Eine Frau sitzt auf einem Bett und hält sich die Hände vor das Gesicht.
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Eine Frau sitzt auf einem Bett und hält sich die Hände vor das Gesicht (Symbolbild)

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Datenanalyse: Ampel auf Rot in vielen bayerischen Frauenhäusern

Eine Website soll Frauen helfen, einen freien Platz im Frauenhaus zu finden. Aber Daten von CORRECTIV.Lokal ergeben: In einigen Frauenhäusern in Bayern war 2022 an keinem Tag eine Aufnahme möglich.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Wer die Website der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) besucht, um dort nach einem Frauenhaus in Bayern zu suchen, erhält 39 Treffer – doch häufig steht bei keinem oder nur einem einzigen Haus die digitale Belegungs-Ampel auf Grün: Am Tag der Recherche kann nur das Frauenhaus in Weiden in der Oberpfalz gemäß der Website eine Frau mit oder ohne Kind aufnehmen. Doch das ist auch in Weiden nicht immer so.

Eine Datensammlung von CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, ergab, dass im Jahr 2022 an 211 Tagen kein Platz im Weidener Frauenhaus verfügbar war. Das Netzwerk überprüfte dreimal täglich den Aufnahme-Status der Frauenhäuser auf der ZIF-Website. Eine rote Belegungsampel bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt keine Aufnahme möglich ist. Bei einer grünen Ampel ist mindestens ein Platz verfügbar. Eine graue Ampel bedeutet, dass keine Auskunft an die Website übermittelt wird.

Frauenhäuser müssten entsprechend telefonisch kontaktiert werden. Das Ampelsystem der Website lässt also keine Rückschlüsse auf tatsächliche Plätze zu, gibt aber einen ersten Überblick.

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Auch bei roter oder grauer Ampel lohnt ein Anruf beim Frauenhaus

Frauenhäuser, die als belegt (rot) oder ohne Angabe (grau) gelistet sind, können und sollten bei Bedarf trotzdem telefonisch kontaktiert werden. "Wenn eine Frau in einem vollen Frauenhaus anruft, dann sagen sie nicht einfach, bei uns ist nichts frei, sondern dann machen sich die Kolleginnen auf die Suche nach freien Plätzen, telefonieren ihre Kollegen ab, oder suchen andere Alternativen", bestätigt Heike Herold, Geschäftsführerin der Frauenhauskoordinierung, einem Verein, der deutschlandweit Frauenhäuser und Fachberatungsstellen unterstützt. Allerdings sei dies ein mühsamer Weg, der manche Frau sogar dazu bringe, zurück in eine gewalttätige Beziehung zu gehen. "Das ist ein Skandal", sagt Herold.

Im Jahr 2021 registrierte die Bundesweite Frauenhaus-Statistik 6.431 Frauen und 7.572 Kinder in Frauenhäusern. Knapp die Hälfte der Frauen blieb weniger als einen Monat in der Unterkunft – andere sind auf einen längeren Aufenthalt angewiesen. Gut acht Prozent der Frauen blieben länger als ein halbes Jahr. Ein Grund dafür ist der angespannte Wohnungsmarkt, der den Aufenthalt im Frauenhaus unnötig verlängere.

Grafik: Wohndauer in Frauenhäusern

In Bayern gibt es nach Angaben des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales aktuell 389 Frauenhaus-Plätze für Frauen und circa 486 Plätze für Kinder in insgesamt 41 staatlich geförderten Häusern. Ein zweites Frauenhaus im Landkreis München und eines in Amberg kamen erst 2022 hinzu. 22 weitere Plätze sind geplant. Ein Frauenhaus ist häufig für die umliegenden Landkreise zuständig.

Fünf Landkreisen in Bayern ist gar kein Frauenhaus zugeordnet, beispielsweise Deggendorf oder Regen. Es gibt allerdings auch Häuser, Schutzwohnungen und Anlaufstellen, die von Verbänden oder ehrenamtlichen Akteuren betrieben werden, aber keine Förderung durch die Staatsregierung erhalten.

Da die ZIF-Website nicht vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales betrieben wird und kein vollständiges Verzeichnis aller Frauenhäuser in Deutschland bietet, fehlen auf der Website die beiden staatlich geförderten Frauenhäuser im Landkreis München und eines in Murnau. Dafür ist ein nicht staatlich gefördertes Frauenhaus in Nürnberg gelistet.

Bayerns Frauenhäuser im Schnitt an 332 Tagen belegt

Im bayernweiten Vergleich kann das Weidener Frauenhaus an vergleichsweise vielen Tagen ein oder mehrere Frauen und Kinder aufnehmen. Von den 19 untersuchten Frauenhäusern in Bayern, die ausreichend Daten für eine statistische Auswertung zur Verfügung stellten, war im Schnitt an 297 Tagen im Jahr keine Aufnahme möglich.

