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Im Uhrzeigersinn: Michael Kuffer (CSU), Michael Schrodi (SPD), Nicole Bauer (FDP), Peter Felser (AfD), Erhard Grundl (Grüne), Simone Barrientos (Linke)

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Die Newcomer aus Bayern im Bundestag

709 Sitze hat der neue Bundestag, auf 108 davon nehmen in diesen Tagen Politiker(innen) aus Bayern Platz. Für etliche ist es das erste Mal. Was haben sie vor im Bundestag und wie erleben sie ihren Start?

Sechs aus 709: Bayerns Neu-Berliner

Früher gab es auf der schwarzen Wahlkarte Bayerns noch kleine rote Inseln. Das ist fürs Erste vorbei: Alle 46 direkt gewählten Wahlkreiskandidaten kommen von der CSU. Aus den anderen Parteien kommen es im Umkehrschluss nur Abgeordnete von der Parteiliste nach Berlin. Die bayerische SPD ist mit 18 Abgeordneten im neuen Bundestag vertreten, die Grünen schicken 11 Abgeordnete, die FDP 12, die AfD 14 und die Linke 7.

Woher kommen sie? Wofür stehen sie? Und was sind die ersten Eindrücke der Bundestags-Debütanten? Sechs Abgeordnete aus sechs Parteien im Kurzporträt.

CSU: Michael Kuffer (*1972)

"Politik braucht Typen", stand auf den Wahlplakaten von Michael Kuffer. Im Münchner Süden besonders: Kuffers Vorgänger im Wahlkreis war seit 2002 Peter Gauweiler, davor schafften es hier immer wieder auch gestandene Sozis, das Direktmandat zu erobern - zuletzt 1998 Christoph Moosbauer.

Das erste, was am Typ Kuffer auffällt: Er wechselt gern die Brille. Das zweite: durch alle schaut er gleichmäßig scharf auf mögliche Sicherheitsprobleme in seiner Umgebung. Jahrelang setzte sich der Anwalt im Münchner Rathaus als Law-and-Order-Mann und Reizfigur für viele Stadtratskonkurrenten in Szene. Sein Einsatz für mit Schusswaffen ausgestattete Stadtsheriffs ging auch manchen eigenen Leuten zu weit. Das mit Abstand meistverwendete Wort auf der Startseite seiner Webpräsenz: Sicherheit, gefolgt von Angst.

Dass er im Web einen "Angst-Raum-Melder" installierte, sorgte für neue Aufmerksamkeit, beim Jugendmagazin "jetzt" für Spott. Angst-Raum? "Die Tiefgarage in der Allianz-Arena. Irgendwie krieg ich da immer so Panik, dass ich mit meinem SUV an die Decke stoße."

Der Berliner Reichstag jedenfalls wird Kuffer keine Angst machen - das Münchner Rathaus ist fast so groß und noch verwinkelter und Kuffer gut vernetzt. Eigentlich ist er der Idealtyp, um der CSU "die rechte Flanke zu schließen". Dennoch zieht Kuffer mit zwar sicheren, für CSU-Verhältnisse aber eher mauen 33 Prozent in den Bundestag - das sind, exakt im Partei-Trend, zehn Prozent weniger als 2013 Gauweiler.

SPD: Michael Schrodi (*1977)

Michael Schrodi hat in der Wahlnacht nicht geschlafen. Listenplatz 18 - bei einem historisch schlechten SPD-Ergebnis von 20,5 Prozent im Bund und 15,3 Prozent in Bayern schien ausgemacht, dass es für den Kandidaten, der schon 2013 den undankbaren "Nachrückerplatz" hatte, wieder nicht reichen würde. Bis die Wahlmathematiker in ihren Rechenprogrammen die Überhangs- und Ausgleichsmandate sortiert hatten. Kurz vor Sonnenaufgang stand fest: Unter den acht Frauen und acht Männern, die die Bayern-SPD nach Berlin schickt, ist auch Schrodi.

Wenig später hat die Nachricht auch im Viscardi-Gymnasium in Fürstenfeldbruck die Runde gemacht, wo Schrodi bisher Deutsch und Geschichte unterrichtet hat. Gern, so berichtet der Münchner Merkur, lassen die Schüler ihn nicht ziehen. Trotzdem freuen sie sich für ihn. Schrodi ist engagiert - das hat man auch seinem Wahlkampf angemerkt.

