Archiv: Windräder stehen in unmittelbarer Nähe einer Wohnsiedlung am Rand eines Dorfes, Baden-Württemberg, Deutschland
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Windräder, vor allem in der Nähe von Siedlungen, sorgen für Kritik - aktuell ist vor allem Infraschall in der Diskussion

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#Faktenfuchs: Infraschall - Im Auto höher als am Windpark?

Infraschall hört man nicht, man spürt ihn. Vor allem Menschen, die nah an Windkraftanlagen leben und über Gesundheitsprobleme klagen, machen Infraschall verantwortlich. Behörden halten ihn für ungefährlich. Für Diskussion sorgen nun Messungen im Pkw.

Windkraft polarisiert. Unterstützer*innen fordern einen Ausbau der Windkraft, auch nahe an Wohnsiedlungen. Kritikerinnen der Windkraft bringen seit Jahren verschiedene, zum Teil haltlose Argumente dagegen in Umlauf.

Aktuell ist es vor allem der Infraschall, also niederfrequente Schallwellen, die wir nicht hören aber als Vibrationen wahrnehmen, vor dem gewarnt wird. Und das obwohl Behörden davon ausgehen, dass Infraschall nicht gesundheitsgefährdend ist. Anwohner von Windparks klagen oftmals über Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Sehprobleme. Diese führen sie auf Infraschall zurück. Noch mangelt es Forschung im Bereich Infraschall, vor allem bei möglichen Langzeitschäden. In diesem #Faktenfuchs beleuchten wir einen aktuellen Versuch und beantworten die daran anschließenden Fragen.

💡 Was ist Infraschall - wie gefährlich ist Infraschall?

Als Infraschall versteht man niederfrequenten Schall unter 20 Hertz, der vom menschlichen Gehör nicht als Ton, sondern als Vibration wahrgenommen wird.

Frequenz wird in Hertz gemessen und bezeichnet die Anzahl an Wellen pro Sekunde. Der Schalldruck wird in Dezibel (dB) angegeben und bezeichnet den Druck, mit dem die Wellen wahrgenommen werden.

Natürliche Infraschallquellen sind beispielsweise Windgeräusche oder Meeresbrandung, technische Quellen können Windräder oder Klimaanlagen sein.

Nach Angaben des Bayerischen Landesamt für Umwelt konnten „aktuell verfügbare Studien für den Infraschallbereich [..] keine gesicherten nachteiligen Wirkungen auf die Gesundheit“ belegen. (Quelle)

Versuch sorgt für Aufsehen: Autobahnfahrt wie 27 Jahre neben Windrad

Es ist ein Versuch, der vor allem unter Beführwortern der Windkraft wohlwollend weiterverbreitet wird: Wenn man nur dreieinhalb Stunden in einem Auto fahre, setze man sich der gleichen Infraschallbelastung aus als würde man 27 Jahre neben einem Windrad leben. Und fast noch entscheidender: Bei einer Autofahrt ist die Infraschallbelastung potentiell gesundheitsgefährdend, bei Windrädern nicht. Mit diesen Behauptungen sorgt aktuell ein Mitarbeiter des Bayreuther Zentrums für Ökologie und Umweltforschung (BAYCEER) für Aufsehen. Das Ergebnis veröffentlichte er auf der Homepage von BAYCEER. (Quelle)

Über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete sich das Ergebnis schnell weiter, es erhielt dort mehrere tausend Likes. Unter den Personen, die den Versuch verbreiteten, waren ein Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin und der Bundesverband Windenergie. Beide Accounts zusammen erreichen mehr als 63.000 Follower.

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Prof. Quasching und Bundesverband WindEnergie verbreiten Studie auf Twitter weiter

Der Autor des Versuch schreibt auf eine BR24-Anfrage hin, es gehe ihm darum "exemplarisch zu zeigen, dass die Infraschallenergie, die von Windrädern ausgeht, um Größenordnungen niedriger ist als die innerhalb fahrender Autos." Zwar könnte der Versuch bei anderen Windverhältnissen oder Fahrgeschwindigkeiten ein anderes Ergebnis liefern - "das grundsätzliche Verhältnis (Jahre zu Stunden) sollte sich jedoch nicht ändern".

