Senioren am Steuer: Braucht es Eignungstests?
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Eine über 90-jährige Frau sitzt hinter dem Lenkrad eines Autos.

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Senioren am Steuer: Braucht es Eignungstests?

Ältere Menschen sind häufiger Hauptverursacher von Verkehrsunfällen als jüngere. Die EU fordert nun von den Staaten, Maßnahmen einzuführen, um die Fahrtauglichkeit zu überprüfen. "Kontrovers - Die Story" hat Rentner beim Fahrtraining begleitet.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Ingrid, Emi und Michael stehen auf einem großen Asphaltgelände und blicken nervös auf die orangefarbenen Slalomhütchen, die für sie aufgestellt wurden. Gleich beginnt das Verkehrstraining für Senioren, an dem sich die drei freiwillig angemeldet haben – organisiert von der Landesverkehrswacht Bayern.

Der heutige Tag ist für sie nicht nur eine Übung. Er ist vor allem ein Selbsttest: Die Rentner wollen wissen, ob sie wirklich noch fahrtauglich sind. "Ob meine Reaktion noch ausreicht für den Stadtverkehr", wie Ingrid sagt. "Ich bin da, weil ich bestätigt haben will, dass ich noch fahren kann", sagt Emi. Und: "Ich bin der Meinung, dass man immer noch was lernen kann, egal wie alt man ist", so Michael.

Senioren gelten im Verkehr als Risikogruppe

Das Fahrtraining in Abensberg ist ein freiwilliges Angebot. Verpflichtende Trainings oder Fahrprüfungen für Senioren gibt es in Deutschland nicht, die Fahrerlaubnis gilt ein Leben lang. Doch genau das ist umstritten: Zwar sind ältere Menschen vergleichsweise seltener in Unfälle verstrickt als jüngere. Wenn aber doch, sind sie oft Hauptverursacher – bei den über 75-Jährigen sogar in drei Vierteln aller Fälle. In der Unfallforschung werden sie als Risikogruppe bezeichnet.

Dennoch gelten für sie dieselben Regeln wie für andere Verkehrsteilnehmer. Wer mit schweren oder wiederholten Verkehrsverstößen auffällt, muss zu einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung, kurz MPU. Dabei wird geprüft, ob von dem Fahrenden zukünftig keine Gefahr zu erwarten ist. Für Senioren kann das der Moment sein, an dem sie den Führerschein abgeben müssen. Bis es aber soweit ist, muss etwas gravierendes passiert sein.

Experten plädieren für bessere Kontrolle von Senioren

Einige Experten halten das für den falschen Weg. "Wir haben drei Probleme", sagt Unfallforscher Siegfried Brockmann im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers. "Das eine ist das Motorische: Man kann beispielsweise keinen Schulterblick mehr machen. Dann haben wir medizinische Probleme, beispielsweise Demenzstadien."

Hinzukämen sogenannte "kognitive Defizite" und ein langsameres Reaktionsvermögen, also Probleme bei der Entscheidung komplexer Sachverhalte. Brockmann sieht es daher kritisch, dass Senioren im Straßenverkehr nicht besser kontrolliert würden. Er glaubt, dass freiwillige Rückmeldefahrten, bei denen ein Fahrlehrer Senioren ihre Fehler aufzeigt, Unfälle verhindern könnten.

Senioren sind gegen verpflichtende Fahrtauglichkeitsprüfungen

Die drei Senioren in Abensberg kennen die Diskussion. Sie halten nichts von verpflichtenden Fahrtests für Ältere. "Die Jungen machen auch Unfälle", sagt Emi. "Ich möchte nicht alle fünf Jahre einen Führerscheintest machen, ob ich noch gut Auto fahren kann. Das ärgert mich jedes Mal, wenn ich das höre."

Die 70-Jährige steigt ins Auto. Für sie beginnt nun die erste Übung: Slalom. Vorsichtig umfährt sie die Hütchen. Als sie fertig ist, stehen alle noch. Auch die zweite Übung – Wenden auf engem Raum – gelingt ihr fehlerfrei. Nur bei der Notbremsübung stößt sie an ihre Grenzen. Beim Treten auf das Bremspedal erschrickt sie. "Ich hoffe, ich brauche das nie, wenn ich im Verkehr unterwegs bin, weil das nicht schön ist", sagt sie.

