Die zweijährige Lena verabschiedet sich von ihren Eltern. Munter stapft sie in den Gruppenraum, um wie jeden Tag mit den anderen Kindern der hessischen Kinderkrippe Mäusebande zu spielen. Nur, dass ihre Eltern sie heute drei Kilometer weiterfahren mussten als zuvor: Vom hessischen Breuberg ins bayerische Mömlingen – zwei Nachbarorte, die nur die Landesgrenze trennt. Weil für zwei Gruppen der Mäusebande übergangsweise die Räumlichkeiten fehlen, hat der bayerische Nachbar kurzerhand ausgeholfen. Doch jetzt droht das Projekt zu scheitern: an der Bürokratie.
Hessen verweigert Zuschuss für Krippenplätze in Bayern
"Wir hängen total in der Luft!", so Chris Bohländer, Vater von Lena. "Alle sind mit der Situation zufrieden, nur die Regierung irgendwie nicht." Denn die hessische Landesregierung will die Fördergelder für die nach Bayern ausgelagerten Krippenplätze nicht übernehmen, eine Summe von 116.000 Euro.
Tatsächlich wurde der Zuschuss den Betreuerinnen vor dem Umzug bereits telefonisch zugesichert. Doch auf schriftlichem Weg kam drei Wochen später die Ernüchterung: Das hessische Sozialministerium teilte mit, dass die Gelder nicht bewilligt werden. "Wir waren fassungslos", erzählt Jessica Hotz, stellvertretende Vorsitzende des gemeinnützigen Trägervereins der Mäusebande. "Wir dachten erst, das muss ein Fehler sein!"
Verzögerter Neubau: Bayerische Kita bietet Unterschlupf
Dabei schien der Umzug der Kinder nach Mömlingen zunächst die ideale Lösung. Eigentlich sollten die insgesamt 80 Kinder der Mäusebande bereits im März in einen Neubau im hessischen Breubach ziehen. Lieferschwierigkeiten und Handwerkermangel sorgten jedoch für erhebliche Verzögerung bei der Fertigstellung des Gebäudes. Ein Umzug soll nun erst im September dieses Jahres möglich sein. Für die Monate dazwischen musste eine schnelle Lösung her, denn zwei Krippengruppen mit insgesamt 25 Kindern hatten keine alternative Bleibe. Siegfried Scholtka, Bürgermeister der nur drei Kilometer entfernten bayerischen Gemeinde Mömlingen, bot den Nachbarn daher spontan Hilfe an. Denn in der dortigen Kindertagesstätte Regenbogen standen ohnehin zwei Räume frei.
Hessische Betriebserlaubnis nötig: "Entscheidung lag in Bayern"
Das Problem nur: Damit die Kinder in den neuen Räumlichkeiten von ihren hessischen Betreuern betreut werden dürfen, brauchte es eine bayerische Betriebserlaubnis, die der Landkreis Miltenberg erteilte. Laut hessischem Gesetz können hessische Kinder jedoch nur dann gefördert werden, wenn eine hessische Betriebserlaubnis vorliegt. Das hessische Sozialministerium teilt mit, man habe geprüft, ob die zwei Gruppen als ausgelagerter Einrichtungsteil der Breuberger Mäusebande betrachtet werden könne. "Aber die Betreuung der Kinder findet außerhalb unseres Hoheitsgebiets statt", schreibt das Sozialministerium weiter. "Daher lag die Entscheidung nicht bei uns, sondern in Bayern."
Unterschiedliche Gesetzeslagen: Mäusebande fällt durchs Raster
Das bayerische Sozialministerium stellt wiederum klar: Die Unterbringung der Kinder sei eine "reine Gefälligkeit". Zu einer Förderung wäre die Kommune nur dann verpflichtet, wenn ein Kind dort wohnt. Während in Hessen also die Betriebserlaubnis ausschlaggebend für den Zuschuss ist, ist es in Bayern der Wohnort. Dazwischen entsteht eine Lücke, in die die hessische Mäusebande unfreiwillig geraten ist. Denn rein rechtlich müsste tatsächlich keines der beiden Länder Gelder zahlen. "Wir sind scheinbar ein Präzedenzfall", so die pädagogische Leiterin Jessica Hotz. "Aber es kann doch nicht sein, dass dafür keine Lösung geschaffen werden kann."
Eltern in Sorge: Droht die Schließung?
Ohne den Zuschuss müssten die beiden Krippengruppen im schlimmsten Fall aufgelöst werden, denn finanziell kann der Trägerverein die fehlende Summe nicht stemmen. 25 Kinder sowie sechs Erzieherinnen wären in diesem Fall betroffen. Eltern wie Chris Bohländer fürchten um die Betreuung ihrer Kinder. "Wir haben keinen Plan B", stellt Bohländer klar. "Wenn die Kleinen nicht unterkommen, dann haben die Großen ein Riesenproblem." Er und seine Frau Sandra seien beide berufstätig. "Im schlimmsten Fall muss ich meinen Job kündigen", so Sandra Bohländer. Finanziell sei das aber undenkbar.
"Unser Land lässt uns im Stich"
Eltern und Betreuer hoffen nun auf eine Einzelfall-Lösung, damit die Kinder weiter betreut werden können. Das Bayerische Sozialministerium teilt auf Anfrage mit, man habe sich mit Bitte um eine einvernehmliche Lösung an die Landratsämter vor Ort gewandt. "Es tut uns leid, dass Bayern jetzt diesen Ärger mit uns hat", stellt Heike Ebke vom Leitungsteam der Mäusebande klar. Der Freistaat hätte von Anfang an klar kommuniziert, dass keine Förderung zu erwarten sei. "Ich verstehe einfach nicht, warum das Land Hessen uns im Stich lässt", so Jessica Hotz. Die Gelder für die hessischen Kinder seien ja ohnehin bereits veranschlagt gewesen.
Muss nun die hessische Kommune blechen?
Das hessische Sozialministerium schiebt die Verantwortung wiederum weiter zur Kommune Breuberg. Es sei denkbar, dass diese für den Ausfall der Fördergelder eintritt. Breubergs Bürgermeisterin Deirdre Heckler zeigt sich jedoch empört. Gerade angesichts des Mangels an Krippenplätzen und Erziehern sei eine landesweite Lösung zu erwarten. "Es kann nicht sein, dass wir da die Zeche zahlen müssen." Trotzdem stellt sie klar: Eine Auflösung der Krippengruppe komme nicht infrage. Notfalls würde die Gemeinde geradestehen.
Die Familie Bohländer muss also darauf hoffen, dass letztendlich doch noch jemand für die Kinderbetreuung in die Bresche springt. Zumindest für die wenigen Monate bis Tochter Lena gemeinsam mit den anderen Kindern in den Breuberger Neubau ziehen kann. Denn dort ist dann das Land Hessen wieder für die Zuschüsse zuständig – ganz offiziell.
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