Notarzt und Sanitäter bereiten sich in Pfaffenhofen auf ihren Einsatz vor.
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Der Notarztstandort Pfaffenhofen war häufig nicht besetzt. Notärzte, Klinik und die Kassenärztliche Vereinigung suchen nach Lösungen.

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Notarztmangel auf dem Land - Pfaffenhofen sucht Lösung

Der Notfalldienst in Bayern funktioniert, betont das Innenministerium. Doch vor allem auf dem Land gibt es bedenkliche Lücken. Ein Beispiel ist der Notarztstandort Pfaffenhofen an der Ilm. Dort suchen sie nach Lösungen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Notarzt Georg Maier wartet. Und das immer wieder. Zwischen seinen Einsätzen vergeht oft viel Zeit. Am Notarztstandort Pfaffenhofen gibt es innerhalb von 24 Stunden Bereitschaft in der Regel nur vier Einsätze, so der langjährige Erfahrungswert. Das klingt zwar entspannt, macht den Bereitschaftsdienst aber für viele Mediziner unattraktiv. Denn die Stundenpauschale ist mit rund 25 Euro niedrig. Der Verdienst steigt erst durch die Vergütung der Einsätze: Für sie zahlen die Kostenträger, also die gesetzlichen Krankenkassen, gut 61 Euro zusätzlich. Weil es an den ländlichen Standorten viel weniger Einsätze gibt als in dichtbewohnten Städten, verdienen die Notärzte auf dem Land im Schnitt weniger.

Georg Maier ist Facharzt für Anästhesiologie mit eigener Praxis. Wie ein halbes Dutzend anderer freiberuflicher Ärzte auch leistet er die Bereitschaftsdienste als Notarzt trotz der schlechten Bezahlung "aus Überzeugung". Für Maier gehört "der Notarztdienst einfach zum Arztberuf. Und es ist letztlich – unabhängig von der Vergütung – eine Tätigkeit, bei der man weiß, dass man oft wirklich gebraucht wird und auch was Sinnvolles macht". Doch bei allem Idealismus bleiben häufig Notarztschichten unbesetzt.

Drastische Engpässe gerade an Wochenenden und Feiertagen

Besonders an Wochenenden und Feiertagen kommt es zu Engpässen. Dramatisch war es am 1. Weihnachtsfeiertag. Da waren gleichzeitig fünf Notarztstandorte in der Region Ingolstadt nicht besetzt: neben Pfaffenhofen auch noch Schrobenhausen und Neuburg an der Donau sowie Geisenfeld und Kösching. Der Mangel am Notarztstandort Pfaffenhofen zog sich 2022 über das gesamte Jahr.

Zwar steht in der örtlichen Ilmtalklinik immer ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) bereit, um den Notarzt zum Einsatzort bringen. Allerdings fehlte es im vergangenen Jahr häufig an eben diesem Notarzt: Nur 72 Prozent der Bereitschaftsstunden waren abgedeckt. Das bestätigen die freiberuflichen Notfallmediziner um Georg Maier wie auch der Geschäftsführer der Ilmtalklinik, Christian Degen, gleichermaßen.

In Pfaffenhofen beteiligen sich sowohl freiberufliche Mediziner als auch Ärzte der Ilmtalklinik an der Besetzung des Notarztdienstes. Während die freiberuflichen Mediziner die Abend- und Nachtstunden sowie die Wochenenden abdecken, übernehmen festangestellte Krankenhausärzte diese Bereitschaftsdienste tagsüber unter der Woche – während ihrer Dienstzeit an der Ilmtalklinik.

Das System hat klare Grenzen. Muss einer der Klinikärzte operieren, meldet er sich und das Notarzteinsatzfahrzeug in Pfaffenhofen bei der Leitstelle in Ingolstadt als nicht verfügbar ab. Endet seine Dienstzeit in der Klinik, ebenso. Personalmangel, Urlaub und krankheitsbedingte Ausfälle schmälern die möglichen Einsatzzeiten zusätzlich. Dennoch können auf diese Weise viele Bereitschaftsstunden besetzt werden. Eine Vergütung für die Freistellung ihrer Ärzte erhält die Klinik dafür derzeit nicht, denn ein entsprechender Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung fehlt bislang.

Lösungsmodell der festangestellten Notfallärzte

Geschäftsführer Degen wertet den Beitrag seiner Notfallmediziner als Beitrag der Ilmtalklinik zur "Versorgungssicherheit" der Bevölkerung, weiß aber, dass dies auf Dauer nicht ausreicht, um die Mangellage zu beheben. Die Lösung sieht er im Artikel 14 des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes BayRDG. Diese Regelung eröffnet nämlich die Möglichkeit, "dass die Kassenärztliche Vereinigung (KVB) mit einer geeigneten Klinik und den Sozialversicherungsträgern die Mitwirkung von Ärzten in der bodengebundenen Notfallversorgung im Einvernehmen mit dem jeweiligen ZRF vereinbart". So drückt es das Innenministerium als oberste Rettungsdienstbehörde aus.