In sieben der 19 Frauenhäuser in Bayern war an keinem Tag eine Aufnahme möglich, beispielsweise in Landshut, Regensburg oder Schwabach. Gabi Unverdorben und Franziska Hirsch, die für die beiden Frauenhäuser in Landshut zuständig sind, bestätigen das: "Tatsächlich war die Ampel bei uns immer auf Rot, weil wir eine Warteliste haben und bei einem freien Platz, die Frauen dort kontaktieren."

Für akute Notfälle gebe es aber ein Notzimmer. In Zukunft werden sie die Ampel wieder auf Grau stellen, damit Frauen bei Bedarf anrufen. 2022 erreichten allein das Caritas-Frauenhaus in Landshut 118 Anfragen, von denen 71 aufgrund einer zu hohen Belegung abgelehnt wurden.

"Ob wir die Ampel auf Rot stellen oder nicht, hängt nicht nur von den verfügbaren Plätzen ab", erklärt Andrea Hopperdietzel vom Frauenhaus in Schwabach. "Es kann sein, dass wir in einer Woche beispielsweise schon so viele Aufnahmen hatten, dass eine weitere Aufnahme nicht leistbar wäre. Während Corona konnte das auch an erkranktem Personal oder einem Krankheitsfall im Haus liegen." Die meisten Frauen riefen außerdem unabhängig vom Ampelsystem an, ebenso die Polizei, die bei akuten Angst- oder Gewaltsituationen Frauen an ein Frauenhaus vermitteln kann.

Belegungsquote sagt wenig über tatsächliches Angebot

Auch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales stellt eine Belegungsquote zur Verfügung – allerdings nur für 2021. Demnach waren Bayerns Frauenhäuser 2021 durchschnittlich zu knapp 75 Prozent ausgelastet. 2019 waren es noch knapp zehn Prozent mehr.

Gabi Unverdorben und Franziska Hirsch kritisieren die Statistik. "Manchmal haben wir Frauen mit vielen Kindern, die zwei Zimmer benötigen. Dann ist in der Statistik das Haus trotzdem nicht voll belegt." Außerdem habe es während Corona ein Quarantänezimmer gegeben, das in der Statistik dann als unbelegt gelte.

Karte: Belegungsquote der bayerischen Frauenhäuser

Über den Grund für die niedrigere Belegungsquote während des Lockdowns können die beiden nur spekulieren: "Zum einen waren die Menschen zu Hause. Die Frauen konnten oft nicht unbeobachtet vom gewalttätigen Partner telefonieren. Zum anderen waren Schulen und Kindergärten geschlossen. Fälle von häuslicher Gewalt fielen nicht mehr auf."

2019 betrug die Belegungsquote der beiden Frauenhäuser in Landshut sogar 113 und 114 Prozent – sie nahmen also mehr Frauen auf, als es eigentlich Plätze gab. 2021 waren es 86 und 99 Prozent. "Jetzt sind wir aber wieder auf dem Stand von Vor-Corona", sagt Unverdorben. 2024 bekommt Landshut weitere fünf Plätze. Die Frauenhäuser können also statt zehn sogar 15 Frauen aufnehmen.

Im Schnitt mehr Kinder als Frauen im Frauenhaus

Ein verfügbarer Platz ist aber nicht gleichzeitig ein geeigneter Platz. Besonders schwierig sei es, wenn spezielle Bedürfnisse bestünden, sagt Herold von der Frauenhauskoordinierung: Wenn Frauen beispielsweise ein Haustier dabeihätten oder einen älteren Sohn. Kinder sind generell im Frauenhaus willkommen, nur bei älteren Jungen ist das nicht so einfach, denn viele Frauen, für die das Haus eigentlich ein Schutzraum sein sollte, erfuhren zuvor Gewalt durch einen Mann.

In Bayern gibt es nach Angaben der zentralen Frauenhaussuche bei mindestens 39 Frauenhäusern die Option, zumindest im Einzelfall einen Sohn mit in die Unterkunft zu bringen. Zwei Frauenhäuser geben sogar an, Jungen bis 18 Jahre aufzunehmen. Wichtig ist dann, dass es beispielsweise getrennte Badezimmer in der Unterkunft gibt.

"Frauenhäuser verstehen sich auch als Kinderhäuser", erklärt Herold. Die allermeisten Frauen kämen mit ihren Kindern in die Unterkunft. Aber: Nicht jedes Frauenhaus habe eigenes Personal für die Unterstützung der Kinder. "Das ist kein Zustand. Jedes Frauenhaus braucht entsprechend qualifiziertes Personal. Und das nicht für die Hausaufgabenbetreuung, sondern auch für die Aufarbeitung der Gewaltbeziehung", erklärt Herold. "Wir haben mehr Kinder als Frauen, aber dafür nur die Hälfte an Personal", beklagt Hopperdietzel aus Schwabach.

