Nachklärbecken einer Kläranlage
Bildrechte: picture alliance / Jochen Tack

Nachklärbecken einer Kläranlage (Symbolbild)

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Warum Weißenburgs Kläranlage das sauberste Abwasser Bayerns hat

Immer mehr Rückstände von Medikamenten landen im Abwasser und damit irgendwann in der Natur. Die Kläranlage im fränkischen Weißenburg kann mit Ozon und Aktivkohle die Spurenstoffe weitgehend beseitigen. Warum folgen bisher nur wenige dem Beispiel?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Es ist ein gutes Gefühl", sagt Abwassermeister Tobias Frühauf, "man tut etwas Gutes für die Umwelt." Das Wasser, das von der Kläranlage im mittelfränkischen Weißenburg in das Flüsschen Schwäbische Rezat geleitet wird, ist glasklar und nicht nur optisch richtig sauber. Die Kläranlage im mittelfränkischen Weißenburg hat in einer vierten Reinigungsstufe auch winzige Teilchen von Chemikalien aus dem Wasser beseitigt: Rückstände von Medikamenten und Reinigungsmitteln.

Weißenburgs Kläranlage arbeitet mit Ozon und Aktivkohle

Die sogenannte vierte Reinigungsstufe von Kläranlagen wurde für Bayern in der Kleinstadt Weißenburg getestet. Sie ist rechnerisch für 35.000 Menschen ausgelegt, mit Krankenhaus. Und es ist nur ein schmales Flüsschen, in dem das Abwasser anschließend landet. Weil die verschiedenen chemischen Stoffe unterschiedlich reagieren, entschied man sich für ein doppeltes Verfahren:

Zunächst wird das gereinigte Wasser mit Ozon beschossen und anschließend über einen Aktivkohlefilter geleitet. Durch die spezielle Ozonbehandlung ist es die sauberste Kläranlage in Bayern. "Damit können wir bis zu 87 Prozent der problematischen Stoffe eliminieren", sagt Martina Hanke, zuständige Bauingenieurin bei der Stadt Weißenburg. Seit dem Jahr 2017 steht die Anlage, vier Jahre lang wurden die Versuche intensiv wissenschaftlich begleitet. Die Wissenschaftler zogen eine positive Bilanz.

Was unser Wasser belastet

Auf sechs problematische, chemische Stoffe konzentrierten sich die Wissenschaftler, darunter vier Medikamentenwirkstoffe. Sie sind weitverbreitet und gehen in Apotheken täglich mehrmals über den Ladentisch. Darunter sind der Blutdrucksenker HCT (Hydrochlorothiazid) und das Schmerzmittel Diclofenac. Letzteres wird auch in Salben gegen Sportverletzungen verwendet. Das Rostschutzmittel Benzotriazol etwa ist in Geschirrspül-Tabs enthalten. All diese Stoffe sind biologisch nicht abbaubar, werden also in Bäche und Flüsse gespült und wirken sich schädlich auf Lebewesen aus, vor allem auf Wirbeltiere im Wasser.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund der Kommentare der Nutzer:in "seerose" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.

Unter den drei weiteren chemischen Stoffen, auf die man sich konzentriert hat, ist mit Methylbenzotriazol ein weiteres Korrosionsschutzmittel zu finden. Darüber hinaus mit Sulfamethoxazol ein Antibiotikum, welches vor allem bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen und Lungenentzündungen eingesetzt wird. Schließlich gehört zu den untersuchten Stoffen noch Carbamazepin, ein Psychopharmakon. Eingesetzt wird es meist in der Behandlung von epileptischen und nicht-epileptischen Krampfanfällen. 💬

LfU hält Schmerzmittel für besonders problematisch

Fließt ausreichend Wasser, sieht das Landesamt für Umwelt (LfU) wenig Probleme. Allerdings kann es bei niedrigen Pegeln und hohen Temperaturen für Fische und andere Lebewesen schwieriger werden. Vor allem, wenn schädliche Stoffe ständig im Wasser vorhanden sind.

Für problematisch hält das Landesamt das Schmerzmittel Diclofenac. In einer umfangreichen Studie stellten Forschende des LfU bei Regenbogenforellen Schäden an Nieren und Kiemen fest, wenn diese vier Wochen lang mit dem Wirkstoff in Berührung gekommen waren. Es ist auch in Schmerzsalbe enthalten, die bei Gelenk- oder Muskelschmerzen verwendet wird.

Die vierte Reinigungsstufe in Weißenburg kann diese Stoffe unschädlich machen. Die Wissenschaftler vom Bayerischen Landesamt für Umwelt haben nachgewiesen, dass hinter der Kläranlage Weißenburg kaum noch Hormone im Abwasser waren. "Die Wissensbasis für den Bau und Betrieb weiterer Anlagen zur Spurenstoff-Elimination konnte durch die Ergebnisse aus Weißenburg deutlich erweitert werden", so das Landesamt.

