Blick durch eine Folie mit Hinweisen zur Unterstützung bei Alltagsfragen in deutscher, türkischer und englischer Sprache
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Trotz Rekordzuwanderung – Ampelregierung kürzt bei Integration

Die Zahl der Asylanträge hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, dazu kommen viele Flüchtlinge aus der Ukraine. Anstatt aufzustocken, plant die Bundesregierung aber Kürzungen bei der Beratungshilfe für Migranten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Beim bayerischen Landesverband der Arbeiterwohlfahrt kann der Vorsitzende nur den Kopf schütteln. Laut Haushaltsentwurf will die Ampelregierung 2024 deutlich weniger für Integration ausgeben. Allein die Mittel für die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte sollen um 30 Prozent (von 81,5 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 57,5 Millionen 2024) gekürzt werden – obwohl im vergangenen Jahr so viele Menschen nach Deutschland gekommen sind wie noch nie.

Im Jahr 2022 sind 2,7 Millionen Menschen nach Deutschland zugewandert, darunter 1,2 Mio. Geflüchtete allein aus der Ukraine – das ist die höchste Zahl seit Beginn der statistischen Aufzeichnung im Jahr 1950. In diesem Jahr liegt die Zahl der Asylanträge bereits über dem vergleichbaren Vorjahresniveau. Für den bayerischen AWO-Co-Chef Stefan Wolfshörndl sind die Kürzungen ein Schritt in die falsche Richtung. Im Interview mit BR 24 erklärt er: "Wenn wir eine Integration in die Gesellschaft wollen, da muss ich die ordentlich begleitend beraten und kann nicht mit dem Rasenmäher über die Haushaltsstellen rübergehen."

Bayerischer AWO-Chef: "Eigentlich müsste aufgestockt werden!"

Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, zu der neben der Arbeiterwohlfahrt unter anderem auch die Caritas und die Diakonie gehören, gibt es bundesweit 1.200 Beratungseinrichtungen, die über 500.000 Beratungen pro Jahr durchführen. Die Beratungen sind bei Migranten gefragt; laut Arbeiterwohlfahrt ist der Andrang in Bayern so hoch, dass nur noch mit Terminvergabe beraten wird. Vom Bayerischen Roten Kreuz heißt es auf BR24-Anfrage, dass die Anzahl der Beratungsgespräche 2022 um fast ein Drittel gestiegen ist.

Einige Beratungsstellen werden wohl schließen müssen

Wegen Unterfinanzierung musste die Arbeiterwohlfahrt im Frühjahr bereits eine Migrationsberatung in Aschaffenburg schließen. Jetzt fürchtet man, dass weitere folgen könnten und nicht nur bei der Arbeiterwohlfahrt, auch bei anderen Trägern, schätzt Wolfshörndl: "Es werden ja jetzt schon Eigenmittel aufgebracht seitens der Träger, um überhaupt diese Beratungsstellen zu finanzieren und offenzuhalten. Und wenn sie nicht wissen, wie es dann weitergeht, müssen sie ja letztendlich im Blindflug sagen, okay, wir beantragen diese Stellen wieder, wissen aber noch gar nicht genau, wie viel Geld wir dafür bekommen."

Wie viel die bayerischen Träger aufgrund der geplanten Kürzungen einsparen müssten, lasse sich noch nicht genau sagen, sie dürften aber auch bei 30 Prozent liegen, so Wolfshörndl. Beim BRK ist die Prognose ähnlich. Laut BRK-Vizepräsidentin Brigitte Meyer ist zu erwarten, dass Kürzungen vollständig die Bundesländer treffen werden, also 30 Prozent Mittelrückgang. Für das BRK könnte das den Abbau von ca. 6,5 der derzeit 22 bayernweiten Stellen bedeuten, so Meyer: "Schon jetzt gibt es Schwierigkeiten, Fachkräfte für die Migrationsberatung zu gewinnen. Unsichere Finanzierungen und wiederkehrende Haushaltsdebatten führen zu Abwanderung von Sozialpädagogen. Die Kürzungen 2024 könnten viele Fachkräfte endgültig veranlassen, den Bereich zu verlassen."

Nicht nur bei Migrationsberatung soll gekürzt werden

Ebenso paradox wären aus Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege die von der Ampelregierung vorgesehenen Kürzungen bei der Asylverfahrensberatung und den Psychosozialen Zentren. Die Psychosozialen Zentren würden von 17 Mio. auf 7 Mio. Euro gekürzt, kritisiert die Bundesarbeitsgemeinschaft in einer Pressemitteilung. Der nun drohende Abbruch zahlreicher Therapien sei verheerend.

Arbeiterwohlfahrt bittet Staatsregierung um Hilfe

Der AWO-Co-Vorsitzende Stefan Wolfshörndl, selbst SPD-Kommunalpolitiker und Bürgermeister von Gerbrunn im Landkreis Würzburg, hat vor kurzem mit seiner Co-Vorsitzenden Nicole Schley die bayerische Staatsregierung um Hilfe gebeten. Im Rahmen der Bund-Länder-Gespräche solle sie ihren Einfluss gegen die Kürzungen im sozialen Bereich geltend machen. Eine Antwort hat Wolfshörndl von der Staatsregierung zwar noch nicht bekommen, doch auch der Freistaat kritisiert die Ampelregierung für die Pläne.

Bayern kritisiert Kürzungen der Ampelregierung scharf

Für den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sind die Kürzungen der Bundesmittel für Integration ein Armutszeugnis. In einer Pressemitteilung schreibt er: "Anstatt sich endlich für eine gesteuerte Zuwanderung einzusetzen, verfolgt der Bund weiterhin stur eine Migrationspolitik der offenen Tür. Gleichzeitig wälzt der Bund mehr und mehr die Verantwortung und die Kostenlast auf die Länder und Kommunen ab, die bereits jetzt am Anschlag sind."

Auch innerhalb der Ampel gibt es Widerstände

Ganz einig scheint sich die Ampelregierung aber selbst noch nicht über die Kürzungen zu sein. Es gibt Widerstand gegen die Kürzungspläne des FDP-Finanzministeriums. Zum Beispiel von der SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken. In einem Interview mit den Tagesthemen kritisierte sie die geplanten Kürzungen, während das Bundesinnenministerium ihrer Parteifreundin Nancy Faeser (SPD) die Pläne verteidigte. Auf Anfrage von BR24 schreibt das Bundesinnenministerium: "Der Politikbereich Integration/Migration hat auch im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 höchste Priorität." Für die Sozialverbände dürfte das wenig tröstlich sein. Sie hoffen dennoch auf ein Umdenken. Schließlich muss das Parlament dem Haushaltsentwurf noch zustimmen.

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