In dieser Folge Hofgeflüster trifft Steffi Heiß Helmut Grillmeier auf seinem Milchviehbetrieb. Er war depressiv und hat sich Hilfe geholt.
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In dieser Folge Hofgeflüster trifft Steffi Heiß Helmut Grillmeier auf seinem Milchviehbetrieb. Er war depressiv und hat sich Hilfe geholt.

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Wenn die Kraft ausgeht: Depressionen in der Landwirtschaft

Jeder vierte Landwirt ist Burnout-gefährdet, zeigt eine Umfrage. Trotzdem ist es ein Tabuthema. Betroffene zögern oft lange, bevor sie sich Hilfe holen – aus Angst, dass die Krankheit bekannt wird. Dabei gibt es sehr gute Hilfsangebote, auch anonym.

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Als Landwirt Helmut Grillmeier im Herbst 2021 zusammenbricht, hat er bereits sechs Jahre lang Überlastungssymptome, die auf eine Depression hindeuten. Doch er hat sie alle ignoriert – bis es fast zu spät ist. "Weil ich mich damals noch geschämt habe dafür. Weil ich gewusst hab', wenn ich gehe, muss ein Betriebshelfer herkommen, und dann sehen die anderen, da stimmt irgendwas nicht. Dann fragen die, wo ist der Helmut? Und dann müssen die sagen, der Helmut ist in der psychosomatischen Klinik." Wie bei so vielen Betroffenen ist auch bei Helmut die Angst vor dem Gesichtsverlust in der Gesellschaft riesig.

"In der Landwirtschaft ist es gleich noch schlimmer, da bist du gleich ein Schwächling, wenn du nicht Stärke zeigst den ganzen Tag. Du musst dich beweisen über Leistung, dass du was bringst." Landwirt Helmut Grillmeier

Video: Wie ein depressiver Bauer sein Leben neu ausrichtet

Landwirt mit Leib und Seele – und viel Druck

Gemeinsam mit seiner Frau, den beiden Söhnen und den Schwiegereltern betreibt Helmut einen Milchviehhof in Mitterteich in der Oberpfalz. Rund hundert Milchkühe, dazu die Nachzucht, hundert Hektar Land. Der 44-Jährige ist Landwirt mit Leib und Seele. Doch der Druck, der auf ihm wie auf so vielen Landwirten lastet, ist riesig: Zuständig rund um die Uhr, jedes Jahr mindestens zwei Baustellen, um den Hof zu renovieren, so viel wie möglich selbst umbauen, um Geld zu sparen: "Das ständige Werkeln, immer Funktionieren-Müssen und niemals sagen können: So, jetzt haben wir was geschafft. Ich hab' bloß noch gesehen, was nicht geschafft worden ist. Ich hab' nicht mehr gesehen, was wir schon geschafft haben."

  • Zum Artikel: "Bis die Stalltür schließt: Druck auf Landwirte wächst"

Überlastungssymptome kommen oft schleichend

Besonders in Erinnerung geblieben ist Helmut die Erweiterung des Milchviehstalls im Jahr 2015. Auch hier hat er möglichst viele Arbeiten selbst übernommen. Mitten im Stallumbau, beim Klettern auf dem Gerüst, bekommt er die ersten Symptome: "Ich war nicht mehr schwindelfrei von heute auf morgen."

Mit der Zeit kommen weitere Symptome dazu: Er kann keine Musik mehr hören. Wenn er in der Öffentlichkeit reden muss, beginnt er zu stottern. Warnsignale des Körpers, dass alles zu viel wird. Er leidet darunter, jahrelang. Doch statt Hilfe zu suchen, arbeitet er immer mehr und länger. Die Arbeit wird für ihn immer anstrengender, die Symptome Verbergen fällt immer schwerer.

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Mit Hilfe von Reha und Therapie hat Landwirt Helmut Grillmeier ins Leben zurückgefunden

Hilfsangebot: Krisenhotline der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung

Ein typischer Fall für Heidi Perzl. Sie arbeitet bei der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung, kurz SVLFG, als Beraterin im Telezentrum für seelisch belastete Menschen. Zu Geschäftszeiten können sich Landwirte an das Telezentrum wenden, außerdem gibt es eine Krisenhotline, die 24 Stunden am Tag besetzt ist, auch am Wochenende.

Immer wieder fällt Heidi Perzl auf, wie lange Landwirte warten, bis sie sich Hilfe suchen: "Selbst, wenn erkannt wird, die Kraft geht aus, oder es sind vielleicht sogar schon lebensmüde Gedanken da. Wenn man dann fragt, wie lange geht es Ihnen schon so, dann ist eine Zahl zwischen fünf und acht Jahren wirklich an der Tagesordnung."

Kaum Zahlen zu Betroffenen, Dunkelziffer wohl hoch

Wie viele Landwirtinnen und Landwirte betroffen sind, ist nicht bekannt. Für Deutschland gibt es bislang keine verlässlichen Zahlen. Das Nachrichtenportal "agrarheute" hat 2018 eine Umfrage unter mehr als 1.300 Landwirtinnen und Landwirten durchgeführt. Ergebnis: Jeder vierte Bauer sei Burnout-gefährdet.

Weitere Erkenntnisse liefert die Masterarbeit der Salzburger Psychologie-Studentin Maria Roth aus dem Jahr 2022. Sie kommt zu dem Schluss, dass in Deutschland 4,5 Mal so viele Landwirtinnen und Landwirte von Burnout betroffen sind wie Angehörige der Allgemeinbevölkerung. Einer Studie der Uni Wien zufolge leiden 58 Prozent der befragten österreichischen Landwirte unter Burnout. In Finnland finden sich Zahlen mit bis zu 45 Prozent Burnout-Betroffenen in der Landwirtschaft. 

