Blätter im Gegenlicht
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Natur kann heilen

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Natur als Medizin - Wie Grün unsere Gesundheit unterstützt

In der Natur finden wir Ruhe und Kraft – sie tut uns gut. In Krisenzeiten steht sie auch für Ordnung und Stabilität – ohne Gefahr oder Sorge. Banale Weisheiten, aber bewusst eingesetzte Natur kann mehr: Sie kann Krankheiten vorbeugen und heilen.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Frische Luft, Wiese, Wald, viel Grün – in der Natur findet der gestresste Mensch Erholung. Ganz umsonst und nebenwirkungsfrei. Während der Corona-Pandemie ist die Natur für viele Menschen schon fast so etwas wie ein Rettungsanker geworden.

Erholung geht sogar richtig schnell. US-Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass schon ein zwanzigminütiger, bewusst wahrgenommener Waldspaziergang das Stresshormon Cortisol senkt. In Kanada verschreiben Ärzte deshalb Aufenthalte in der Natur. Der Eintritt in Nationalparks ist für die Patienten dann kostenlos.

Je intensiver, desto besser

Allein der Urlaub am Meer oder in den Bergen bringt die Ruhe nicht automatisch. Wer die Zivilisation weitgehend hinter sich lässt, scheint schneller einzutauchen in die Kraftquelle Natur.

In der Wildnisschule Chiemgau verbringen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer mehrere Tage draußen, im Wald, am Fluss. Dabei lernen sie Überlebenstechniken, einen Notunterschlupf im Wald zu bauen ist eine der Aufgaben, oder Feuer machen mit nur vier Streichhölzern. Alle Teilnehmer suchen die Verbindung zur Natur, und zwar – das ist wichtig: als Gemeinschaft.

Er vermisse nichts, sagt Teilnehmer Matthias: "Es kommt mir so vor, als wäre ich schon immer hier." Und Jonas ergänzt: "Innerhalb kürzester Zeit gibt man hier den Menschen die Möglichkeit, eine Gemeinschaft kennenzulernen, sich zu öffnen, neue Dinge zu erleben, sich selber zu spüren. Und das ist sehr besonders."

Achtsamkeit sorgt fürs Gleichgewicht

Gemeinsam sitzen sie mit Stift und Heft auf einer Lichtung am Boden und untersuchen Pflanzen. Was wächst da eigentlich? Was ist giftig und was kann ich essen? Die Teilnehmer nähern sich den Pflanzen wie Lebewesen - ganz behutsam. Überhaupt: Die Achtsamkeit in der Natur ist allen ganz wichtig. Abends gibt es dann die Brennnessel und Girsch als Salat oder im Kräuterquark.

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Wildnispädagoge Dirk Schröder

Schneller erholt nach Burn-out

Wildnispädagoge Dirk Schröder war früher Reisejournalist, er verbrachte viel Zeit mit Naturvölkern. Dieses Wissen, die Naturerfahrungen, der Respekt vor den Menschen, der sorgsame Umgang miteinander, das gibt er in seinen Kursen weiter. Er sagt, in der Wildnis überleben zu können, gibt ein Gefühl von Sicherheit. Gerade wenn Menschen spüren, dass sie überfordert sind: "Die Natur bringt sie da sofort in die Mitte, in die Entspannung, und das ist unsere Absicht." Im Laufe der Jahre hatte Dirk Schröder viele Kursteilnehmer nach Burn-out. Das Naturerlebnis hat bei einigen dazu beigetragen, ihre physische und mentale Stärke wieder zu finden.

Stadtbäume beugen Depressionen vor

Nicht der gelegentliche Ausflug ins Grüne, sondern die Natur im täglichen Lebensumfeld bringt ebenfalls einen heilenden oder zumindest vorbeugenden Effekt: Wer einen Baum vor seinem Fenster hat oder zumindest in 100 Metern Entfernung, ist deutlich weniger gestresst. Das bestätigen Studien der Universitäten Leipzig und Jena.

Im Umkehrschluss stellten die Forscher fest: In Straßen mit wenig Grün werden häufiger Antidepressiva verschrieben. Meist leben hier auch Menschen mit geringerem Einkommen. Sie sind also gleich doppelt benachteiligt. Straßenbäume, so das Fazit der Forscher, könnten das Risiko mindern, psychisch zu erkranken.

