Ein silberfarbenes Auto steht auf einem oder überquert ein Bahngleis in einigen Metern Entfernung.
Bildrechte: picture alliance / dpa | Friso Gentsch

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 50 Menschen an Bahnübergängen ohne Schranken. Wie kann das heutzutage noch sein?

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Vermeidbare Todesopfer an bayerischen Bahnübergängen

Immer wieder sterben Menschen beim Überqueren von ungesicherten Bahnübergängen. Schranken könnten die meisten Unfälle verhindern, aber oft scheitert deren Ausbau. Dabei sind sie eigentlich gesetzlich vorgeschrieben. Ergänzt durch "Dein Argument".

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Jedes Mal, wenn Bertram Stüber mit dem Zug auf einen unbeschrankten Bahnübergang zusteuert, fährt die Angst mit. Mit jedem Meter fühlt sich der Lokführer der Situation weiter ausgeliefert. "Man hat keine Chance", sagt er. Ein unaufmerksamer Moment beim Autofahren, ein Kind, das die Gefahr nicht richtig einschätzt, ein kleiner Fehler reicht aus für eine Tragödie. "Einmal die Woche ist irgendwo eine Schicht dabei, wo man denkt: Das war knapp. Da hat einer nicht aufgepasst. Gott sei Dank hat er es noch erkannt", erzählt Stüber im BR-Politikmagazin Kontrovers.

Mehr als die Hälfte der Bahnübergänge in Bayern unsicher

In Bayern sind mehr als die Hälfte der etwa 3.000 Bahnübergänge unbeschrankt. Allein im vergangenen Jahr kam es zu 35 Unfällen und sieben Toten, in den Jahren vorher waren es teils deutlich mehr. Ein Bundesgesetz legt schon lange das Ende dieser Gefahrenpunkte fest und will diese durch Brücken und Tunnel ersetzen.

❗❗ Das Eisenbahnkreuzungsgesetz (EBKrG) schreibt vor, dass Kreuzungen zwischen Eisenbahnschienen und Straßen als Überführungen, also zum Beispiel, in Form einer Brücke hergestellt werden müssen. Allerdings gilt das nur für Kreuzungen, an denen entweder Schiene oder Straße seit dem Jahr 1964 neu hinzugekommen sind. Seit 1964 deshalb, weil das Gesetz aus diesem Jahr resultiert und sich damals explizit auf neue Anlagen bezog. Allerdings, so heißt es in dem Gesetz weiter, könnten in Einzelfällen auch Ausnahmen zugelassen werden, insbesondere bei schwachem Verkehrsaufkommen auf beiden Verkehrswegen.

Eisenbahnkreuzungen müssen abgesichert werden

Aber auch ältere Kreuzungen müssen abgesichert werden, beispielsweise durch technische Sicherungsanlagen wie Schranken oder Lichtsignale oder durch andere Baumaßnahmen, die den Verkehr reduzieren, wenn es die Sicherheit verlangt. Eine generelle Vorschrift zum Bau von Schranken gibt es demnach nicht.

Die Anordnungsbehörde in Bayern ist die jeweilige Bezirksregierung. Sie kann entsprechende Sicherungsmaßnahmen einfordern, wenn es die Sicherheit oder die Abwicklung des Verkehrs erfordern. Die Kosten für die Sicherungsmaßnahmen tragen die Eigentümer von Straße oder Schiene, je nachdem, wer zuletzt gebaut hat.

Mitdiskutieren lohnt sich: Die vorangegangene Passage hat die Redaktion aufgrund eines Kommentars von BR24 User "senex" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt. ❗❗

Der Fall Soyen: Viele Unfälle, trotzdem keine Schranken

Aber die Umsetzung scheitert oftmals an lokalen Konflikten, so auch in Soyen bei Wasserburg. Dort teilt eine Bahnstrecke den ganzen Ort, an den Übergängen kommt ungewöhnlich häufig zu Unfällen. In den vergangenen Jahren sind sieben Menschen gestorben. Inzwischen hat die Gemeinde ein Gesamtkonzept vorgelegt, bei dem die drei verbliebenen unbeschrankten Bahnübergänge modernisiert werden sollen, wie es heißt.

Streit um Vogelschutzhecke verhindert Modernisierung

Derzeit passiert in Soyen aber nichts. Denn damit die Gemeinde ihre Pläne umsetzen kann, müsste sie eine Vogelschutzhecke abreißen. Deren Besitzerin Gerlinde Ecklmaier aber will das nicht. "Erstens, weil das Naturschutz ist, schon seit über 30 Jahren. Und zweitens aus persönlichen Gründen", erklärt sie. "Das Geräusch von der Eisenbahn. Zumindest im Sommer hört man fast nichts. Im Winter hört man es bis ins Schlafzimmer."

Anwohnerin fordert Sperrung des Bahnübergangs

Statt die Hecke zu entfernen, fordert Ecklmaier die Schließung des Bahnübergangs. So sei es ausgemacht gewesen, sagt sie. Die lokale Politik wiederum macht Familie Ecklmaier dafür verantwortlich, dass die Modernisierung der Bahnübergänge nicht vorankommt. Das Ergebnis: Zunächst bekommt keine der drei Bahnübergänge im Ort eine Schranke.

Lokführer war selbst schon mal in tödlichen Unfall verwickelt

Für Lokführer Bertram Stüber sind die ungesicherten Bahnübergänge eine große psychische Belastung. Er weiß, was es heißt, jemanden mit dem Zug zu erfassen. Er erinnert sich noch genau an den Tag vor zehn Jahren, als sein Zug mit 110 Kilometer Geschwindigkeit auf ein Auto prallte. Das Fahrzeug wurde 700 Meter mitgeschleift, eine Frau kam ums Leben. "Man hört einen Schlag. Ich sehe noch, dass der Autotürgriff sich bei mir im Scheibenwischer verhangen hat", erzählt er. "Das vergisst man nicht so einfach." Seitdem fragt er sich: Was hätte man machen können? "Das arbeitet in einem", sagt er.

Staatsregierung verweist auf andere Verantwortliche

Die bayerische Regierung weist die Verantwortung von sich. "Die Sicherung von Bahnübergängen ist eine Gemeinschaftsaufgabe der für die Eisenbahnanlage und die Straßenanlage Verantwortlichen", heißt es auf Kontrovers-Anfrage. "Diese entscheiden auch, ob es einen Bahnübergang gibt und wie dieser im jeweiligen Einzelfall zu sichern ist."

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!