary Clinton und Sergej Lawrow in München unterzeichnen.

Krieg in der Ukraine im Fokus

Doch spätestens 2022 steht Russland wieder in anderer Hinsicht im Mittelpunkt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt auf der Bühne: "Die Ukraine sehnt sich nach Frieden. Europa sehnt sich nach Frieden. Die Welt sagt, dass sie keinen Krieg möchte, während Russland sagt, es möchte nicht eingreifen. Irgendjemand lügt hier." Nur wenige Tage später ist klar, dass es Russland ist.

Der Ukraine-Krieg war auch vergangenes Jahr das große Thema - auf der Sicherheitskonferenz und in den Straßen Münchens. Tausende demonstrieren, sowohl auf einer Pro-Ukraine- als auch auf einer Anti-Kriegs-Demonstration. Letztere haben ebenfalls Tradition.

Proteste gegen Sicherheitskonferenz haben Tradition

Als 2002 die erste Sicherheitskonferenz nach den Terroranschlägen vom 11. September stattfindet, verhängt die Stadt ein Demonstrationsverbot. Zehntausende gehen trotzdem auf die Straße. Es kommt zu Hunderten Festnahmen. Auch in den Jahren danach ist der Vorwurf zu hören, die Politik würde Proteste kriminalisieren.

Seit 2003 gibt es als Gegenveranstaltung die Münchner Friedenskonferenz. Ihre Kritik an der Sicherheitskonferenz ist unter anderem, dass das Sicherheitsverständnis der Teilnehmer auf Dominanz und Machterhalt ausgerichtet sei, dass es ein Treffen von Kriegstreibern sei. Zudem ist ihnen ein zentrales Merkmal der Sicherheitskonferenz ein Dorn im Auge: Dass es Absprachen in Hinterzimmern gibt, von deren Inhalt nichts an die Öffentlichkeit dringt.

Befürworter halten dagegen: Nur so sind Gespräche möglich, die es sonst nicht geben könnte. Wie 2006, als es ein geheimes Treffen zwischen einem Teil der amerikanischen Delegation mit Vertretern aus dem Iran gibt. Hoffnung für dieses Jahr: Angekündigt sind sowohl israelische als auch palästinensische Vertreter. Ob es zu einem Austausch kommt, ist aber offen.

  • Das alljährliche Treffen von Sicherheitspolitikern aus aller Welt im Hotel Bayerischer Hof ist nicht mehr wegzudenken. Wie wurde es so wichtig? Einen Blick hinter die Kulissen ermöglicht die Dokumentation "Hotel Weltpolitik – Inside Münchner Sicherheitskonferenz" nach. Heute Abend um 22 Uhr im BR Fernsehen

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