Wegen Lehrermangels werden auch pensionierte Lehrerinnen und Lehrer zurück in die Klassenzimmer geholt
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Wegen Lehrermangels werden auch pensionierte Lehrerinnen und Lehrer zurück in die Klassenzimmer geholt

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Lehrermangel an Schulen in Deggendorf: Unterricht wird gekürzt

Der Lehrermangel an Grund- und Mittelschulen führt im Landkreis Deggendorf zu gekürztem Sport- und Förderunterricht. Auch an anderen niederbayerischen Schulen wird Unterricht reduziert. Schulämter versuchen, Studierende und Pensionisten zu gewinnen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Der Landkreis Deggendorf verdeutlicht, wie dramatisch der Lehrermangel vor allem an Grund- und Mittelschulen ist. Wie BR-Recherchen ergeben haben, werden im kommenden Schuljahr an allen Grund- und Mittelschulen im Landkreis Sport- sowie Förderstunden gekürzt, ebenso die Vorkurse Deutsch für angehende Erstklässler mit Migrationshintergrund.

Zur Kooperation von Grundschulen mit Kindergärten heißt es von Schulamtsdirektorin Christiane Niedermeier auf Anfrage, dass keine einzige Stunde vergeben werden konnte. "Ja, der Lehrermangel ist sehr spürbar. Leider ist der Markt komplett leer."

  • Zum Artikel: Rückblick - Ein Corona-Schuljahr mit Tücken

Lesen, Schreiben und Rechnen haben Vorrang

Und das nicht nur in Deggendorf: Von der Regierung von Niederbayern heißt es auf BR-Anfrage: Kernthemen wie Lesen, Schreiben und Rechnen haben im kommenden Schuljahr Vorrang. "Sinnvolle und pädagogisch wichtige, aber nicht lebensnotwendige Aspekte müssen zugunsten von Kernfächern teilweise zurückstehen."

Weiter heißt es, dass in Niederbayern diese Maßnahmen des Kultusministeriums flächendeckend umgesetzt wurden. Der Kernunterricht im Grund- und Mittelschulbereich sei zum ersten Schultag gesichert. "In Niederbayern fällt kein Kernunterricht aus – vor jeder Klasse steht eine Lehrerin oder ein Lehrer."

Lehrermangel: Reduzierter Unterricht in Niederbayern

Eine BR-Abfrage in den Schulämtern der Landkreise Dingolfing-Landau, Landshut, Straubing-Bogen und Kelheim ergab, dass auch hier der Sportunterricht reduziert wird. Im Landkreis Dingolfing-Landau muss auch beim Unterricht "Deutsch Plus" gekürzt werden – hier werden Schüler mit Defiziten in der deutschen Sprache gefördert. In Landshut und Regen macht sich der Lehrermangel vor allem bei der mobilen Reserve (übernimmt wechselnde Aushilfseinsätze) bemerkbar, wie es heißt. Das bestätigt auch die Regierung von Niederbayern: "Die mobile Reserve kann nicht in dem gewohnten Maß gebildet werden."

Gekürzter Sportunterricht: Kindern geht Bewegung ab

Das neue Schuljahr wird zum Beispiel in der Mittelschule Plattling im Landkreis Deggendorf daher anders ablaufen als bisher: Der erweiterte Basissportunterricht der Klassen 5 und 6 wird von bisher drei auf jetzt zwei Wochenstunden gekürzt. "Das ist bedauerlich", so Schulleiter Michael Dobler. Gerade durch die Pandemie gehe den Kindern die Bewegung ab. Auch in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 fällt der differenzierte Sportunterricht aus. "Gerade in diesen Stunden hat man sich für Sport-Wettkämpfe vorbereitet, das fällt jetzt alles weg."

Gekürzter Förderunterricht: "Kinder bleiben auf der Strecke"

In den Jahrgangsstufen 5 und 6 gebe es nur noch genau eine Stunde Förderunterricht, so Dobler. In der Vergangenheit war es mithilfe des Deggendorfer Schulamts möglich, mehr Förderstunden zu verteilen. Aber: "Leider ist eine zusätzliche Zuteilung von Förderstunden aufgrund der Lehrerknappheit in diesem Jahr nicht mehr möglich", so Schulamtsdirektorin Christiane Niedermeier.

"Mehr Förderunterricht wäre absolut sinnvoll! Gerade jetzt nach der Pandemie. Auch haben wir fast an jeder Schule ukrainische Kinder, generell ist der Migrations-Hintergrund von Schülern groß – das bedeutet gerade sprachlich einen höheren Förderbedarf. Aber mit Lehrerstunden alleine können wir das nicht abdecken."

Für Schulleiter Dobler hat die Kürzung im "sinnvollen und wertvollen" Förderbereich die Konsequenz: "Das Fördern in kleineren Gruppen ist nicht mehr möglich. Da hat man bisher Defizite aufgefangen, Stoff wiederholt und vertieft, das ist jetzt nicht mehr möglich." Besonders treffen werde es jetzt Kinder, die ohnehin Lerndefizite aufweisen und Förderung bräuchten. "Die bleiben auf der Strecke", so Dobler.

