Der Baumkontrolleur im Gerichtssaal neben seinem Anwalt
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Das Amtsgericht Augsburg hat den städtischen Baumkontrolleur vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

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Baum erschlägt Kleinkind: Gericht spricht Baumkontrolleur frei

Ein Ahorn stürzt auf einem Spielplatz auf eine Mutter und ihr Kleinkind. Nun musste sich der zuständige Baumkontrolleur der Stadt Augsburg vor Gericht verantworten. Hatte er Schäden am Baum übersehen? Im Streit der Gutachter entscheidet das Gericht.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Wer vor dem Unfall den Spielplatz betreten hat, der habe den Ahorn sofort gesehen, sagt der Baum-Sachverständige Bodo Siegert vor dem Augsburger Amtsgericht. "Der Baum war der Blickfang Nummer eins, der hätte schon Laien beunruhigt." Denn der Ahorn wächst schräg in den Spielplatz hinein, in einem 45-Grad-Winkel.

Vor rund zwei Jahren wird dieser Wuchs einer Mutter und ihrer kleinen Tochter zum Verhängnis. Geschwächt von einem Pilz bricht der Baum und stürzt auf die Wippe, auf der die Mutter mit dem knapp eineinhalb Jahre alten Mädchen spielt. Die Mutter kann sich verletzt befreien, doch bei dem Kind dauert es Minuten, bis es geborgen wird. Stunden später verstirbt das Mädchen in der Uniklinik Augsburg.

Staatsanwaltschaft wirft Baumkontrolleur Versagen vor

Ein tragisches Unglück oder ein Versagen des zuständigen Baumkontrolleurs? Die Staatsanwaltschaft tendiert zunächst zu Letzterem und wirft dem Mann - den das Gericht später freisprechen wird - fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor. Der 23 Meter hohe Ahorn sei auffällig schräg gewachsen gewesen, hätte Einwölbungen und verdächtige Wurzeln gehabt.

Gutachter bestätigt Kritik an Baumkontrolleur

Der Sachverständige Bodo Siegert bestätigt zunächst die Sicht der Staatsanwaltschaft, wonach der Angeklagte genauere Untersuchungen hätte durchführen müssen, allem voran mit einer Bohrung, um etwaige Hohlräume im Stamm zu erkennen. Zwar sei der Befall mit dem Brandkrustenpilz schwer zu erkennen gewesen, die Merkmale des Baumes hätten jedoch zu einer "sofortigen" Untersuchung des Ahorns führen müssen. Das bloße Abklopfen des Baumes mit einem Schon-Hammer hätte nicht ausgereicht.

Zweiter Gutachter urteilt zugunsten des Baumkontrolleurs

Andreas Detter, ein zweiter geladener Sachverständiger, betont dagegen die Richtlinien der Baumprüfer. Demnach würden nicht alle Merkmale des Baumes generell auf Fäulnis hindeuten beziehungsweise auf eine Beeinträchtigung der Sicherheit. Das Ausgleichswachstum des Baumes wie etwa die krallenartigen Wurzeln hätten auch nur dem Schrägstand geschuldet sein können.

Für weitere Untersuchungen hätten konkrete Anzeichen für Fäulnis vorliegen müssen, wie Risse, Bodenaufwölbungen oder sichtbare Fruchtkörper des Pilzes an der Rinde. Würde man rein nach dem Schrägstand und dem Versorgungsschatten gehen, müsste man in Augsburg "tausende Bäume" genauer untersuchen müssen. "Es ist schwer, es als tragischen Unfall hinzunehmen", aber "ein gewisses Risiko verbleibt, das wir als Gesellschaft in Kauf nehmen".

Gutachter kritisiert Gutachter

Als dritter geladener Sachverständiger kritisiert Prof. Ulrich Weihs, dass der Sachverständige Bodo Siegert in seinem Gutachten nicht die Kontroll-Richtlinien der Baumkontrolleure zugrunde gelegt habe, sondern ein andere, restriktiver gefasste Bewertungsrichtlinie. Er erklärte, dass auch er den Ahorn aufgrund seiner Merkmale nicht näher untersucht hätte.

Richterin spricht Baumkontrolleur frei

Am Ende hieß es also 2:1 für den Angeklagten, wenn man die Aussagen der Gutachter zusammenfasst. Und so kam schlussendlich auch die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass der Baumkontrolleur freizusprechen sei. Dem folgte das Gericht.

"In der Gesamtabwägung war die Kontrolle fachlich korrekt. Es gab keine besonderen Hinweise, die auf den Pilzbefall hingedeutet hätten. Der Schrägstand allein war noch kein Anhaltspunkt dafür", so die zuständige Richterin in ihrer Urteilsbegründung. "Der Bogen einer Regelkontrolle darf nicht überspannt werden, man muss einen Weg finden, wie die Kontrollen stattzufinden haben." Ob man nicht grundsätzlich einen schrägen Baum auf einem Spielplatz vorsorglich fällen sollte, das müsse die Stadt entscheiden, das läge nicht in der Zuständigkeit der Baumkontrolleure.

Angeklagter Baumkontrolleur ist seit dem Unfall arbeitsunfähig

Der Angeklagte hatte zuvor über seinen Anwalt erklärt, dass er der Familie des verstorbenen Mädchens sein "aufrichtiges Beileid und Anteilnahme" ausspreche. "Wäre er in der Lage gewesen, das tragische Unglück zu vermeiden, hätte er es getan", so sein Anwalt weiter. Über die acht Jahre, in denen er den Baum kontrolliert habe, hätten sich keine Anhaltspunkte erkennen lassen, dass der Baum in seiner Standfestigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Seit dem Vorfall sei der Angeklagte arbeitsunfähig und in psychotherapeutischer Behandlung.

Das Urteil ist bereits rechtskräftig, da alle Seiten auf Rechtsmittel verzichten. Vor dem Saal wurde der Baumkontrolleur von seiner Familie umarmt. Seiner Frau liefen dabei Tränen über die Wangen.

Im Video: Baum erschlägt Kleinkind: Gericht spricht Baumkontrolleur frei

Der umgefallene Ahornbaum hinter einem Zaun
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Dieser umgestürzte Ahornbaum hat auf einem Spielplatz ein Kind tödlich verletzt

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