Ein Demonstrant klebt sich bei einer Straßenblockade der Letzten Generation mit einer Hand auf die Straße.
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Ein Demonstrant klebt sich bei einer Straßenblockade der Letzten Generation mit einer Hand auf die Straße.

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Strategie gescheitert? "Letzte Generation" will ins EU-Parlament

Über 200 Mal hat die "Letzte Generation" in Bayern Straßen blockiert. Doch damit ist jetzt Schluss. Die Klimaaktivisten wollen nun "ungehorsame Versammlungen" abhalten sowie im EU-Parlament Politik machen. Der Sinneswandel kommt nicht von ungefähr.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Vor der Landtagswahl in Bayern klangen die Ankündigungen der "Letzten Generation" noch so: "Wir müssen überall stören und blockieren! Die Regierung kann irgendwann nicht mehr an uns vorbei. Sie können anfangen, uns zu erschießen – gut, hoffentlich machen wir dann weiter." Das waren die Worte von Wolfgang Metzeler-Kick, einem Münchner Aktivisten der Gruppe.

Doch nun hat die "Letzte Generation" einen Strategiewechsel angekündigt. Man wolle nach zwei Jahren Blockaden mithilfe von Sekundenkleber mit "ungehorsamen Versammlungen" wieder mehr Mitstreitende anziehen, so Simon Lachner, ein Sprecher der "Letzten Generation" aus Regensburg - schon in dieser Woche. Außerdem wolle man auch ins EU-Parlament "die Stimme des Protestes und der Straße reinbringen".

Auf welche Protestformen umgestiegen wird

Die "ungehorsamen Versammlungen" sollen wie Kundgebungen mit Redebeiträgen funktionieren. Jedoch werde man nicht auf alle Vorgaben der Behörden eingehen. Die Aktivisten hoffen dabei auf weniger oder keine Repressionen. Es werde eine Form gewählt, bei der "danach kein Nötigungs-Verfahren eröffnet werden muss, sondern alles wird ähnlicher zu üblichen Versammlungen aussehen", meint Simon Lachner.

Zudem setzt die Gruppe jetzt auf direkte Konfrontationen mit Politikern. So wurden jüngst bei einer Veranstaltung der SPD-Europaabgeordneten Katharina Barley auf der Bühne Banner ausgerollt oder bei einer Podiumsdiskussion mit FDP-Finanzminister Christian Lindner konfrontative Fragen gestellt.

Etwa 200 Blockaden in Bayern in den letzten zwei Jahren

In Bayern dürfte es in den letzten zwei Jahren insgesamt über 200 Blockaden der Gruppe gegeben haben. Das Polizeipräsidium München hat auf Anfrage von BR24 für die Landeshauptstadt 115 Aktionen gezählt. Das waren im Schnitt pro Monat etwa vier bis fünf Aktionen.

Die Nürnberger Polizei spricht in den vergangenen zwei Jahren von insgesamt 16 Blockadeaktionen; Passau von 13, Regensburg von 18 Klebeaktionen. Und die Augsburger Polizei hat zwei Klebe-Blockaden registriert. Dazu kommen noch andere Aktionen, zum Beispiel mit Farbe an Gebäuden oder in Museen. Zum Vergleich: In Berlin hat die Gruppe insgesamt rund 550 Proteste und Blockaden veranstaltet.

Protestforscher: "Eigentlich ein Eingeständnis des Scheiterns"

Dass da jetzt keine weiteren Blockaden mehr dazukommen sollen, liege jedoch nicht an einem bewusst geplanten Strategiewechsel, meint Dieter Rucht, Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin. "Es ist eigentlich ein Eingeständnis des Scheiterns, auch wenn es so nicht formuliert wird. Die ‚Letzte Generation‘ konnte so, wie sie das jetzt praktiziert hat, einfach nicht mehr weitermachen."

Sein Fazit zur Protest-Gruppe klingt ernüchternd. Inzwischen fehle es an Leuten, die bereit sind, die hohen persönlichen, finanziellen und juristischen Kosten zu tragen. Außerdem habe sich die breite Öffentlichkeit gegen die Aktionsform gewandt – manchmal sogar mit gewalttätigen Übergriffen auf die Demonstrierenden, so Rucht.

