20 Prozent der Grundschulkinder in Deutschland können nicht schwimmen. In den Schulen wird deswegen gehandelt. Aber: Wie effektiv kann dieser Schwimm-Unterricht sein, wenn eine Lehrkraft mit bis 29 Kindern alleine im Wasser ist.
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Wie effektiv kann Schwimm-Unterricht sein, wenn eine Lehrkraft mit bis 29 Kindern alleine im Wasser ist?

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Ein Lehrer, 29 Kinder: Wie Schwimmenlernen in der Schule gelingt

Eine Lehrkraft für 29 Kinder im Hallenbad: Diese Vorgabe des Kultusministeriums ist nicht sinnvoll, bemängeln Schulen und die DLRG. Wirklich Schwimmen lernen können Kinder nur dank ehrenamtlichem Einsatz, zeigt ein Beispiel aus dem Landkreis Hof.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Eine Lehrkraft allein mit bis zu 29 Grundschulkindern im Hallenbad: Das ist die offizielle Vorgabe des bayerischen Kultusministeriums. Ob die Jungen und Mädchen bei diesem Personalschlüssel tatsächlich schwimmen lernen können, bezweifelt offensichtlich auch das Ministerium selbst – und lässt eine Teilung der Klasse zu: wenn eine zusätzliche Hilfskraft mit Rettungsschwimmabzeichen unentgeltlich zur Verfügung steht, heißt es in der bis heute gültigen Verordnung aus dem Jahr 1996.

Bei diesen Vorgaben schüttelt Manuela Fischer den Kopf. Sie ist nicht nur bei der Wasserwacht in Schwarzenbach an der Saale aktiv, sondern engagiert sich auch für die Ausbildung der Schwimmtrainer: "Alle Rettungsschwimm-Organisationen geben es immer wieder ans Kultusministerium weiter, dass hier was getan werden muss."

"Schwimmen ist die einzige Sportart, die Leben retten kann"

Der Schwimmunterricht muss mehr Priorität bekommen, fordert auch Marita Scheirich, die Rektorin der Jean-Paul-Grundschule in Schwarzenbach an der Saale: "Schwimmen ist die einzige Sportart, die Leben retten kann", sagt sie. Laut einer großangelegten Studie der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) können 20 Prozent der Grundschulkinder in Deutschland nicht schwimmen. Bei Kindern aus Familien mit einem niedrigen Einkommen liegt der Anteil der Nichtschwimmer sogar bei 49 Prozent. Das zeigt, welche wichtige Rolle ein Schwimmunterricht für alle in den Grundschulen spielt.

Schulen suchen Lösungen für effektivere Schwimmstunden

Während das Kultusministerium keinen Handlungsbedarf sieht, sondern auf die durchschnittliche Klassengröße von 21,9 Kindern verweist, sucht die Schwarzenbacher Rektorin, wie viele andere bayerische Lehrerinnen und Lehrer, nach Lösungen für effektivere Schwimmstunden. Sie jongliert mit allen Möglichkeiten, damit während des regulären Schwimmunterrichts über sechs Wochen sich wenigstens eine Kollegin um die Kinder kümmern kann, die voller Angst ins Wasserbecken starren.

Eine zweite Kollegin kann sich dann um jene kümmern, die schon Schwimmerfahrung haben: "Da zwacken wir mal bei den Stunden für den Differenzierungsunterricht oder eine AG ab, oder ich stelle meine Stunden zur Verfügung, die eigentlich für die Verwaltung vorgesehen sind. Diese Büroarbeit muss ich halt dann abends nachholen", sagt Marita Scheirich.

Auch die Schwimmwochen, die es bayernweit seit 2019 gibt, organisieren die Verantwortlichen in der Schwarzenbacher Grundschule besonders intensiv. Hier sind nicht nur alle Erstklässler im Wasser, sondern auch die Nichtschwimmer aus den oberen Jahrgangsstufen. "Und das geht nur mit der Unterstützung der Wasserwacht", sagt die Rektorin.

Ehrenamtliche nehmen extra Urlaub und ändern Schichtplan

15 Ehrenamtliche von der Schwarzenbacher Wasserwacht sind während der Schwimmwoche täglich mehrere Stunden im Einsatz. Das freut auch die Vorsitzende des Elternbeirats, Constanze Schwarzhuber. Die Eltern bedanken sich mit selbstgebackenem Kuchen und belegten Broten während der Unterrichtspausen bei den Ehrenamtlichen der Wasserwacht. Diese organisieren ihren Arbeitsalltag um die Schwimmwoche herum. Einige nehmen extra Urlaub oder Überstunden, andere lassen dafür ihre Schicht im Dienstplan der Firma ändern. Aus Spaß und Verantwortung für die Kinder, wie sie sagen. "So wie der Umgang im Straßenverkehr was Normales ist, wenn sie in die Schule kommen, so müssen sie auch ans Wasser gewöhnt werden", sagt Manuela Fischer.

Im Schwarzenbacher Hallenbad – das direkt neben der Grundschule liegt – spürt man die Leidenschaft der engagierten Frauen und Männer. Sie unterstützen die Lehrerinnen schon in der Umkleidekabine. So eine komplette Schwimmwoche sei ideal, der Lernerfolg schneller und größer, weil die Kinder Tag für Tag im Wasser sind.

Mit Geduld gegen Angst vor dem Wasser

Geduld ist oberstes Gebot: Denn viele Jungen und Mädchen müssen erst mal grundsätzlich ans Wasser gewöhnt werden. Der regelmäßige Schwimmbad-Besuch gehört bei vielen Familien nicht zum Alltag. In ganz kleinen Schritten wagen sich die Kinder die Treppen im Schwarzenbacher Hallenbad hinunter. Bis sie sich mit dem Kopf unter Wasser trauen, kann es bei einigen mehrere Stunden dauern.

Behutsam kümmern sich die Ehrenamtlichen um jedes einzelne Kind und sorgen so auch für wichtige Erfahrungen. "Wasser im Gesicht ist ja gar nicht schlimm", erzählt eine Sechsjährige strahlend – zuvor hat Schwimmtrainerin Theresa Nittke dem Mädchen mit einer kleinen Gießkanne ganz leicht Wasser über den Kopf geschüttet.

Sponsor übernimmt Gutschein für einen Schwimmkurs

Am Ende der Woche schafft die Erstklässlerin eine halbe Bahn – mit besonderen Schwimmflügeln. Und ihre Augen strahlen vor Stolz. Das reicht zwar nicht für die Seepferdchen-Prüfung, ist aber ein großer Erfolg. Und den belohnt die Schwarzenbacher Wasserwacht: Es gibt einen Gutschein für einen Schwimmkurs und der Platz ist für diese Kinder auch schon fest reserviert. Gleich in der nächsten Woche können sie kommen. Die Kosten übernimmt ein Sponsor, auch darum hat sich die Wasserwacht gekümmert.

Alle Infos bekommen die Eltern auf einem Zettel. Das einzige, was sie tun müssen: Die Kinder regelmäßig zum Schwimmtraining der Wasserwacht bringen. Und sich nach dem Kurs öfter mit ihren Kindern gemeinsam im Schwimmbad vergnügen, hofft Schulleiter Marita Scheirich.

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