Kultusministerium: "Noch nie so viele Lehrkräfte wie heute"

Auf die Kürzung von Unterrichtsstunden angesprochen, heißt es vom Kultusministerium: "Vorübergehende Einschränkungen im Randbereich der Stundentafel können in einzelnen Landkreisen nicht völlig ausgeschlossen werden." Das Ministerium bleibt aber dabei: "Bayern steht, was die Versorgung mit Personal betrifft, im bundesweiten Vergleich immer noch sehr gut da. Es gab noch nie so viele Lehrkräfte in Bayern wie heute."

Die Bayerische Lehrerbedarfsprognose 2022 zeigt aber deutlich auf, dass gerade an Mittelschulen Lehrer fehlen. "Pensionierungen, aber auch vorübergehende Austritte von Lehrkräften, zum Beispiel wegen Elternzeit, haben zur Folge, dass an den Mittelschulen in den nächsten Jahren ein beträchtlicher Lehrkräftebedarf bestehen wird."

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An den Mittelschulen besteht in den nächsten Jahren ein beträchtlicher Lehrkräftebedarf.

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Kultusministerium: Gründe für Lehrermangel

Auf Anfrage führt das Kultusministerium Gründe für die "herausfordernde Personalsituation" auf: Gerade im Grundschulbereich arbeiten demnach weniger als die Hälfte der Lehrkräfte in Vollzeit. Auch die Corona-Pandemie spiele eine große Rolle und habe vor allem junge Menschen vom Lehramtsstudium abgehalten: "Die Studienanfängerquote sinkt."

Gleichzeitig habe die Corona-Pandemie wiederum zu Personalausfällen geführt und es gilt ein Beschäftigungsverbot für rund 3.000 schwangere Lehrkräfte. Hinzu komme: Der Ukraine-Krieg hat zu einem Schülerzuwachs in Bayern von bis zu 38.000 Schülern geführt, was einem Abiturjahrgang entspreche. "Es steht außer Frage, dass die Kombination all dieser Faktoren eine große Herausforderung für die Personalversorgung bedeutet."

BLLV: "Es geht um Löcher stopfen"

Die Grund- und Mittelschulen in Niederbayern dürften nicht als einzige in Bayern im kommenden Schuljahr von reduziertem oder gestrichenem Unterricht betroffen sein. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), ist der Meinung: "Es wird Unterricht ausfallen. Es werden Stunden gestrichen. Kinder werden eher nach Hause geschickt. Hinten und vorne reichen uns die Lehrer nicht für die Regel-Angebote, geschweige denn für Angebote, die nach dieser anstrengenden Zeit mit Corona dringend notwendig wären."

Bildungsqualität und passgenaue Angebote für Flüchtlingskinder aus der Ukraine beispielsweise "sind schon lange nicht mehr unsere Benchmark. Es geht um Löcher stopfen. Es geht um irgendwie durchkommen."

Forderung: "Lehrermangel zur Chefsache machen"

Daher fordert der BLLV schon länger, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Lehrermangel zur Chefsache machen müsse "und der Bevölkerung erklärt, wo wir stehen: am Ende der Fahnenstange", so Fleischmann. Der BLLV fordert attraktive Arbeitsbedingungen, um junge Menschen für den Lehrerberuf zu gewinnen, eine gleichwertige Besoldung sowie eine Flexibilisierung der Lehrerbildung.

Studenten und Pensionisten: Schulämter auf Personalsuche

Um den Lehrermangel in irgendeiner Art und Weise aufzufangen, versucht Schulamtsdirektorin Christiane Niedermeier im Landkreis Deggendorf deswegen Lehramts-Studierende aus höheren Semestern für den Unterricht an Grund- und Mittelschulen zu gewinnen. Sie schreibt Lehrerinnen in Teilzeit an, damit diese doch noch Stunden aufstocken.

Und auch Pensionisten sollen zurück an die Schule, um zumindest ein paar Stunden zu übernehmen. Einige Verträge sind schon unterschrieben, so Niedermeier. "Wir haben als Schulamt angeregt, mit diesen - leider nur sehr wenigen - Zusatzstunden vorrangig die Bereiche Sport und Förderung abzudecken." So soll es jahrgangsstufenübergreifende Angebote wie "AG Sport" geben.

"Ukraine-Budget": Ukrainische Lehrkräfte für Brückenklassen

Die gute Nachricht: Das Kultusministerium habe den Schulämtern verschiedene Budgets beziehungsweise Maßnahmen an die Hand gegeben. So gibt es laut Niedermeier unter anderem ein "Ukraine-Budget".

Im Landkreis Deggendorf konnten dadurch rund zehn ukrainische Lehrkräfte für Brückenklassen, aber auch für die Unterstützung "Deutsch als Zweitsprache" und für den Deutsch-Förderunterricht gewonnen und eingestellt werden. Und auch vom Schulamt Kelheim heißt es: "Wir haben auch kürzen müssen – aber die Versorgung ist stabil."