Esther Kind leiht sich für ihre sechsjährige Tochter gerne Outdoor-Spielsachen. Hier in der Kiste: eine Slackline.
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Esther Kind leiht sich für ihre sechsjährige Tochter gerne Outdoor-Spielsachen. Hier in der Kiste: eine Slackline.

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Leihen statt Kaufen: Immer mehr "Bibliotheken der Dinge"

Sie sind nachhaltig, sparen Geld und fördern die Gemeinschaft: "Bibliotheken der Dinge". Es gibt mittlerweile immer mehr davon in Bayern, auch auf dem Land. Und sie werden meist da eingerichtet, wo es ohnehin schon ums Ausleihen geht: in Büchereien.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Bibliotheksleiterin Doreen Kleiner zeigt in der Gemeindebibliothek in Gauting auf einen Karton. Darin steckt eine fein säuberlich in Plastikfolie umwickelte Diskokugel. Auf dem Schild daneben stehen die technischen Daten und andere Informationen über das Produkt – eigentlich wie im Kaufhaus. Nur eines sucht man vergebens: Ein Preisschild. Stattdessen hängen über den fünf Regalen bunt bedruckte Plakate mit der Aufschrift: "Leihen statt Kaufen".

Eismaschine, Diskokugel oder Fenstersauger aus der Gemeindebibliothek

In der Gautinger Gemeindebibliothek im Landkreis Starnberg gibt es seit ein paar Monaten eine sogenannte "Bibliothek der Dinge". Rund 50 Gegenstände können dort kostenlos ausgeliehen und ausprobiert werden. Die Eismaschine zum Beispiel ist gerade schon wieder entliehen, die kommt bei den Besucherinnen und Besuchern besonders gut an, sogar jetzt im eiskalten Januar.

Dafür gibt es heute noch ein Stromsparmessgerät, mehrere Strick- und Häckelsets oder einen Spielturm aus Holz zum Ausleihen. Und im Regal für Heimwerker (und Heimwerkerinnen) warten ein großer und gut sortierter Werkzeugkasten sowie ein Fenstersauger auf den nächsten Einsatz.

Leihgegenstände für Kinder und Erwachsene

Gerade ist ein Junge mit seinen Eltern in der Bibliothek. Wenige Minuten zuvor hat er im Regal für den Bereich Unterhaltung einen E-Book-Reader entdeckt und ihn gleich ausgeliehen. Jetzt prüft er kritisch, wie und ob das Gerät funktioniert. Theo ist neun Jahre alt und in der Gautinger "Bibliothek der Dinge" fast schon ein Stammkunde. Er hat sich schon einmal die Diskokugel für seinen Geburtstag ausgeliehen, das Handplanetarium und heute eben den E-Book-Reader. Zwei Wochen darf er ihn nun behalten.

Auch Theos Mutter, Undine Michel, freut sich über das Angebot: "Man muss die Sachen dann nicht unbedingt selbst anschaffen. Das liegt nicht rum zu Hause, weil sich vielleicht Interessen ja auch ändern – beziehungsweise es muss ja auch nicht jeder alles haben", sagt sie. Außerdem könne man dadurch auch mal was Neues ausprobieren und es selbst erst kaufen, wenn es einem wirklich gefalle. Auch deshalb sind die Eltern mit ihrem neunjährigen Sohn Theo oft da und schauen, welche Bücher und anderen Dinge es aktuell zum Ausleihen gibt. "Ist 'ne tolle Sache!", so die Mutter.

"Bibliotheken der Dinge" - seit rund sechs Jahren in Deutschland

Ob in Rosenheim, München, Kempten oder Hilpoltstein: Inzwischen gibt es immer mehr "Bibliotheken der Dinge" in Bayern – nicht nur in den größeren Städten, sondern auch auf dem Land.

Das Konzept jedoch ist gar nicht mal so neu: Bereits in den 1970er-Jahren gab es in Deutschland sogenannte "Leih-Läden", vor allem für Kinderspielzeug. Eine "Bibliothek der Dinge" hat im Jahr 2016 erstmals die Zentral- und Landesbibliothek in Berlin eingerichtet. Und mittlerweile ist das ein richtiger Trend geworden. Im Landkreis Starnberg beispielsweise gibt es inzwischen gleich mehrere dieser Bibliotheken.