Das Alltagsgrün, dem Stadtmenschen auf ihren täglichen Wegen begegnen, ist demnach viel entscheidender fürs psychische Gleichgewicht als der Baum im nächstgelegenen Park oder beim Waldspaziergang.

Bayerns einzige Stadtbaummanagerin

Umso wichtiger also die Aufgabe von Bayerns einziger Stadtbaummanagerin: Petra Wang pflanzt und schützt Bäume in der Stadt Nürnberg. Die Suche nach Standorten für neue Bäume ist denkbar schwierig. Hart umkämpfte Parkplätze müssten geopfert werden, auch über Gas- und Wasserleitungen oder über Tiefgaragen können keine Bäume gepflanzt werden. Sie werden für Neubauprojekte gefällt, aber auch schon, wenn die Wurzeln den Asphalt anheben.

Trotzdem, meint Petra Wang, hat schon ein Umdenken stattgefunden. Heute wisse man, wie wichtig Bäume für die Kühlung der Umgebung sind, bei Bäumen mit großer Krone sind bis zu drei Grad möglich. Wegen der zunehmenden Trockenheit lässt die Stadt die Bäume auch deutlich häufiger gießen.

Stadtbäume fürs soziale Miteinander

Wie in anderen Städten in Bayern vergibt die Stadt Nürnberg Baumpatenschaften. Über 100 sind es dort schon. Nicht nur der Baum hat etwas davon, sondern auch die Paten selbst und die Nachbarschaft, sagt Pate Andreas Schiebel: "Schon beim Anpflanzen ist man ins Gespräch mit der Nachbarschaft gekommen". Und für Katie Snow ist die Baumpflege die schnelle Erholung zwischendurch. Sie arbeitet viel am Computer: "Ich bin ein bisschen mehr relaxed, auch wenn es nur ein kleines Stück Grün ist. Es fühlt ich so an, als ob es meins ist", sagt die Nürnbergerin, auf dem Gehweg kniend, vor nicht mal zwei Quadratmetern Natur.

Vogelfutterstation im Seniorenheim

Vögel teilen ihr Leben mit dem Menschen dankenswerter Weise sehr bereitwillig. Eine einfache Vogelfutterstation im Garten oder am Balkon reicht schon aus, damit Menschen, die nicht mobil sind, ein Stück Natur erleben können. Wie dankbar die Menschen das aufnehmen, erlebt Katrin Lichtenauer vom Landesbund für Vogelschutz LBV jedes Mal, wenn sie Pflegeheime besucht. Die Vogelbeobachtung steigere die die Lebensqualität in Pflegeheimen, aber auch die kognitiven Ressourcen der Menschen, dass sie sich geistig damit auseinandersetzten, was sie sehen, sagt sie.

Bewusste Beschäftigung steigert Lebensqualität

Ein Wissenschafts-Team der Universität Eichstätt-Ingolstadt bestätigt diese Beobachtung: Über 2.000 Seniorinnen und Senioren haben in Fragebögen angegeben, wie wohltuend sie die Vogelbeobachtung im Heim empfinden. Die Studie stützt den Forscherinnen zufolge die Annahme, dass Naturverbundenheit im Menschen genetisch veranlagt ist.

Wissenschaftlerin Patricia Zieris formuliert es so: "Uns geht's gut, wenn wir Kontakt zur Natur haben und wenn uns dieser Kontakt fehlt, dann wird unser Wohlbefinden reduziert. Und die Vogelbeobachtung ist ein Weg, indirekt wieder Kontakt zur Natur aufzubauen, mit dem Lebendigen, was uns umgibt."

Vögel erkennen mit Hilfe von Plüschtieren

Für den therapeutischen Effekt kommt es auch bei der Vogelbeobachtung im Pflegeheim auf die bewusste Beschäftigung an. Dafür hat LBV-Mitarbeiterin Lichtenauer einen ganzen Koffer voller Plüschtiere dabei: Amsel, Dompfaff, Fink, alle singen auf Knopfdruck. Wenn sie in echt an der Vogelstation landen, ist die Freude doppelt groß, wenn man sie erkennt. Heimbewohner Kaspar Fürmann kennt sie alle noch aus seiner Jugend und pfeift die Amsel gleich mal mit.

In 141 Pflege- und Altenheimen in Bayern hat der LBV schon eine Vogelbeobachtungsstation aufgebaut, 75 weitere sollen dieses Jahr noch dazu kommen.

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