Sorge der Betroffenen vor Einweisung in eine Klinik ist immens

Für Beraterin Perzl von der SVLFG ist es vor allem wichtig, den Anrufern die Angst zu nehmen, dass etwas passieren könnte, was sie nicht mehr stoppen können. "Es wird immer zusammen mit dem Anrufer entschieden. Wir entscheiden nicht über dessen Kopf hinweg und weisen den ein. Das sind aber tatsächlich die Fragen, die hier ankommen: Was passiert jetzt mit mir?" Dabei geht es erst mal darum, aufzuzeigen, welche Hilfsangebote vorhanden sind.

Es gibt ganz niedrigschwellige Angebote, die Betroffene wahrnehmen können, ohne dass davon jemand etwas erfährt: Möglich ist zum Beispiel eine regelmäßige Telefonberatung. Wer sich den Kummer lieber von der Seele schreibt, statt zu reden, kann das in Form einer Onlineberatung machen. "Und manche sagen dann eben, ich möchte einfach weg vom Betrieb, und ich brauch' mal eine Auszeit, ich muss in eine Klinik, egal, ob es eine Rehaklinik ist oder in eine psychosomatische Klinik. Aber das wird immer zusammen mit dem Betroffenen entschieden."

Reha und Therapie helfen Helmut zurück ins Leben

Auch Helmut wendet sich in seiner Not an die SVLFG und wird dort von Heidi Perzl beraten. Nach einigen Telefonaten ist klar: Helmut muss weg vom heimischen Betrieb. Im Winter 2021 kommt er zunächst auf Reha, denn die Depression hat Spuren hinterlassen: Er hat zehn Kilo verloren, sein Blutdruck spielt verrückt. Anschließend verbringt er mehrere Wochen in einer psychosomatischen Klinik. Dort trifft er einen anderen Landwirt, mit dem er täglich spazieren geht. In sieben Wochen Klinikaufenthalt laufen sie 1.000 Kilometer. "Und ich hab' jeden Schritt gebraucht", sagt Helmut heute über diese Zeit. Freundschaft, Bewegung und Gespräche mit der für ihn richtigen Therapeutin bringen für Helmut den Wendepunkt.

Durch die Therapie erkennt er, dass er bis zum Umfallen gearbeitet hat, um sich die Wertschätzung anderer zu erarbeiten. Heute sieht er das ganz anders: "Ich definiere mich nicht mehr über das, was ich schaffe und was ich nicht schaffe. Ich mach' das, was ich mache, gerne und leidenschaftlich. Aber ich weiß auch: Wenn es mir morgen nicht mehr gefällt, dann mache ich es morgen einfach nicht mehr. Und bin trotzdem noch was wert. Ich denke jetzt so, dass der Betrieb für die Familie da sein muss. Vorher war die Familie für den Betrieb da."

Auch die Angehörigen brauchen Hilfe

Im April 2022 geht es für Helmut Grillmeier schließlich zurück nach Hause - nach über drei Monaten auf Reha und in Therapie. Ein schwieriger Moment für ihn, aber auch für seine Frau und seine Kinder. Gerade die Angehörigen dürfen in solchen Situationen nicht vergessen werden, betont Heidi Perzl von der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung: "Die leiden mit in der Situation. Die wissen teilweise nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Auch die gehen teilweise in unsere telefonische Begleitung, wo man einmal in der Woche oder alle zwei Wochen mit einer Psychologin telefoniert. Damit man gewappnet ist, wenn jemand nach einem langen Krankenhausaufenthalt nachhause kommt."

Auch Helmuts Familie musste sich erst mal zurechtfinden. Es sei eine Erlösung für alle gewesen, heimzukommen, gleichzeitig sei er erst mal wie ein Fremder für seine Familie gewesen, erinnert sich Helmut: "Ich hab' die mit meiner Euphorie, mit meiner Glückswelle überflutet. Ich bin heimgekommen wie ein Tsunami, hab' mir gedacht, wir machen jetzt alles anders. Und ich glaube, meine Frau hat am Anfang starke Zweifel gehabt an mir. Dass ich wieder rückfällig werde. Oder dass sie mich verliert. Das hat lange Zeit gedauert, bis ich ihr vermitteln konnte, dass wirklich alles in Ordnung ist. Dass ich mich da, wo ich jetzt bin, so wohl fühle wie nirgends anders und dass das meine Heimat ist."

Helmut hat sich zurück ins Leben gekämpft. Mittlerweile tritt er sogar als Redner auf und hält Vorträge zum Thema Depression und Burnout in der Landwirtschaft. Er will Mut machen, dass auch andere Betroffene den Schritt wagen, sich Hilfe zu suchen.

In der Serie "Hofgeflüster" besucht Unser-Land-Reporterin Stefanie Heiß Höfe in Bayern. Hier geht es in mehreren Folgen um Themen, über die sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Alle Videos der "Hofgeflüster"-Serie gibt es hier.

Krisenhotline rund um die Uhr erreichbar

Krisenhotline der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung: 0561/78 51 01 01.

Die Krisenhotline kann rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche, auch anonym genutzt werden.

Angebote zur seelischen Gesundheit der SVLFG : www.svlfg.de/gleichgewicht

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