Vereinfacht bedeutet es, dass ein Krankenhaus zusätzliche Notfallmediziner festanstellen und dann für den Notarztdienst freistellen kann. Voraussetzung dafür ist, dass an dem Standort ein Mangel an Notärzten herrscht, wie eben zum Beispiel in Pfaffenhofen.

Auch Günter Griesche, Geschäftsführer beim Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Region Ingolstadt, kurz ZRF, unterstützt dieses Modell. Aktuell laufen die Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Bleibt die Frage, ob sich überhaupt interessierte Mediziner finden, die sich als Notärzte von der Ilmtalklinik anstellen lassen wollen. Schon heute kämpft sie wie andere Krankenhäuser auch mit Personalengpässen und kann zahlreiche Arzt- und Pflegestellen nicht besetzen. Doch Ilmtal-Geschäftsführer Degen ist zuversichtlich.

Das Modell der festangestellten Notärzte gibt es bayernweit an über 40 Krankenhäusern und auch bereits in der Region Ingolstadt, zum Beispiel am zweiten Standort der Ilmtalklinik in Mainburg. Dort habe sich das Modell "bewährt", meint Günter Griesche, Geschäftsführer beim Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Region Ingolstadt.

Bessere Bezahlung nur ein Teil der Lösung

Für Georg Maier, Notarzt aus Überzeugung, muss deshalb für eine bessere Versorgungssituation noch an einigen Stellschrauben gedreht werden. Wichtig wäre aus seiner Sicht, die Attraktivität notärztlicher Tätigkeit auch im Rahmen der Weiterbildung zu steigern. Hier erkennt er positive Ansätze. Denn nachdem die Zusatzbezeichnung "klinische Akut- und Notfallmedizin" eingeführt worden ist, biete sich nun die Chance, die Notarzttätigkeit und die Klinikarbeit besser zu verzahnen.

Zudem sieht er bei der Disposition der Notfallversorgung dringenden Verbesserungsbedarf, wie auch die Patienten selbst in der Pflicht zu mehr Eigenverantwortlichkeit. Denn 38 Prozent der Menschen, die vom Notarzt oder vom Rettungsdienst in die Klinik gebracht werden, verlassen die Notaufnahme unmittelbar nach ambulanter Versorgung wieder. Hier könne das System entlastet werden.

Standort Pfaffenhofen: "Es ist nichts für den Broterwerb"

Eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Stellschraube bleibt jedoch die Bezahlung: konkret die Anhebung der Stundenpauschale für die Notarztbereitschaft. Sie gilt mit rund 25 Euro als zu niedrig. Vor allem an ländlichen Standorten, die eine geringe Einsatzdichte haben, kommt die Einsatzvergütung von rund 61 Euro kaum zum Tragen.

"Wir haben am Standort Pfaffenhofen mit vier Einsätzen in 24 Stunden keine hohe Attraktivität. Da kommt man als Arzt zur Bereitschaft, weil man sich gut versteht, weil man den Dienst aufrechterhalten will. Aber wie gesagt: Es ist nichts für den Broterwerb." Georg Maier, freiberuflicher Notarzt

Das bayerische Innenministerium versteht den Wunsch nach besserer Bezahlung und erklärt auf Anfrage, dass "die Weiterentwicklung der Vergütung von Notarztdiensten finanzielle Anreize schaffen kann". Allerdings betont die oberste Rettungsbehörde, dass sie selbst an den Verhandlungen nicht beteiligt sei. Denn die Vergütung vereinbaren die KVB und die Sozialversicherungsträger als Kostenträger des Rettungsdienstes.

Auch Bayerns Gesundheitsminister unterstützt die grundsätzliche Forderung nach mehr Geld: "Wir brauchen eine bessere Bezahlung", lässt sich Klaus Holetschek (CSU) zitieren. Dem schließt sich auch die Kassenärztliche Vereinigung an und erklärt: "Die Sozialversicherungsträger werden aus Sicht der KVB diese Lücke schließen müssen." Doch wann die Honorare im bayerischen Notarztdienst steigen, ist noch nicht bekannt. Zuletzt wurden sie im Juli 2021 angehoben. Damals stieg das jährliche Volumen für die notärztliche Versorgung um 20 Prozent auf 82 Millionen Euro pro Jahr – auf das aktuelle, immer noch als zu niedrig bewertete Niveau.