Und noch einen dritten Grund nennt der Protestforscher: "Es gab dann zunehmend auch interne Debatten und Differenzen, welche dazu führten, dass Teile der Führungsmannschaft mehr oder weniger ausgestiegen sind." Es sei eine neue Generation von Aktivistinnen und Aktivisten am Ruder, die einen anderen Kurs verfolgen. Einen Kurs, den man wohl als gemäßigter oder konventioneller beschreiben könnte.

Bundesweit nach eigenen Angaben 4.200 Verfahren

Die juristischen Konsequenzen für ihre Klebeaktionen müssen die Aktivistinnen und Aktivisten jedenfalls tragen. Bundesweit weiß das sogenannte "Legal Team" der "Letzten Generation" auf Anfrage von BR24 aktuell von knapp 4.200 Verfahren, bei denen die Polizei die Ermittlungen abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet hat.

Eine Anklageschrift hat die Aktivistin Wenke bekommen, deren Fall zuletzt am Münchner Amtsgericht verhandelt wurde. Mit zwei Mitstreitern – einem pensionierten Polizisten und einem ehemaligen Ingenieur – hat sie sich im August auf den Münchner Luise-Kieselbach-Platz geklebt und ist nun wegen Nötigung angeklagt.

Geldstrafen für Blockaden gehen in die Hunderttausende

Wenkes Strafe für diese – wie sie es nennt – "normale" Blockade von einer knappen halben Stunde, inklusive Sekundenkleber: 80 Tagessätze von je 15 Euro, also 1.200 Euro. Der ehemalige Ingenieur bekommt 60 Tagessätze je 40 Euro, also 2.400 Euro. Und der pensionierte Polizist 50 Tagessätze je 80 Euro: 4.000 Euro Strafe.

Die Aktivisten gehen in Berufung. Sie wissen aber, dass sie ihre Geldstrafen selbst zahlen werden: insgesamt 7.600 Euro. Eine von Hunderten Blockaden. Viel Geld für die Aktivistin Wenke, die derzeit Bürgergeld bezieht. "Natürlich ist die Auflage eine Geldsorge, weil man täglich damit zu kämpfen hat. Ich frage mich: Wie zahle ich das zurück?", meint sie nach dem Urteil zu BR24. Sie werde die Strafe in 5-Euro-Raten abbezahlen.

Geldsorgen bei der "Letzten Generation"

Nicht nur einzelne Mitglieder, auch die "Letzte Generation" hat insgesamt Geldsorgen. Zwar gebe es immer noch die Finanzierung durch Sympathisanten oder die US-Stiftung "Climate Emergency", doch sei eine neue Stufe erreicht, so Protestforscher Dieter Rucht.

Einerseits häuften sich die Geldstrafen. Außerdem kämen noch zivilrechtliche Klagen dazu, beispielsweise Schadenersatzforderungen von blockierten Fluggesellschaften. "Und da reden wir über ganz andere Größenordnungen. Mögliche Strafen könnten in die Hunderttausende oder gar in die Millionen-Dimensionen gehen." Das überfordere dann definitiv die Mittel der Gruppe.

Die "Letzte Generation" im EU-Parlament?

In dieser Gemengelage hat die "Letzte Generation" nun beschlossen, in ein Parlament gewählt werden zu wollen: das EU-Parlament. Voraussetzung ist, dass sich genügend Mitstreiter bereit erklären, aktiv mitzumachen. Dies sei eine Erweiterung des Protests, hieß es in der Ankündigung der Gruppe.

Simon Lachner von der Letzten Generation Bayern erklärt, dass man im EU-Parlament "Ehrlichkeit reinbringen" wolle. "Wir möchten dort ehrlich die Klimakrise kommunizieren und dadurch den Druck aufbauen, den es braucht, um dort die richtigen Entscheidungen treffen zu können." Die "Letzte Generation" benötigt deutschlandweit 4.500 Unterschriften, die sie dann bei der Bundeswahlleitung einreichen wollen, um als "sonstige politische Vereinigung" auf den Wahlzetteln zur Europawahl im Juni zu erscheinen.

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