Als nächstes ist Ingrid dran. Auch sie fährt vorsichtig und aufmerksam, schafft die Übungen. Auch wenn es heute gut läuft, macht sie sich jetzt schon Gedanken über den Tag, an dem das Fahren zu unsicher werden könnte. "Ich hoffe, dass ich das selber merke", sagt sie. "Ich habe letzte Woche zu meiner Tochter gesagt, dass ich nicht möchte, dass sie mir sagt: Fahr' nicht mehr Auto."

Als letztes ist Rentner Michael dran. Die Slalomfahrt gelingt ihm knapp, er fährt deutlich schneller als die Frauen. Bei der Wendeübung übersieht er eine Stange und fährt sie um. Für ihn ist das Autofahren nicht nur ein Mittel zur Fortbewegung, es macht ihm auch Spaß. "Früher, vor 50 Jahren, war Autosport mein Hobby", erzählt der ehemalige Go-Kart-Fahrer. Sollte er eines Tages nicht mehr fit genug fürs Auto sein, hofft er, dass jemand den Mut aufbringt, ihm das zu sagen. "Ich bin der Meinung, dass man es selbst nicht merkt, weil es ein schleichender Prozess ist. Man muss sich von Angehörigen sagen lassen: Du, hör‘ mit dem Autofahren auf."

EU-Kommission will Gesundheitsprüfungen ab 70

Auch die EU-Kommission beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie man Senioren am Steuer kontrollieren sollte. Ein aktueller Entwurf zur Änderung der Führerschein-Richtlinie sieht vor, dass der Führerschein für Menschen ab dem 70. Lebensjahr alle fünf Jahre erneuert werden muss.

Geknüpft sein soll die Führerschein-Verlängerung bei Autofahrern dieser Altersgruppe daran, dass sie entweder eine Selbsteinschätzung vorlegen oder eine medizinische Untersuchung. Welche Maßnahme vorgeschrieben wird, bestimmen die Mitgliedsländer selbst, teilt die EU-Kommission auf Anfrage von Kontrovers mit:

"Ab dem 70. Lebensjahr schlägt die EU-Kommission nun eine Erneuerung alle fünf Jahre vor, die an spezifische Maßnahmen zur Feststellung der Fahrtüchtigkeit gekoppelt sein soll. Die Art der Maßnahme liegt im Ermessen des Mitgliedstaates, in dem der Fahrer seinen Wohnsitz hat", heißt es in dem Entwurf.

Bundesverkehrsministerium ist gegen Kontrollmaßnahmen

Die meisten EU-Staaten schreiben bereits jetzt schon medizinische Untersuchungen für Senioren am Steuer vor. Nur in Deutschland, Österreich, Schweden und Malta gibt es keinerlei Auflagen für Ältere. Und das soll in Deutschland auch erstmal so bleiben.

Das Bundesverkehrsministerium teilte auf Kontrovers-Anfrage mit: "Der Nutzen regelmäßiger Gesundheitsuntersuchungen ohne konkreten Anlass konnte (…) bislang wissenschaftlich nicht bewiesen werden." Diese Position wolle die Bundesregierung auch bei den anstehenden Verhandlungen im Rat so vertreten und sich gegen eine EU-Änderung der Führerschein-Richtlinie stellen.

Senioren bestehen Fahrprüfung unter realen Bedingungen

Für die Senioren geht es jetzt zur letzten Übung des Tages: 20 Minuten unter Beobachtung eines Fahrlehrers im echten Straßenverkehr. Jetzt wird sich zeigen, wie fahrtauglich sie wirklich noch sind. Michael setzt sich hinter das Steuer. Konzentriert folgt er den Anweisungen des Fahrlehrers. Zebrastreifen, enge Straßen, Fahrradfahrer, Kinder am Straßenrand. Als er im Anschluss auf das Urteil des Fahrlehrers wartet, steigt die Aufregung. Als er hört, dass er "bestanden" hat, ist er erleichtert. Auch die Frauen bekommen ein positives Urteil von den Profis: Sie sind ebenfalls noch fahrtauglich.

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