Ein Antrag auf Wohngeld mit einem orangen Kugelschreiber
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Antrag auf Wohngeld (Symbolbild)

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Ein Jahr Wohngeld plus: Erfolgsmodell mit Hindernissen

Seit gut einem Jahr kann Wohngeld plus beantragt werden – von der Bundesregierung als Ausgleich für die hohen Energiekosten gedacht. Kommunen beschreiben die Leistung als "Erfolgsmodell", aber auch als "Zeitfresser". Denn Probleme bestehen weiterhin.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Rund zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben Anspruch auf Wohngeld plus und damit im Schnitt auf rund 190 Euro zusätzlich im Monat. Seit Januar 2023 kann man die Unterstützung beantragen, um eine zusätzliche finanzielle Entlastung bei den Wohnkosten zu bekommen. Doch bis die Antragsteller das Geld tatsächlich auf dem Konto haben, kann viel Zeit vergehen. Schon bei der Einführung hatten die Kommunen vor einer Überlastung der Ämter gewarnt - und auch nach einem Jahr bestehen weiter Probleme.

  • Zum Artikel: Wohngeld Plus - Historische Reform oder behördliches Ungetüm?

Sieben Monate warten auf Wohngeld

Davon kann auch Tanja Bless aus Königsbrunn im Landkreis Augsburg berichten. Sie hat als Ehrenamtliche im Helferkreis schon vielen Menschen geholfen, den sechsseitigen Wohlgeldantrag auszufüllen. Ausfüllen kann sie den Antrag inzwischen schnell, doch die Antragsteller müssen trotzdem lange warten. Bei der ersten Familie, die sie beim Antrag unterstützte, kam das Geld erst nach sieben Monaten und nach Fragen beim Landratsamt Augsburg. Und immer noch kann es sein, dass Antragsteller so lange warten müssen.

Wohngeld plus Erfolgsgeschichte in der Stadt Augsburg

In der Stadt Augsburg geht es laut Sozialamtsleiter Dennis Triebsch schneller. Augsburg hat früh extra Personal eingestellt, um die Anträge zu bewältigen. Sogar ein neues Gebäude wurde inzwischen angemietet, um die Arbeitskräfte unterzubringen. Auch deshalb dauert es laut Triebsch im Schnitt nur zwei Monate, bis ein Antrag auf Wohngeld plus in der 300.000-Einwohner-Stadt bearbeitet ist.

Für den Sozialamtsleiter ist das Wohngeld plus deshalb eine Erfolgsgeschichte für Augsburg. Das bestätigt ein Vergleich mit der Stadt Nürnberg: Dort liegt der Bearbeitungszeitraum laut Sozialamt bei sechs bis neun Monaten – allerdings mit abnehmender Tendenz. In der Stadt Kempten mit gut 70.000 Einwohnern dauert es laut Sozialamt derzeit etwa vier bis acht Wochen, bis ein Wohngeld-Antrag bearbeitet ist.

Anträge nach wie vor nicht voll digital

Ein Zeitfresser sei das Wohngeld plus aber trotzdem auch in Augsburg, meint Sozialamtsleiter Triebsch. Kaum jemand schaffe es, den komplizierten Wohngeldantrag auf Anhieb korrekt abzugeben. Und viele Daten müssten von den Mitarbeitern noch per Hand ins System getippt werden. Denn die Software des Bundes passe nicht zu den gängigen Computerprogrammen der Kommunen.

"Wir haben einen bayerischen Online-Wohngeldantrag und seit kurzer Zeit auch einen Antrag des Bundes. Und es ist eben nicht so, dass automatisiert Daten aus dem Antrag in unser Fachverfahren kommen. Das müssen Menschen händisch eintragen", erklärt Triebsch. Daneben gibt es außerdem immer noch viele Anträge in Papierform – eine Option, die für den Sozialamtsleiter nach wie vor wichtig ist, auch weil viele Rentnerinnen und Rentner Wohngeld beziehen.