Wer nicht selbst mit Schrodi in Kontakt kam, konnte ihn und seine Positionen auch in etlichen mehr oder weniger gelungenen Youtube-Videos kennenlernen; eines hat Comedian Simon Pearce beigesteuert. Seine Schwerpunkte: Bildung. Familienpolitik, sichere und gerechte Renten. An erster Stelle, das betont er auch BR24 gegenüber: Wohnungsbau. So hat er sich dafür eingesetzt, dass nicht mehr genutzte Bundeswehrflächen, von denen es auch in Fürstenfeldbruck einige gibt, rechtlich nicht an den Meistbietenden verkauft werden müssen.

"Die Wohnungsfrage ist die neue soziale Frage. Gerade auch in Bayern brauchen wir mehr bezahlbaren Wohnraum. In vier Jahren möchte ich erreicht haben, dass sich der Anteil der geförderten Wohnung gesteigert hat." Michael Schrodi

An seiner neuen Wirkungsstätte hat den Historiker nicht zuletzt das historische Reichstagsgebäude beeindruckt. "Die erhaltenen Graffiti der russischen Soldaten aus dem Jahr 1945 mahnen uns, wachsam gegenüber den rechten Demagogen im 19. Deutschen Bundestag zu sein." Mit den Oppositionskollegen von der AfD dürfte Schrodi so seine Probleme haben, mit der Oppositionsrolle selbst eher nicht: Schon 2013 hatte er sich kritisch zur Rolle der SPD in der Großen Koalition geäußert.

AfD: Peter Felser (*1969)

Bei der AfD gibt es nur Neulinge - logisch, zieht die Partei doch zum ersten Mal in den Bundestag ein. Aus Bayern kommen 14 Abgeordnete. Einer von ihnen: Peter Felser aus dem von Berlin fast maximal entfernten Wahlkreis 256 - Oberallgäu-Kempten-Lindau, wo er in der Gemeinde Lauben mit Auftritten etlicher AfD-Prominenter für gemischte Reaktionen gesorgt hat.

"Der Mensch" - "der Unternehmer" - "der Offizier" heißen Rubriken auf seiner Website. Die Forderung nach Bürokratieabbau trifft auf etwas Lagerfeuerromantik und die Schilderung eines Fallschirmsprungs: "Aufschlag Gepäck, eigener Aufschlag, perfektes Abrollen, Schirm zusammenrollen, Gepäck auf und mit dem Sturmgewehr im Laufschritt zum Sammelplatz." Fotos zeigen Felser auf idyllischer Kuhweide, vor Polizeiautos, auch schon am Reichstag. Sein Erstkontakt mit der Parlamentsarbeit, berichtet er, verlief weniger heftig als die Fallschirmlandung.

"Die Bundestagsverwaltung war perfekt vorbereitet und hat uns gut umsorgt. Das reicht vom großen Versammlungsraum für die Fraktionsbildung im Lüders-Haus, über erste Infopakete bis zu den Ausweisen und Bahnkarten" Peter Felser

Ähnliche Professionalität erhofft er sich auch von der eigenen Fraktion. Als wichtigste Ziele nennt er BR24: "Dass Deutschland sicherer ist, dass die Migration geregelt abläuft und dass ich Erfolge bei meinen Themenschwerpukten Landwirtschaft und Mittelstandspolitik vorweisen kann." 

FDP: Nicole Bauer (*1987)

Für FDP-Anhänger ist Bayern nicht immer ein Platz an der Sonne, manchmal eher schwarzes Loch. 2017 ist das anders: Erst wählten die Landshuter im März ziemlich überraschend nicht den Platzhirsch von der CSU, sondern FDP-Kandidat Alexander Putz zum Oberbürgermeister. Bei der Bundestagswahl verdoppelte sich der Stimmenanteil der Liberalen von 5,1 auf 10,2 Prozent.

An beiden Erfolgen beteiligt: Nicole Bauer, geboren in Vilsbiburg, aufgewachsen in Velden und Landshut, seit 2010 in der FDP. Für die Diplomingenieurin gehören Wirtschaft und Wohlstand in klassischer FDP-Manier zusammen. Bauer fordert neue Freihandelsabkommen und degressive Steuerabschreibungen für Betriebe, "ideologiefreie Antriebskonzepte" im Verkehr, weniger Bürokratie für die Landwirtschaft.

In diesem Zusammenhang formuliert Bauer auch den Satz: "Ich mache dafür mich stark, dass jeder Bürger auch in Zukunft das essen kann, was und wann er will". Wohl ein Seitenhieb auf die Grünen, mit denen die FDP demnächst vielleicht zusammenarbeiten muss.