Experten, die der Faktenfuchs zu dem Thema befragt hat, halten den Bayreuther Versuch jedoch für unseriös: Zwar seien die Ergebnisse weitgehend realistisch, die Auswirkungen der Infraschall-Belastung im Auto seien aber nicht mit denen durch ein Windrad zu vergleichen.

Infraschall in PKW und an Windkraftanlage

Stefan Holzheu, der Urheber des Versuchs, leitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am BAYCEER die Arbeitsgruppe EDV und Datenbanken. Für den Versuch fuhr er mit seiner Familie in einem Ford Focus über das Wochenende aus dem Raum Bayreuth zu Verwandten nach Hessen. Den Infraschall maß er dabei laut der Webseite mit zwei selbstgebauten Messgeräten, die er im Kofferraum des Autos platzierte.

Weitere Experten, die der BR24-Faktenfuchs dazu befragte, halten den Versuchsaufbau für grundsätzlich geeignet, um Infraschall in einem Fahrzeug zu messen.

Infraschall - nicht hörbar, aber wahrnehmbar

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärt Infraschall in einer Publikation von 2019 wie folgt:

"Infraschall ist Schall der vom Menschen nicht gehört, aber über den Körper als Vibration wahrgenommen wird. Er liegt im Frequenzbereich unter 20 Hertz (Hz). Dieser Schall kann aus künstlichen Quellen (Verkehr, Rüttler, Vibratoren, Wärmepumpen, Biogasanlagen, Kälte- und Klimaanlagen) oder natürlichen Quellen (Meeresbrandung, starker böiger Wind, Stürme und Unwetter) stammen. Bei der Nutzung der Windkraftanlagen zum Beispiel entsteht unbestritten Infraschall." - Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, August 2019 (Quelle)

Allgemein werden Frequenzen bis 100 Hz als "tieffrequenter Schall" bezeichnet. Obwohl die Empfindlichkeit des Ohres zu tiefen Frequenzen hin stark abnimmt, können Luftdruckschwankungen bis zu einer Frequenz von etwa 1 Hz wahrgenommen werden.

Je tiefer die Frequenz, desto höher muss jedoch der Schalldruckpegel – also gewissermaßen die "Lautstärke" – werden, damit der Mensch den Schall noch hört: Im Infraschallbereich bei 3 Hz muss der Schalldruckpegel bei etwa 120 Dezibel liegen. Im Vergleich dazu genügen bei 100 Hz 23 Dezibel, damit der Schall gehört wird. Wie sich beide Werte zueinander verhalten, und wo Schall für den Menschen wahrnehmbar ist, zeigt diese Grafik.

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Wahrnehmungsbereich des Menschen - Hörflache

In der Medizin geht man davon aus, dass der Schalldruck bei Infraschall mehr als 80 Dezibel erreichen muss, um eine mögliche Auswirkung auf die Gesundheit, in diesem Fall die Herzmuskeln, zu haben. (Quelle)

Der gemessene Infraschall bei Windkraftanlagen erreicht diese Schwelle ab einem Abstand von 700 Metern im Mittelwert in der Regel nicht. Das geht aus einer Untersuchung der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) von 2016 hervor.

Stefan Holzheu von BAYCEER ging es nach eigenen Angaben darum "zu zeigen, dass die Infraschallpegel von Windenergieanlagen extrem niedrig sind, verglichen mit Pegeln, denen wir uns sonst aussetzen. Gerade wenn wir über mögliche physische Effekte (z.B. Schädigungen des Innenohrs) reden, ist der Schalldruckpegel die relevante Größe."

Sind die von Holzheu gemessenen Werte realistisch?

