Archivbild: Medikamenten-Lager einer Apotheke
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Arznei-Lieferengpässe auf höchstem Stand seit Pandemiebeginn

Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten sorgen schon seit geraumer Zeit bei vielen Patienten und Apotheken für Ärger. Aktuelle Zahlen, die BR Data ausgewertet hat, zeigen: In diesem Jahr liegt die Zahl der Lieferengpässe höher als im Corona-Jahr 2020.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Was viele Apotheken-Teams und Patienten seit Monaten immer wieder spüren, spiegelt sich auch in offiziellen Zahlen wider: Arznei-Lieferengpässe haben dieses Jahr einen Höchststand erreicht. BR Data hat Meldungen, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) eingehen, ausgewertet – mit dem Ergebnis: Fürs Gesamtjahr 2022 wurden dort 845 Engpässe gemeldet. Im Gesamtjahr 2020, also nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, waren es 819.

Die Daten für 2018 und 2019 sind nur bedingt mit den Folgejahren vergleichbar: Die Kriterien wurden geändert, welche Engpässe gemeldet werden sollen. Impfungen werden bei den Daten nicht berücksichtigt. Die Zahlen für 2023 und danach beziehen sich auf Engpässe, bei denen jetzt schon absehbar ist, dass sie länger anhalten.

Patienten spüren Arznei-Engpass direkt

Die Daten des Bundesinstituts zeigen auch eine Verschiebung hin zu Medikamenten, bei denen Patienten Knappheit direkt spüren. Im Jahr 2020 lag die Zahl der Engpässe, die vor allem Kliniken betreffen, deutlich höher als die Lieferschwierigkeiten, die nicht als "krankenhausrelevant" eingestuft wurden. Im ersten Corona-Jahr lag dieses Verhältnis bei 582 zu 237. Im Jahr 2022 ist die Zahl der nicht krankenhausrelevanten Engpässe, die vor allem Vor-Ort-Apotheken betreffen, auf 447 gestiegen, während die krankenhausrelevanten Engpässe auf 397 gesunken sind.

Die Daten für 2018 und 2019 sind grau hinterlegt, weil sie nur bedingt mit den Folgejahren vergleichbar sind: Die Kriterien wurden geändert, welche Engpässe gemeldet werden sollen. Impfungen werden bei den Daten nicht berücksichtigt.

Zunehmende Verteilungsprobleme

Bei den Erklärungen für die aktuellen Engpässe beobachtet das Bundesinstitut mehrere neue Entwicklungen. "Erhöhte Nachfrage" als Grund für einen Engpass ist deutlich angestiegen: Von nur jeweils einer Nennung in den Jahren 2018 und 2019 auf 186 Nennungen in diesem Jahr.

Weitere Gründe können angegeben werden, gezeigt werden nur die wichtigsten. Die Daten für 2018 und 2019 sind nur bedingt mit den Folgejahren vergleichbar: Die Kriterien wurden geändert, welche Engpässe gemeldet werden sollen. Impfungen werden bei den Daten nicht berücksichtigt.

Arzneimittelbehörde warnt vor Hamsterkäufen

Es kommt nach Einschätzung der Behörde vor, dass einzelne Apotheken und Großhändler versuchen, größere Vorräte anzulegen – zulasten anderer Einrichtungen. Das BfArM schreibt daher, es werde "dringend empfohlen, eine Bevorratung, die über das Maß eines wöchentlichen Bedarfs hinausgeht, sowohl in Apotheken als auch im vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen zu unterlassen".

Holetschek: Notdienst-Apotheken über Feiertage gut bestücken

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte dem BR, auch in seinem Ministerium gebe es Hinweise, "dass die Verteilung noch etwas ungleichmäßig ist". Deswegen habe sein Haus Großhändler und Apotheken aufgefordert, mit Blick auf die kommenden Feiertage alles dafür zu tun, dass vor allem Notdienst-Apotheken gut bestückt sind. Gleichzeitig forderte Holetschek mittel- und langfristige Maßnahmen, damit wieder mehr Medikamente in Europa hergestellt werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, dass er zügig entsprechende Vorschläge vorlegen will.

Kritik an der Preispolitik der Krankenkassen

Der Forderung nach einer Rückverlagerung der Produktion schließt sich der Vorstand des Pharma-Großhändlers Sanacorp, Herbert Lang, an: "Wir müssen es wieder attraktiv machen, Arzneimittel in Deutschland oder zumindest in Europa zu produzieren", sagt der Chef des Unternehmens, das rund 8.000 Apotheken beliefert und in Planegg bei München ein Niederlassung hat. Inzwischen würden rund zwei Drittel der Arznei-Wirkstoffe in Asien produziert. Ein Grund dafür liege in der Preispolitik deutscher Krankenkassen, kritisiert Lang. Es gebe seit etlichen Jahren eine "Preisspirale", die abgestellt werden müsse.

Um die Krankenkassen finanziell zu entlasten, hat die damalige Bundesregierung vor rund 15 Jahren den Kassen ermöglicht, mit der Pharmabranche bei Präparaten, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist, Rabattverträge auszuhandeln. Darin verpflichtet sich der Produzent solcher Generika, die Versicherten der jeweiligen Kasse zuverlässig und zu einem kostengünstigen Preis zu versorgen. Im Gegenzug kann sich die Pharmafirma darauf verlassen, dass dann, wenn Versicherte der jeweiligen Kasse ein Rezept einlösen, das eigene Produkt über den Tresen gereicht wird und nicht eines der Konkurrenz. Dadurch sparen die Kassen jährlich mehrere Milliarden Euro.

AOK plädiert für Frühwarnsystem

Die Kassen bestreiten allerdings, dass ihre Rabattverträge ein Grund für die Lieferschwierigkeiten seien. Weil der Arzneimarkt ein Weltmarkt ist, hätten Engpässe "globale Ursachen", erklärt die AOK Bayern. Wichtig ist nach Ansicht der AOK vor allem ein Frühwarnsystem. Damit sollen Hersteller verpflichtet werden, Schwierigkeiten so schnell wie möglich zu melden, damit reagiert werden kann.

Fachleute: Produktion zurück nach Deutschland holen

Viele Fachleute aus der Pharmabranche halten solche Vorschläge für zu kurz gegriffen. Großhändler Lang beispielsweise stellt fest: Etliche Vorratsfächer in den Lagern seiner Firma seien leer, weil die Hersteller nichts liefern: "Wir haben keinen Wareneingang, und damit haben wir auch keine Ware mehr im Lager." Da helfe auch bessere Planung nichts, sagt Lang. Deshalb sei der einzige Weg heraus aus den Lieferengpässen, Produktion an möglichst vielen Standorten in Deutschland und Europa zu fördern.

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