Die Kosten für Kinderbetreuung wurden in einer bayerischen Gemeinde so stark erhöht, dass viele Eltern die Kosten nicht mehr aufbringen können.
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Die Kosten für Kinderbetreuung wurden in einer bayerischen Gemeinde so stark erhöht, dass viele Eltern die Kosten nicht mehr aufbringen können.

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Wenn die Kinderbetreuung mehr kostet, als man verdient

Strom, Gas, Lebensmittel: Alles wird teurer – und jetzt auch noch die Kinderbetreuung: Der schwäbische Markt Kaisheim hat die Gebühren drastisch erhöht. Viele Eltern können das nicht mehr stemmen. Aus Protest gehen sie an die Öffentlichkeit.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Dienstagmittag, 14 Uhr: Maren Wenzel holt ihre zehn Jahre alte Tochter von der Mittagsbetreuung in Kaisheim im Landkreis Donau-Ries ab. Und das zwei Stunden früher als bisher. Denn die längere Betreuungszeit bis 16 Uhr kann sie sich finanziell nicht mehr leisten.

Statt 100 Euro wie im vergangenen Schuljahr müsste sie dafür jetzt 273 Euro pro Monat zahlen. Viele Eltern holen ihre Kinder deshalb nun früher ab. 136 Euro kostet die Betreuung bis 14 Uhr, das sei noch irgendwie zu machen, schließlich müsse sie ja arbeiten, sagt Maren Wenzel. Sie fängt deshalb morgens eher an, ihre Tochter ist dann noch eine Stunde allein - damit sie nachmittags für die Zehnjährige Zeit hat.

Betreuungskosten so hoch, dass sich arbeiten nicht rentiert

Sandra Wiedemann hätte ihre Tochter ebenfalls gerne länger in die Betreuung gegeben. Die Wiedemanns sind aus Donauwörth zugezogen, ihre Tochter könnte in der Betreuung gut Anschluss und Freunde finden. Sie gehe auch gerne dorthin. Aber man müsse sich das eben auch leisten können.

Nicht zu vernachlässigen sei auch die soziale Komponente. Für ihre Tochter sei die Mittagsbetreuung wie eine zweite Familie, sagt Sabine Kleinle-Mangold. Die Kinder bekämen hier eine qualitativ hochwertige Unterstützung. Über die hätte sich auch Teodora Constantiniu gefreut. Als sie allerdings die neuen Preise gesehen habe, habe sie ihre beiden kleineren Kinder gleich wieder abgemeldet. Das hätte mehr gekostet, als sie in ihrem Mini-Job verdiene. Statt wie anfangs bis zu 60 Kinder sind jetzt nur noch bis zu 25 Mädchen und Buben dort zur Betreuung.

Die Rumänin spricht gebrochen Deutsch. Sie könne ihren Kindern nicht gut bei den Hausaufgaben helfen, sagt sie. Ihr ältester Sohn sei noch täglich in die Mittagsbetreuung gegangen, als es noch günstiger war, und habe es dank der guten Unterstützung dort aufs Gymnasium geschafft. Ihre kleineren Kinder bekommen diese Hilfe jetzt nicht. "Es geht einfach nicht", sagt sie traurig. Joana Ditzinger überlegt unterdessen, ob sie nach der Babypause in ein paar Monaten überhaupt wieder anfangen soll zu arbeiten. Mit drei Kindern käme sie bei den Betreuungskosten günstiger weg, wenn sie sich arbeitslos melde, sagt sie und schüttelt den Kopf.

"Kinderbetreuung ist Pflichtaufgabe der Gemeinde"

Während die Eltern diskutieren, hört Gemeinderat Josef Mayer (Freie Bürgerstimme Kaisheim), selbst Vater, aufmerksam zu. Er stehe zwar hinter dem Beschluss, die Gebühren zu erhöhen, denn der sei demokratisch gefällt worden. Er habe aber dagegen gestimmt: Er ist der Meinung, die Kinderbetreuung sei eine Pflichtaufgabe der Gemeinde und von der Allgemeinheit zu tragen: "Wie Radwege oder Sportanlagen", argumentiert er weiter, es gehe auch nicht jeder Radfahren, aber an diesen Kosten müssten sich auch alle beteiligen. Ähnlich sehe er es bei den Kinderbetreuungseinrichtungen. Das bedeute zwar mehr Schulden für die Gemeinde, aber die müsse dann eben an anderen Stellen sparen, wo es weniger soziale Auswirkungen habe.