Notarztmangel betrifft über 40 Standorte in Bayern

Fest steht, dass das Problem nicht nur den Notarztstandort Pfaffenhofen trifft. Rund 40 der über 200 Notarztstandorte in Bayern unterschreiten die durchschnittliche Besetzungsquote deutlich, nämlich um etwa zehn Prozent, berichtet die Kassenärztliche Vereinigung, die gemeinsam mit dem Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) die notärztliche Versorgung in der Notfallrettung sicherstellt.

Auch wenn das Innenministerium betont, die "flächendeckende Versorgung der bayerischen Bevölkerung mit notärztlichen Leistungen ist sichergestellt", verweist man dort gleichzeitig auf weitere Bausteine. So habe Bayern bundesweit "die höchste Rettungshubschrauberdichte".

Vor allem auf dem Land gibt es bedenkliche Lücken bei der Notarzt-Versorgung
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Vor allem auf dem Land gibt es bedenkliche Lücken bei der Notarzt-Versorgung

Digitalprojekt "Telemedizin" statt Notarzt vor Ort

Das Innenministerium verweist zudem auf innovative Ansätze. Als Beispiel gilt das Digitalprojekt "Telenotarzt". Laut Innenministerium "wird es dem Rettungsdienstpersonal vor Ort ermöglichen, unabhängig vom Einsatzort in Echtzeit mit einem Telenotarzt zu kommunizieren und ihn in den laufenden Versorgungsprozess einzubinden". Die ersten Gehversuche wurden bereits 2016 unternommen. Damals begann ein Pilotprojekt zur "telemedizinischen Unterstützung der Notfallversorgung" im Rettungsdienst einer ländlich strukturierten Region. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stehen. Ende 2021 wurde das Rettungsdienstgesetz novelliert und zudem der landesweite Rollout eines Telenotarzt-Systems beschlossen.

Als erstes von drei bayerischen Telenotarzt-Zentren sollte der Standort Ost in Straubing starten – und zwar eigentlich schon zu Beginn 2023. Doch das Vorhaben stocke, teilt das Innenministerium auf Nachfrage mit. Während das erste Nachprüfungsverfahren zum Telenotarzt-Standortbetreiber inzwischen erfolgreich abgeschlossen sei, dauere das Verfahren zur Festlegung des Telenotarzt-Systemlieferanten derzeit noch an. "Eine aktualisierte Planung kann valide erst nach Zuschlag sämtlicher Unternehmer und Dienstleister vorgelegt werden". Zu den beiden anderen bayerischen Telenotarzt-Zentren macht das Ministerium derzeit gar keine Angaben.

Das Notarzteinsatzfahrzeug und die Rettungswagen am Standort Pfaffenhofen sind aktuell noch nicht fit für die Telemedizin. Dabei fehlt es nicht nur an den entsprechenden Geräten. "Es gibt derzeit noch keine Weiterbildungsstrukturen für den Telenotarzt. Zumindest in Bayern noch nicht", erklärt Notarzt Maier. Er kann sich durchaus Einsatzfelder für Telemedizin vorstellen, doch den Notarzt vor Ort würden sie nicht ersetzen können. Er geht davon aus, dass in einigen Jahren circa rund 20 Prozent der Einsätze durch Telemedizin abgedeckt werden könnten. Vom flächendeckenden Einsatz des Telenotarzt-System sieht er den Freistaat allerdings "noch meilenweit entfernt".

Neue Fragezeichen durch geplante Krankenhausreform

Deshalb beobachtet Maier wie viele Mediziner und Krankenhäuser, wie sich die in Berlin geplante Krankenhausreform entwickelt. Sollten im Zuge der Reform kleinere Krankenhäuser schließen müssen, könnte sich das auch auf die Besetzungsquote der Notärzte negativ auswirken. Dazu erklärt die Kassenärztliche Vereinigung:

"Ländliche Strukturen und Standorte ohne nahegelegene Klinik bedeuten häufig, dass hier keine (Not)-Ärzte arbeiten und/oder wohnen. Für nicht ortsansässige Notärzte ist eine extra Anreise zur Übernahme von Diensten oft nicht interessant." Kassenärztliche Vereinigung Bayern

In Pfaffenhofen freuen sich Klinikgeschäftsführer Degen und Notarzt Maier gleichermaßen über einen guten Start in dieses Jahr. Anders als im vergangenen Jahren konnten im Januar 95 Prozent der Notarzt-Bereitschaften abgedeckt werden. Vielleicht, so meinen beide, liege das auch daran, dass die Impfzentren nun allesamt geschlossen haben. Dort lag die Stundenpauschale bei über 100 Euro, also viermal höher als die Grundpauschale für die Notarztbereitschaft.

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