Erfahrungen positiv – aber wenig Nachahmer

Die Anlage in Weißenburg läuft seit anderthalb Jahren im Regelbetrieb. 3,7 Millionen Euro hat der Aufbau der vierten Reinigungsstufe gekostet, einen großen Teil davon hat die bayerische Staatsregierung finanziert. Rechnerisch kostet die Extra-Chemie-Reinigung pro Bürgerin und Bürger weniger als 20 Euro im Jahr. Und trotzdem sind bisher nicht viele Kommunen dem Beispiel Weißenburgs gefolgt. Bei den Betriebskosten in Höhe von rund 100.000 Euro im Jahr fallen rund die Hälfte der Kosten für Strom an. Aus flüssigem Sauerstoff wird mit Strom das Ozon hergestellt. "Ein Problem sind steigende Energiekosten", sagt Abwassermeister Frühauf.

Die vierte Reinigungsstufe der Kläranlage Weißenburg kann auch Reste von Medikamenten und Rostschutz aus dem Abwasser filtern.
Bildrechte: BR / Ulrike Lefherz
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Die vierte Reinigungsstufe der Kläranlage Weißenburg kann auch Reste von Medikamenten und Rostschutz aus dem Abwasser filtern.

Bayerns Großstädte sollen Geld für ihre Kläranlagen bekommen

Die bayerische Staatsregierung hat Anfang des Jahres ein Förderprogramm für weitere 13 Kläranlagen aufgelegt. Diese sind in einem umfassenden Konzept als "fachlich sinnvoll" identifiziert worden, teilt das Umweltministerium mit. Die großen bayerischen Städte könnten diese Förderungen beantragen, für Kläranlagen sind die Kommunen zuständig. Die Landesregierung hat für die kommenden vier Jahre 16 Millionen Euro dafür eingeplant. Insgesamt gibt es nach Angaben des Umweltministeriums rund 2.300 kommunale Kläranlagen in Bayern. Das Klärwerk in Neu-Ulm betreibt eine vierte Reinigungsstufe mit Aktivkohlefiltern für Abwässer aus Bayern und Baden-Württemberg.

Immer mehr Blutdrucksenker und Schmerzmittel im Umlauf

Einen steigenden Verbrauch von Arzneimitteln beobachten Apothekerinnen in Weißenburg. "Früher hat man Schmerzen eher ausgehalten, weil man die Nebenwirkungen fürchtete", sagt Apothekerin Christiane Krug. Heute würden sie häufiger verwendet. Auch werde der Bedarf an blutdrucksenkenden Arzneimitteln in Zukunft steigen, vermutet sie. Mit den Ausscheidungen landen diese Stoffe im Abwasser. In Zeiten klimatischer Veränderungen und zunehmender Trockenheit wächst das öffentliche Interesse an Abwasser-Fragen.

Bayern will 90 Anlagen nachrüsten

Die Grünen im bayerischen Landtag mahnten im Frühjahr mehr Tempo beim Ausbau der vierten Reinigungsstufen an. Die Staatsregierung wolle langfristig 90 Kläranlagen nachrüsten, vor allem im Einzugsgebiet des Mains, teilt das Umweltministerium mit. Diese Region, einschließlich großer Kläranlagen in Mittelfranken, habe sich als eine der Schwerpunktregionen herausgestellt. Derzeit plant das Klärwerk Erlangen eine vierte Reinigungsstufe, ebenso mit Ozon und Aktivkohle. Hierbei wird das Abwasser von 190.000 Einwohnenden behandelt. Im Juli hat die Staatsregierung Fördergelder dafür zugesagt. Auch Lindau am Bodensee arbeitet an konkreten Planungen für die vierte Reinigungsstufe mit Aktivkohle.

Wasser-Reinigung von chemischen Stoffen bisher freiwillig

Wer Abwasser auch von chemischen Stoffen reinigt, tut das bisher freiwillig. Weder die EU noch die Bundesregierung haben dazu Gesetze erlassen, so das bayerische Umweltministerium. Die Europäische Union plant, vierte Reinigungsstufen ab 2035 vorzuschreiben. Der Entwurf der kommunalen Abwasserrichtlinie der EU ist allerdings bisher nicht beschlossen. Wenn Kläranlagen-Betreiber also eine vierte Reinigungsstufe einbauen, tun sie das derzeit als freiwillige Vorsorgemaßnahme. Das Umweltministerium betont, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele Milliarden Euro in den Ausbau von Kläranlagen geflossen seien. Die Wasserqualität habe sich dadurch insgesamt deutlich verbessert.

  • Lesen Sie hier: "Energiekrise: Auch Auswirkungen auf bayerische Kläranlagen"

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!