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Eltern vor der Kaisheimer Grundschule. Sie holen ihre Kinder von der Mittagsbetreuung ab.

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Knappe Mehrheit im Gemeinderat für Erhöhung der Gebühren

Bei der Abstimmung in den Pfingstferien war nur gut die Hälfte des Gemeinderats anwesend. Die Abstimmung fiel knapp aus. Bürgermeister Martin Scharr (PWG) begründet die Erhöhung mit den steigenden Kosten: Während die Ausgaben für das Personal gestiegen seien, seien die staatlichen Zuschüsse nicht erhöht worden.

Es sei ihm klar, dass Kinderbetreuungseinrichtungen nicht kostendeckend arbeiten können. Das Defizit dürfe aber auch nicht zu hoch sein. Deshalb sei eine Erhöhung unumgänglich gewesen. Der Markt Kaisheim sei hier, wie so oft, "Vorreiter". Andere Kommunen würden sicher nachziehen. Finanzschwache Familien sollten sich bei der Gemeinde melden, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, bietet er an.

Kinderbetreuung in anderen Gemeinden viel günstiger

Eine Nachfrage bei anderen Gemeinden vergleichbarer Größe im Landkreis ergibt: Schon vor der Erhöhung mussten die Kaisheimer Eltern mehr zahlen als anderswo. 2021 hatte es schon eine Erhöhung gegeben, jetzt nochmal. Damit sind die Gebühren in Kaisheim jetzt teilweise doppelt so hoch.

Insbesondere die Mittagsbetreuung ist in anderen Gemeinden viel billiger, teils sogar umsonst. Bieten Gemeinden eine Offene oder Gebundene Ganztagsschule (OGTS bzw. GGTS) an, ist das als schulische Veranstaltung grundsätzlich kostenlos. Das bestätigt das bayerische Kultusministerium. Aber auch kommunal geführte Betreuungen werden teils sehr günstig angeboten.

Ein Vergleich mit Mertingen, ebenfalls etwa 4.000 Einwohner, zeigt: Die Mittagsbetreuung bis 17 Uhr kostet dort 95 Euro, für acht bis neun Stunden Betreuung in der Krippe müssen Eltern 210 Euro zahlen. In Kaisheim kostet die entsprechende Mittagsbetreuung 273 Euro, die Krippe für diese Stundenzahl 360 Euro.

Defizit für Kita und Krippe: 740.000 Euro

Obwohl das Defizit für den gemeindlichen Kindergarten und die Kinderkrippe im Jahr 2021 bei rund 740.000 Euro liegt, hat der Mertinger Gemeinderat eine Gebührenerhöhung auf Grund der "extremen allgemeinen Kostensteigerungen für Familien" abgelehnt, , so die Gemeinde. In Kaisheim war das Defizit weniger als halb so hoch. Auch in Augsburg wurde erst kürzlich eine Gebührenerhöhung diskutiert. Nach massiven Protesten von Eltern wurde eine moderatere und schrittweise Erhöhung beschlossen.

Kaisheim: Eltern hoffen auf Einlenken des Gemeinderats

Die Kaisheimer Eltern hoffen, dass sie mit ihrem Protest Ähnliches bewirken können. Sie haben an Politiker geschrieben und Widerspruch gegen die Erhöhungen eingelegt - und gehen an die Öffentlichkeit. "Wir wollen Transparenz schaffen. Momentan fühlen wir uns ohnmächtig und hilflos, aber wir hoffen, dass der ein oder andere Gemeinderat doch erkennt, dass ein Kind mehr als ein Kostenfaktor ist“, sagt Martin Praßler. Und seine Frau fügt an: "Wenn Kaisheim hier Vorreiter sein soll, wie der Bürgermeister sagt – wo reiten wir denn da hin, wenn ich mich entscheiden muss, kann ich arbeiten oder muss ich zuhause bleiben, weil ich mir die Kinderbetreuung nicht leisten kann?"