Nachbarschaftshilfe oder Bücherschränke: "Shareconomy" liegt voll im Trend

Ob Bücher, Haushaltsgeräte oder Werkzeug: "Shareconomy" oder "Sharing Economy" liegt derzeit voll im Trend. Man versteht darunter das Teilen von Konsumgütern. Statt sich einen Gegenstand, der selten oder nur einmal verwendet wird, zu kaufen, entscheidet man sich dabei für die gemeinschaftliche Nutzung.

Meist gelingt das durch öffentliche Einrichtungen in der Gemeinde oder in der Stadt, wie beispielsweise Werkzeugbibliotheken oder Bücherschränke. Viele Privatpersonen leihen und verleihen Gegenstände aber nicht nur an Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn, sondern auch an unbekannte Personen über digitale Plattformen und Nachbarschafts-Apps.

"Man behandelt die Dinge ganz anders"

Beim Teilen von Konsumgütern geht es aber nicht nur um die Themen "Nachhaltigkeit" und "Geld sparen", sondern auch um Gemeinschaft und soziale Gerechtigkeit. Das hat auch Esther Kind festgestellt, die in der Gautinger "Bibliothek der Dinge" schon öfters Outdoor-Spielsachen für ihre sechsjährige Tochter ausgeliehen hat.

"Zum Beispiel die Slackline war richtig cool. Da haben wir auch andere Kinder eingeladen und ausprobiert. Das sind ja alles Dinge, die dazu anregen, mit anderen was zu tun. Es fördert einfach die soziale Kompetenz der Kinder und man geht mit den Dingen ganz anders um", erzählt die junge Mutter begeistert. "Man muss auch wirklich aufpassen, weil das nächste Kind oder die nächste Familie möchte das auch ausleihen – da behandelt man die Dinge ganz anders."

Lange Wartelisten für manche Gegenstände

Durch die "Bibliotheken der Dinge" haben auch Menschen aus sozial schwächeren Gruppen die Möglichkeit zur Teilhabe. Einen "Nintendo Switch" zum Beispiel können sich nicht alle Eltern für ihre Kinder so einfach leisten. Auch deshalb kommt das Angebot in Gauting so gut an. Für manche Dinge, wie beispielsweise die oben genannte Videospielkonsole, gibt es sogar eine lange Warteliste.

Doreen Kleiner will das Angebot in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Sie hört sich deshalb in anderen "Bibliotheken der Dinge" um, welche Gegenstände derzeit besonders nachgefragt werden. "Natürlich werden aber auch die Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigt und geprüft", so die Bibliotheksleiterin.

Neues Projekt in Gauting: Eine Saatgut-Bibliothek

Doch das ist noch nicht alles. Doreen Kleiner kümmert sich derzeit um ein weiteres Projekt, das demnächst starten soll: eine Saatgut-Bibliothek. Bereits im Herbst wurde von der Leserschaft deshalb Saatgut eingesammelt, das nun in Tütchen abgepackt bereitliegt. Wie die Saatgut-Bibliothek in Kürze funktionieren soll, erklärt die Bibliotheksleiterin: "Im Februar kann man sich das Saatgut dann mitnehmen. Wir freuen uns dann im Herbst, wenn wieder was zurückkommt. Das muss aber nicht von der gleichen Pflanze sein". Die Idee dahinter ist, dass die Saatgut-Bibliothek dadurch immer weiter wächst und sich die Vielfalt erweitert. "Von Blumen über Kräuter gibt’s schon ganz viel Saatgut, das wir dann im Februar anbieten können. Da freu ich mich schon drauf".

Für Bibliotheksleiterin Doreen Kleiner geht es also um weitaus mehr als um das Ausleihen von Büchern. "Das ist ganz wichtig, dass wir nachhaltiger werden, unsere ganze Gesellschaft muss ein bisschen nachhaltiger werden. Das ist ein kleiner Beitrag, den wir dazu leisten."

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