Da der Schalldruck, der in einem Auto gemessen wird, von verschiedenen Faktoren abhängt, ist diese Frage nicht ganz leicht zu beantworten. So macht es einen Unterschied, welches Auto man fährt, wie schnell man unterwegs ist und ob das Fenster während der Fahrt offen ist oder nicht. Holzheu kommt in seinem Diesel auf eine durchschnittliche Infraschallbelastung von 95-96 Dezibel. Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg kam bei Messungen im August 2016 auf eine Schallbelastung zwischen 75 und 95 Dezibel. (Quelle)

Bei einer früheren Messung im Jahr 2012 lagen die Werte bei 88 bis 94 Dezibel. (Quelle, Seite 68) Holzheus Werte sind also am oberen Ende dessen, was bisher gemessen wurde – unrealistisch sind die Zahlen aber nicht.

Sind die Auswirkungen von Infraschall während einer Autofahrt und durch ein Windrad vergleichbar?

"Das Geräusch im Auto ist eher gleichmäßig, während beim Geräusch einer Windenergieanlage noch eher der impulshaltige Charakter durch den Flügelschlag hinzukommt", schreibt Detlef Krahé auf eine Anfrage von BR24. Der Ingenieur führte 2014 für das Umweltbundesamt eine "Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall" durch.

Die Impulsartigkeit des Infraschalls entstehe, wenn ein Rotorblatt den Turm passiere. Dann komme es zu Schallspitzen. Bei einer Umdrehung kommt es zu drei Flügelschlägen.

Holzheu gehe von einer "rein physikalischen Wirkung des Infraschalls" aus, vermutet Krahé: "So, als ob der Infraschall direkt mechanisch zu einer Schädigung führt. Diese Annahme dürfte aber kaum zutreffen."

Wie sehr jemand unter Infraschall leide, hänge nämlich von mehreren Faktoren ab, schreibt auch Thomas Myck, Experte für Lärmwirkungen beim Umweltbundesamt, auf BR24-Anfrage. Neben akustischen Faktoren wie der Pegelhöhe, der Frequenz und der Dauer des Tons, spielten dabei auch nicht-akustische Faktoren eine Rolle. Das sind vor allem individuelle Eigenschaften "wie das Lärmbewältigungsvermögen, die Einstellung zur Lärmquelle oder die Lärmempfindlichkeit".

Schallpegel und Entfernung zu Windrad entscheidend

Die oben erwähnte Studie des LUBW von 2016 geht davon aus, dass bereits ab einer Distanz von 700 Metern zum Windrad der "gemessene Infraschallpegel nicht mehr nennenswert oder nur in geringem Umfang erhöht" sei. "In dieser Entfernung wird der Infraschall im Wesentlichen vom Wind und nicht von den Anlagen erzeugt." Sprich: Der Infraschall des Windrades ist vom allgemeinen Grundrauschen nicht mehr zu unterscheiden.

In Bayern verhindert die sogenannte 10H-Regelung das Errichten von Windkraftanlagen in der Nähe von Wohnbebauungen. Die Regelung sieht vor, dass im Umkreis der zehnfachen Höhe des Windrades keine Wohnhäuser stehen dürfen. Windräder der neuesten Generation weisen eine Nabenhöhe von teilweise mehr als 100 Metern auf. Dies bedeutet, dass sich im Umkreis von rund einem Kilometer keine Wohnhäuser befinden dürfen.

Eine Untersuchung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) kam jedoch 2014 zu dem Ergebnis, dass die Infraschallbelastung vor allem in den Spitzen zum Teil deutlich über den Untersuchungen des LUBW lag. Der Grund: Die Messungen des LUBW nahmen einen Mittelwert des gesamten Schalles. Die BGR-Untersuchung untersuchte stattdessen die Spitzenwerte des Infraschall bei einzelnen Windkraftanlagen. (Quelle)

Grundsätzlich jedoch sei ein Vergleich von Windrad und Pkw, wie ihn Wissenschaftler Holzheu anstellt, "nicht sachgerecht", so Thomas Myck: Während eine Autofahrt zu Verwandten eine freiwillige Entscheidung sei, hätten Anwohner von Windenergieanlagen "keine Wahlmöglichkeit und befinden sich in einer Situation, in der sie sich einer wahrgenommenen dauerhaften Belastung nicht entziehen können." Auch dieses Gefühl könne einen Einfluss auf das Ausmaß der Schallwirkung haben.