Grafik: Anzahl der Frauenhäuser für besondere Bedürfnisse

Nur wenig Plätze für Frauen mit Behinderung

Wenn die Frau oder das Kind eine Geh-, Seh- oder Hörbehinderung hat, stehen deutlich weniger Frauenhäuser zur Auswahl. Nach Angaben der bundesweiten Frauenhaus-Statistik besaß knapp ein Fünftel der Bewohnerinnen 2021 eine Behinderung oder Beeinträchtigung. Mindestens jede achte Bewohnerin benötigte psychologische Unterstützung. Bundesweit gebe es zudem nur eine einzige Einrichtung, die Frauen mit einer Suchtmittelabhängigkeit aufnehmen kann, bestätigt Britta Schlichting vom ZIF.

In Landshut etwa sind die Frauenhäuser für keinen dieser Sonderfälle ausgestattet. "Wir hatten eine Frau mit einem behinderten Sohn zu Gast", erzählt Franziska Hirsch. "Das war eine Herausforderung." Sie versuche, Frauen mit Behinderung oder behinderten Kindern an andere Frauenhäuser in Bayern weiterzuvermitteln. "Da gehört mehr dazu als nur die Barrierefreiheit", sagt sie. "Wir müssten dann täglich wechselndes Pflegepersonal in die Einrichtung lassen." Das sei in einem geschützten Raum wie den Frauenhäusern in Landshut eigentlich nicht praktikabel.

Im Frauenhaus in Schwabach gibt es Zimmer für Frauen mit einer Gehbehinderung. Seit kurzem sei das Frauenhaus auch für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung gerüstet. "Letztens war eine Seniorin im Rollstuhl bei uns zu Gast", sagt Hopperdietzel. Ihr ist es wichtig zu betonen, wie divers die Frauen sind, die im Frauenhaus Schutz suchen.

Mehr Personal notwendig, aber nicht finanziert

Außerdem: Die Frauen seien häufig in einer psychisch sehr schlechten Verfassung. Oft sei viel Unterstützungsarbeit notwendig. Die Mitarbeiterinnen helfen bei bürokratischen Aufgaben, bei der Wohnungssuche oder als Dolmetscher. "Es ist wirklich ein Irrsinn, was Frauenhaus-Mitarbeiterinnen leisten müssen. Gleichzeitig klingelt dauernd das Telefon", sagt Hopperdietzel. Das sei eine Zumutung für die Frauen, weil kein Beratungsgespräch in Ruhe geführt werden könne.

Einen Mangel an Personal aufgrund fehlender Finanzierung beklagen auch Hirsch und Unverdorben aus Landshut. Ein Frauenhaus mit fünf bis sieben Plätzen bekommt nur 1,5 Stellen finanziert. Erst ab dem achten Platz sind es 0,2 Stellen mehr. Auch das Fachpersonal zur Kinderbetreuung wird nach der Anzahl der Plätze für Frauen berechnet: Auf fünf bis sieben Plätze kommt eine Fachkraftstelle für Kinder. Ab dem achten Platz sind es 0,1 Stellen mehr.

Nach Angaben des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales richtet sich der Personalschlüssel nach den Plätzen für Frauen, da diese "einen objektiv messbaren Parameter darstellen". Kinderplätze variieren hingegen je nach Frauenhaus.

Zu den festgeschriebenen Aufgaben gehören nicht nur telefonische und persönliche Beratung von hilfesuchenden Frauen, sondern auch eine "Rund-um-die-Uhr" Rufbereitschaft, fachliche Beratung, präventive Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit. "Allein für die Prävention könnten wir eine eigene Person einstellen", sagt Unverdorben. Sie wünsche sich mindestens 2,5 Stellen für fünf bis sieben Frauen. In Landshut ist der Notruf nachts und an den Wochenenden ehrenamtlich besetzt.

Über die Daten:

Vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 erfasste CORRECTIV.Lokal jeden Tag dreimal (8 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr) die Belegungsdaten für alle Frauenhäuser, die auf der Karte "Frauenhaus-Suche“ verzeichnet sind. Auf dieser Seite können Frauenhäuser bundesweit angeben, ob sie aktuell freie Plätze für Frauen und Kinder haben.

Im Jahr 2022 waren auf der Webseite insgesamt 336 Frauenhäuser und Schutzwohnungen eingetragen. Dies sind nicht alle Einrichtungen in Deutschland – insgesamt gibt es rund 400 Frauenhäuser und Schutzwohnungen in Deutschland.

Kriterien für die Datenanalyse waren, dass die Frauenhäuser während des gesamten Jahres 2022 auf der Frauenhaus-Suche-Karte eingetragen waren und dass sie in mehr als 80 Prozent der Zeit eine Angabe zu ihrer Belegung gemacht haben. In Bayern traf das auf 19 der 39 eingetragenen Frauenhäuser zu.

Die offiziellen Belegungsdaten (2021) und Platzzahlen (Stand: März 2023) für die staatlich geförderten Frauenhäuser in Bayern stellte das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales auf BR-Anfrage zur Verfügung.

Sind Sie selbst oder eine Ihnen vertraute Person von häuslicher Gewalt betroffen? Hier können Sie anonym Kontakt aufnehmen: Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016/ Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530

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