Vier Frauen stehen in einem Kunstraum.
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Carola Kamhuber, Rosina Lippacher, Petra Zimmermann-Schwier und Christa Mayer (v.l.) vom Anna-Hospizverein wollen trauerden Kindern helfen.

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Ausnahmesituation auch für Kinder: Verein hilft bei Trauerarbeit

Wenn Mama, Opa oder das Geschwisterchen stirbt, sind Kinder in einer Ausnahmesituation. Sie trauern anders als Erwachsene. Hilfe von außen bieten ehrenamtliche Kindertrauerbegleiter – wie beim Anna-Hospizverein im Kreis Mühldorf. Worauf kommt es an?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

"Kinder trauern anders als Erwachsene", erklärt Rosina Lippacher. Sie koordiniert seit Kurzem die Kinder- und Jugendtrauerbegleitung des Anna-Hospizvereins im Landkreis Mühldorf. Möglich gemacht hat das eine Förderung der "Sternstunden", durch die der Verein sie für zwei Jahre in Teilzeit anstellen kann. Sie soll die Angebote für trauernde Kinder in der Region bekannter machen, neue Ehrenamtliche anwerben und Aufklärungs-Workshops an Schulen organisieren.

Trauer ist Tabu-Thema

Denn je natürlicher Kinder an den Tod herangeführt werden, desto besser, meint Lippacher: "In vielen Köpfen ist zum Beispiel: Kleine Kinder trauern nicht. Das stimmt nicht. Schon im Mutterleib, ist erwiesen, das Kinder trauern." Wie genau, das hängt von Alter, Umfeld und Persönlichkeit des Kindes ab. Während bei Erwachsenen die Trauer sehr genormt sei, wolle ein Kind zwischendurch auch wieder fröhlich sein oder Wut zeigen.

Für Lippacher ist es wichtig, dass sich Kinder ihre eigenen Gedanken machen dürfen und Erwachsene ihnen die Art zu trauern nicht vorschreiben. Trauer sieht die Heilpädagogin in unserer Gesellschaft noch immer als Tabu-Thema.

Kinder trauern unterschiedlich – je nach Alter

Schon bei sehr kleinen Kindern sollten die Erziehungsberechtige offen mit ihrer Trauer umgehen und das eigene Gefühl ansprechen, damit die Kinder verändertes Verhalten zuordnen können. Im Vorschulalter sieht Lippacher es als wertvoll an, wenn die Kinder beispielsweise über verstorbene Haustiere erste Erfahrungen mit dem Tod machen.

Eltern sollten dann ganz pragmatisch mit den Kindern über die Auswirkungen sprechen – etwa: Das Herz schlägt nicht mehr, der Körper ist ganz kalt. Alle Fragen sollten wahrheitsgemäß beantwortet werden. Bis Kinder die Endgültigkeit des Todes tatsächlich verstehen, brauche es jedoch eine gewisse Reife. Im Jugendalter ziehen sich Trauernde laut Lippacher meist lieber zurück. Deshalb seien dann digitale Angebote wichtig.

Richtige Begleitung hilft "zurück ins Leben"

"Es gibt Studien darüber, wie Kinder, die bei der Trauer begleitet werden, später damit umgehen: Sie haben weniger Depressionen, Ängste und Krankheiten und können schneller wieder ins Leben zurückfinden", sagt Lippacher. Deshalb will der Anna-Hospizverein das Angebot für akut trauernde Kinder und Jugendliche weiter ausbauen.

Derzeit gibt es zwei Trauergruppen, in denen die Kinder ihre Gefühle etwa kreativ beim Töpfern oder Malen verarbeiten können. Ehrenamtliche übernehmen aber auch individuelle Trauerbegleitung und richten sich ganz nach den Bedürfnissen des Kindes. Oft brauchen die Kinder vor allem klare Strukturen und Rituale, wenn jemand aus dem Familiensystem wegfällt und die Erwachsenen selbst auch trauern.

Prävention: Trauer-Workshops an Schulen

Zusätzlich setzt der Anna-Hospizverein auf Prävention, denn wenn Kinder schon vorher an die Themen Tod und Trauer herangeführt werden, ist das für sie weniger bedrohlich als in der Akutsituation. Ehrenamtliche Kinder- und Jugendtrauerbegleiter wie Christina Mayer geben deshalb Workshops an Schulen. Zusammen mit einer Kollegin hat Mayer bereits einige vierte Klassen besucht und die Kinder dort als sehr offen erlebt: "Sie wollten erzählen, was sie fühlen, und mochten es nicht, wenn Erwachsene sagen: Du bist noch zu klein!"

Die teils sehr pragmatischen Fragen der Kinder haben sie überrascht – etwa diese: "Was passiert denn mit dem Sarg, wenn jemand verbrannt wird?" Auf die Antwort, dass der Mensch mit verbrannt werden würde, sei dann die Frage gekommen, ob das nicht Ressourcenverschwendung sei, erzählt Mayer. Die Kinder lernen durch verschiedene Übungen, dass jedem bei Traurigkeit etwas Anderes hilft.

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Diese und viele weitere Karten haben Viertklässler im Workshop mit den ehrenamtlichen Kinder- und Jugendtrauerbegleitern geschrieben.

Studie: Hälfte der Grundschulkinder hat bereits Trauer erlebt

In allen Klassen sind laut der ehrenamtlichen Kindertrauerbegleiterin auch Schülerinnen und Schüler von akuter Trauer betroffen gewesen. Oft hätten das die Lehrkraft oder anwesende Sozialarbeiter überhaupt nicht gewusst. Darüber, wie viele Kinder von Trauer betroffen seien, gebe es wenig Studien, erklärt die Leiterin des Hospizteams, Carola Kamhuber. Eine relativ aktuelle Studie aus Schottland sei zu dem Ergebnis gekommen, dass bereits mehr als 50 Prozent der Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren ernste Trauererfahrungen gemacht hätten. Vier Prozent aller Minderjährigen hätten einen oder beide Elternteile verloren, schildert sie. Auch für den Landkreis Mühldorf sehen Kamhuber und ihre Kolleginnen einen hohen Bedarf.

Das plant der Anna-Hospizverein für die Zukunft

Der Anna-Hospizverein will seine Strukturen für die Kinder- und Jugendtrauerbegleitung deshalb in den kommenden beiden Jahren ausbauen und festigen. Koordinatorin Rosina Lippacher sucht deshalb etwa weitere Ehrenamtliche, die sich als Kinder- und Jugendtrauerbegleiter ausbilden lassen wollen. Außerdem soll es bei Bedarf mehr als zwei Trauergruppen geben, um altersgerechter auf die Kinder eingehen zu können.

Wer Fragen hat, kann sich außerdem an den Verein wenden, denn besonders wichtig ist Lippacher auch die Aufklärung von Erwachsenen: "Dass Eltern, Großeltern, Lehrer, Kindergärtner einfach geschult werden: Was ist denn Trauer? Wie trauern Kinder? Dass sie damit umgehen können und die Kinder wieder gut ins Leben finden nach einem Trauerfall."

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