Detlef Krahé argumentiert ähnlich. Auch wenn die Wirkung von Infraschall auf den Menschen noch nicht abschließend erforscht sei: "Die wesentliche Wirkung dürfte auf neuronaler Ebene stattfinden und damit das mentale Wohlbefinden stark beeinflussen". Deshalb sei auch die Situation entscheidend, in dem sich der Betroffene gerade befindet. Viele Anwohner von Windparks klagen zum Beispiel über Schlafprobleme.

Reelle Krankheit, somatische Ursachen?

In der aktuellen Forschung geht man davon aus, dass die beobachteten Gesundheitsschäden (häufig genannt: Schlafstörung, Kopfschmerzen, Seh- und Hörschäden) durch Infraschall auf einen "somatischen Ursprung" zurückzuführen sein könnten. Das heißt, dass körperliche Beeinträchtigungen wie Schlafstörungen zwar tatsächlich vorliegen, die Gründe dafür aber nicht organisch nachgewiesen werden können. Anders ausgedrückt: Wer davon überzeugt ist, dass Infraschall krank macht, könnte genau an dieser Sorge nachweislich erkranken. In der Medizin spricht man hier von einem Nocebo-Effekt, analog zum Placebo-Effekt. (Quelle)

Laut Umweltbundesamt gibt es bisher "keine konsistente Evidenz dafür, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Infraschallemissionen von Windenergieanlagen verursacht werden". Zugleich betont das Amt: "Derzeit fehlen noch Langzeitstudien, die über chronische Effekte nach langjähriger niederschwelliger Infraschallbelastung Aufschluss geben könnten." (Quelle)

Fazit

Infraschall, also Schallwellen unter 20 Hertz, gibt es sowohl beim Autofahren, als auch bei Windkraftanlagen. Beim Autofahren kann der Infraschall deutlich höher liegen als bei Windrädern, vor allem wenn Anwohner in einem gewissem Abstand zu dem Windrad leben.

Kritiker bezeichnen den Vergleich zwischen Autofahrt und Windkraftanlagen als unseriös. Die Auswirkungen von Infraschall auf den Menschen hängen von verschiedenen Faktoren ab. Unter anderem auch davon, ob das Geräusch gleichmäßig oder ungleichmäßig sei, ob weitere Schallwellen vorhanden seien und ob man sich freiwillig dafür entschieden habe, oder - wie im Falle der Windkraft - dem nicht ausweichen könne..

Der Bayreuther Wissenschaftler betont auf Nachfrage, dass es ihm darum ginge, zu zeigen, dass die Infraschallbelastung von Windrädern nur ein Bruchteil dessen ist, was sich bei Autobahnfahrten messen ließe. Er unterstreicht ebenfalls, dass die gemessenen Infraschall-Werte im Wagen über der schädigenden Grenze von 80 dB liegen.

Unklar ist weiterhin, ob oder welche gesundheitlichen Schäden Infraschall tatsächlich nach sich zieht. Zahlreiche Anwohner*innen in der Nähe von Windkraftanlagen klagen über Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme und weitere Symptome. Laut dem Umweltbundesamt ist nicht belegt, dass diese durch Windenergieanlagen verursacht werden. Dennoch betont das Amt, dass es keine Langzeitstudien gibt. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Probleme somatische Ursachen haben.

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Anmerkung: Nach Veröffentlichung des Textes wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir im Fazit die Aussage von Herrn Holzheu bzgl. der Schallbelastung im Pkw falsch wiedergegeben haben. Die Belastung liegt nicht unter, sondern über 80 dB (wie auch weiter oben im Text angemerkt). Diesen Tippfehler haben wir nun ausgebessert.