Städtetag sieht Wohngeld plus mit gemischten Gefühlen

Der Bayerische Städtetag sieht aufgrund der Probleme viele seiner anfänglichen Befürchtungen bestätigt. Das Gesetz sei "gut gemeint, aber schlecht formuliert und schwer umzusetzen", so Achim Sing, der Sprecher des Bayerischen Städtetages. Dies gehe vor allem zu Lasten der Kommunen: Die Städte müssten für die zeitintensive Bearbeitung Personal gewinnen oder aus anderen Abteilungen abziehen. Außerdem müssten sie sich in die "sehr komplexe Rechtsmaterie" einarbeiten.

Auch der Augsburger Sozialreferent Martin Schenkelberg kritisiert das Gesetz. Über den Städtetag hätten sich die Kommunen intensiv in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Die Bundesregierung habe aber alle kommunalen Vorschläge abgelehnt, so Schenkelberg. Nach wie vor sei es so, dass die Personal- und Sachkosten für die Wohngeldbearbeitung zu hundert Prozent zu Lasten der Kommunen gingen. "Es wäre nach wie vor angezeigt, dass sich der Bund an diesen Kosten substanziell beteiligt", so der Augsburger Sozialreferent.

Zahl der Wohngeld-Empfänger in Augsburg verdoppelt

Das Ziel der Bundesregierung, mit dem Wohngeld plus mehr Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, wird aber zumindest teilweise erfüllt. Der Augsburger Sozialamtsleiter Triebsch rechnet damit, dass sich die Zahl der Wohngeld-Empfänger in Augsburg verdoppeln wird – auf gut 5.000 Fälle. Damit bleibt die Stadt allerdings noch deutlich unter der Prognose der Bundesregierung. Die war von einer Verdreifachung ausgegangen.

Ähnlich sieht es in der Stadt Nürnberg aus. Dort hat sich die Zahl der Wohngeld-Anträge durch die Reform etwa verdoppelt – auf gut 28.000. Auch in der Stadt Kempten steigt die Zahl der Wohngeld-Anträge nach wie vor. Derzeit hätten gut 1.200 Kemptener Anrecht auf Wohngeld – gut 200 warten laut Sozialamt noch auf eine Entscheidung.

Viele Berechtigte stellen keinen Antrag

Die Diskrepanz zu den Zielen des Bundes sei deutlich, so Dennis Triebsch – dabei gebe es gerade in Augsburg historisch bedingt viele Menschen mit geringeren Einkommen. Der Sozialamtsleiter kann deshalb nur raten: "Stellen sie einen Antrag. Das sind einfach Rechtsansprüche, die bestehen. Dafür muss sich niemand schämen!"

Die Stadt Augsburg biete auch gute Beratungsmöglichkeiten in der Wohngeldabteilung. "Man hat hier Menschen, die am Telefon sitzen und die mit einem reden. Das ist alles möglich und sollte auch genutzt werden", so Dennis Triebsch. Dank der Reform würden inzwischen rund 60 Prozent der gestellten Anträge auf Wohngeld bewilligt – vor der Reform waren es nur rund 45 Prozent.

Wohngeld plus dient auch als Motivation

Auch Tanja Bless aus Königsbrunn merkt, dass sich manche, die einen Anspruch hätten, gegen einen Antrag auf Wohngeld plus entscheiden. Statt lange darauf zu warten, ob und in welcher Höhe sie ihren Antrag bewilligt bekommen, blieben sie lieber im Aufstocker-Modell des Jobcenters, bei dem sie bereits wissen, wie viel Geld sie bekommen. Außerdem ist es laut Tanja Bless ein Problem, dass nicht über den Anspruch auf andere Sozialleistungen entschieden wird, solange kein Bescheid zum Wohngeld vorliegt. Auch dadurch fehle den Antragstellern wieder Geld, wenn sie zu lange auf das Wohngeld warten müssen.

Insgesamt hält Tanja Bless das Wohngeld plus aber für eine gute Idee, denn für viele sei es eben auch eine Chance, um aus dem Aufstocker-Modell der Jobcenter rauszukommen: "Es gibt auch viele Leute, die haben gar keine Lust, beim Jobcenter zu sein. Und die fühlen sich mit dem Wohngeld auch emotional als vollwertig. Es ist für sie auch eine Motivation, ihr Leben zu organisieren, arbeiten zu gehen und weiter voranzukommen."

Dieser Artikel ist erstmals am 30. Januar 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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