Dem Wahldebakel bei der Bundestagswahl 2021 sollte ein Neuanfang folgen. Aber innerhalb der Linkspartei entzünden sich immer wieder Richtungsstreits und Machtkämpfe. Eine einheitliche Position zum Angriff Russlands auf die Ukraine blieb auf der Strecke. Die Partei ist gespalten. An der Spitze wie in der Basis.
- Aktuelle Entwicklungen im Krieg Russlands gegen die Ukraine im Newsticker
Würzburger Linke Barrientos zieht Schlussstrich
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Würzburg Simone Barrientos kritisierte die zu unklare Abgrenzung von Putin. Im eigenen Kreisverband in Würzburg hatte diese Haltung zu Konflikten geführt, weil prominente Stadträte sehr lange viel Verständnis für Putin hatten. Jetzt hat Barrientos mit der Partei gebrochen.
"Das ist ein bisschen als würde man seine große Liebe verlassen, weil man weiß, dass sie einem nicht gut tut", sagt sie. In ihrem Hausflur in Ochsenfurt im Landkreis Würzburg türmen sich Taschen voller Kleider und Schuhe, die Farbe rot blitzt überall hervor. Auch eine Espressomaschine ist darunter. Überbleibsel aus ihrer Zeit als Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag.
Ukraine-Krieg legt Uneinigkeit der Linken offen
Schon seit einiger Zeit hadere sie mit den Positionen der Partei. Vor allem beim Thema Außenpolitik sei man gespalten – mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine seien diese internen Unstimmigkeiten jetzt sichtbar geworden. Dass einige Linkenpolitiker russische Sicherheitsinteressen durch die NATO verletzt gesehen haben, entsetzt Barrientos – aber verwundert sei sie nicht: "Die außenpolitischen Positionen in der Fraktion wurden ja gewählt, waren gewünscht in der Spitze."
Die Linke-Bundestagsfraktion: NATO als Feindbild
Barrientos bezieht sich auf die Stellungnahme einer Gruppe Bundestagsabgeordneter um Sahra Wagenknecht kurz nach Kriegsausbruch. Auch der Schweinfurter Klaus Ernst gehörte zu den Unterzeichnern, die sich gegen die Entscheidung des Bundestags, die Ukraine mit Waffenlieferungen und den Etat der Bundeswehr mit 100 Milliarden zu unterstützen, aussprach. Im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk bekräftigt er diesen Standpunkt: "Es muss eine Lösung geben, dass die Sicherheitsinteressen der Russen wie die Sicherheitsinteressen der Ukraine gleich berücksichtigt werden."
Keine Einheit bei Außenpolitik
Es dürfe nicht dazu kommen, "dass in der Ukraine Raketen aufgestellt werden, möglicherweise NATO-Raketen, obwohl man gar nicht in der NATO ist, die dazu führen, dass sich die Russen bedroht fühlen können." Denn außenpolitisch sei die Linie klar: Friedenspolitik. Diplomatie statt Drohgebärden. Die Vorsitzende der Linksfraktion Susanne Hennig-Wellsow stimmte ihre Partei jetzt auf eine Programmdebatte ein. Richtig so, sagt Barrientos: Der Krieg in der Ukraine zeige deutlich, dass die linke Außenpolitik in Krisen nicht konsequent handlungsfähig und lösungsorientiert sei.
Unstimmigkeiten führen zu Orientierungslosigkeit in der Basis
Eine Haltung der Parteispitze, die zu Orientierungslosigkeit in der Basis führe, kritisiert Barrientos. Als russische Truppen am 13. Februar schon an der ukrainischen Grenze aufmarschiert waren, schrieb Sebastian Roth auf Facebook: "Alles nur Scharade." Der Kommunalpolitiker sitzt für die Linke im Würzburger Stadtrat. "Ich habe mich schwer gewundert." Dass der Angriffskrieg Russlands ein Verbrechen sei, stehe außer Zweifel, sagt er mittlerweile. "Ich war sehr entsetzt von dem Angriff. Das habe ich auf Facebook dann auch so geschrieben. Dass ich das zutiefst verurteile."
Sprechblasen statt Aussagen und klarer Haltung
Wie gespalten und orientierungslos die Partei sei, macht Barrientos an einem Beispiel deutlich: "Die Linke steht mit dem Transparent auf der Straße: 'Nieder mit den Waffen!' Das ist eine Sprechblase, keine Aussage. Das kann auch bedeuten: 'Nieder mit den Waffen, Ukrainer.' Das muss aber heißen: 'Nieder mit den Waffen, Putin!'"
Ernst: Verlust der Glaubwürdigkeit durch Entfernung von Kernthemen
Warum die Partei ihren Mitgliedern an der Basis keine Orientierung mehr sei, erklärt Klaus Ernst sich so: In der Öffentlichkeit habe die Linksfraktion im Bundestag plötzlich mit Themen dagestanden, die nicht mehr die Kernthemen seien. "Da haben die Leute irgendwann gesagt: 'Wir wählen euch nicht mehr.' Und ich muss sagen: Ich hab das verstanden. Weil die nicht mehr erkannt haben, wofür wir stehen, für was wir zuständig sind und was das mit ihnen zu tun hat", sagt er im Gespräch mit dem BR. Er sehe, dass es zwei wesentliche Strömungen gebe, aber "wie das zusammengeführt werden kann, ist vollkommen offen."
Simone Barrientos: "Genossin ohne Parteibuch"
Die Haltung der Bundestagsfraktion zum Ukraine-Krieg sei am Ende bloß der Auslöser gewesen. Gründe für den Austritt habe es viele gegeben. Die Partei finde keinen Ausweg aus der ewigen Selbstbeschäftigung. Deshalb kehrt Barrientos jetzt zwar der Partei den Rücken, aber "ich bin jetzt Genossin ohne Parteibuch. Ich war immer ne Linke." Mit ihrem Parteiaustritt gibt sie auch ihr Mandat im Würzburger Kreistag ab. Für die Linksfraktion im Bundestag wäre sie die erste Nachrückerin gewesen.
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