Grüne: Erhard Grundl (*1963)

Was internationale Erfahrung angeht, ist Erhard Grundl den meisten anderen Newcomern meilenweit voraus. Und wie man unterschiedliche Zielgruppen begeistert, weiß er seit den 1980er-Jahren. Damals allerding weniger politisch.

Rockfans kennen Grundl als Sänger der Band Baby you know, die zuerst nur in Regensburg weltberühmt war, dann aber im Schlepptau der quasi angeheirateten und noch berühmteren australischen Go Betweens durch die halbe Welt tourte: Gammelsdorf, London, Memphis (USA). Seit der Bandauflösung 1997 ist Grundl wieder in Straubing.

Stimme hat Grundl also. Warum er diese seit 2004 "ausgerechnet bei den grünen Haderlumpen" erhebt? Das hätten ihn daheim viele gefragt. In einer vielbeachteten Rede auf dem Bundesparteitag 2017 hält Grundl ein dünnes Din-A-4-Blatt in die Höhe: "Das ist das originäre Konzeptionspapier der FDP zum Klimaschutz. Und das" - ein weiterer Zettel - "sind die Vorstellungen der SPD zur Agrarpolitik in Deutschland und Europa." Es stimme eben nicht, dass heute jede Partei Umweltpolitik mache: "Ohne uns herrscht da inhaltliche Tristesse".

In Berlin will er, wie in der Band, als Team Player arbeiten. Im Bundestag hat er erst in den vergangenen Tagen wieder erlebt, "welche Bedeutung gute Mitarbeiter für einen erfolgreichen Einstand haben." Sein Ziel?

"Ich möchte durch gute und bürgernahe Politik in vier Jahren dazu beitragen, dass das Parlament gestärkt wird." Erhard Grundl

Linke: Simone Barrientos (*1963)

Geboren in Eisleben, aufgewachsen in Neustrelitz und schon vor dem Einzug in den Bundestag mit mehr als einem Koffer in Berlin (West): Die Stationen von Simone Barrientos' bunter Vita scheinen zu bestätigen, dass die Linke eher "drüben" als in Bayern zuhause ist. Für Barrientos zumindest trifft das nicht (mehr) zu. Abgesehen davon, dass sie schon vor 1989 in den Westen wechselte, weil sie der SED für einen Studienplatz zu frech wurde: Seit 2013 fühlt sie sich in Ochsenfurt daheim. Hier hat auch ihr Verlag seinen Sitz - "Kulturmaschinen" heißt er und veröffentlicht unter anderem Texte von Franz Josef Degenhardt.

In anderen Parteien würde sie wohl als Unternehmerin gelistet, doch Barrientos kennt das Oben und das Unten und fühlt - frei nach Degenhardt - auch mit den Schmuddelkindern. Vom Wahlkreis Würzburg aus hat sie es nun in den Bundestag geschafft.

Für die nächsten vier Jahre wünscht sie sich, dass "die soziale Ungerechtigkeit und Benachteiligung weiter Teile der Bevölkerung nicht mehr nur als Randthema, sondern als unbedingt zu lösendes Problem betrachtet und natürlich auch angegangen werden".

Weitere Schwerpunkte: Kulturpolitik, Feminismus, der Kampf gegen Handelsabkommen wie TTIP und CETA. Barrientos versucht, zu leben, was sie propagiert: Für mehrere Monate hat sie 2016 in Verlagsräumen und ihrer Privatwohnung Flüchtlinge aus Syrien beherbergt. Dabei vertritt sie immer wieder auch Positionen, die in der Partei oder der medialen Öffentlichkeit gerade nicht im Fokus sind: In der Münchner Runde des BR zum Axtattentat von Würzburg etwa fordert sie vehement eine bessere Unterstützung für die Opfer von Gewaltverbrechen. Was sie an ihrer neuen Wirkungsstätte in der alten Heimat Berlin besonders beeindruckt hat?

"Das unterirdische Labyrint unter dem Bundestag und die professionelle Einweisung all der neuen Abgeordneten. Das ist mit einem großen logistischen Aufwand verbunden und wird mit Freundlichkeit und Professionalität durch die Bundestagsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter erledigt. Danke an dieser Stelle an die Leute." Simone Barrientos

Und weiter?

Spätestens am 24. Oktober kommen die Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des Bundestags zusammen. Halten sie dann, was sie versprechen? Die Debatten des Bundestags können Sie im Parlamentsfernsehen auf bundestag.de verfolgen. Wie sich die einzelnen Abgeordneten bei Abstimmungen verhalten, lässt sich auf abgeordnetenwatch.de nachlesen.