Außenministerin Baerbock besucht das griechische Flüchtlingslager Schisto, während Panagiotis Mitarachi mit ihr spricht.
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Außenministerin Baerbock besucht das griechische Flüchtlingslager Schisto, während Panagiotis Mitarachi mit ihr spricht.

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Baerbock fordert bei Frontex-Besuch Aufklärung von Pushbacks

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat bei einem Besuch in Griechenland die illegale Zurückweisung von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze - sogenannte Pushbacks - kritisiert und eine systematische Aufklärung gefordert.

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Nach neuen Vorwürfen gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei ihrem Besuch in Griechenland eine konsequente Klärung gefordert. Die EU müsse "noch stärker sicherstellen können, dass natürlich auch an der europäischen Außengrenze die Menschenrechte rund um die Uhr eingehalten werden", sagte Baerbock am Donnerstag nach einem Besuch im Frontex-Verbindungsbüro in Athen.

EU-Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen Frontex

Das Zurückdrängen von Flüchtlingen über die EU-Außengrenzen sei "mit europäischem Recht nicht vereinbar", stellte sie klar. Ein seit Monaten unter Verschluss gehaltener EU-Bericht wirft Frontex nach Informationen des "Spiegel" das bewusste Wegsehen beim Zurückdrängen von Flüchtlingen auf dem Meer durch die griechische Küstenwache vor.

Auf 129 Seiten dokumentiere der Bericht, "wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex in die illegalen Machenschaften der griechischen Küstenwache verwickelt war", schreibt der "Spiegel". Die Grenzschützer setzen demnach in der "Ägäis Asylsuchende systematisch antriebslos auf dem Meer aus". Frontex habe früh von griechischen Menschenrechtsverletzungen gewusst und diese vertuscht.

In einem Fall sei ein Frontex-Flugzeug eigens aus der Ägäis abgezogen worden, "um nicht Zeuge zu werden", so beschreibt es der Bericht der Anti-Betrugsbehörde "Olaf", aus dem das Nachrichtenmagazin "Spiegel" und die Zeitung "Le Monde" am Donnerstag zitieren. Frontex habe auch verschleiert, dass in mindestens sechs Fällen Geld europäischer Steuerzahler im Spiel war, da die EU die beteiligten Küstenwachschiffe mitfinanziert hatte.

Die EU-Kommission betonte, dass sie 31 Menschenrechtsbeobachter eingesetzt habe, um solche Vorfälle künftig zu verhindern. "Wir arbeiten auch eng mit den griechischen Behörden zusammen", sagte Kommissionssprecherin Anitta Hipper am Donnerstag.

Baerbock: Jede Grenze muss auch eine Tür haben

"Es ist mir wichtig, dass wir diese Fälle systematisch aufklären", sagte Baerbock in Athen. Zwar müsse die EU gemeinsam ihre Außengrenze schützen, sagte die Ministerin. Doch sei ihr dabei wichtig, "dass jede Grenze eben auch eine Tür haben muss, und dass an den Außengrenzen unsere europäischen Werte gelten", sagte Baerbock. "Wenn wir da wegschauen, gehen unsere Werte im Mittelmeer unter", warnte sie. Baerbock bekräftigte die Forderung der Ampel-Regierung, eine europäische Seenotrettung aufzubauen. Gerettete Migranten müssten "mit festen Zusagen" in anderen EU-Ländern angesiedelt werden, um Länder an der Außengrenze wie Griechenland zu entlasten.

Zuvor hatte die Außenministerin gemeinsam mit dem griechischen Migrationsminister Panagiotis Mitarachi mit Geflohenen im Flüchtlingslager Schisto bei Athen gesprochen. Mitarachi wies dabei den Vorwurf zurück, dass griechische Sicherheitskräfte ankommende Flüchtlinge in illegalen Pushbacks von ihrem Staatsgebiet zurückdrängt und ihnen so die Möglichkeit nimmt, auf EU-Gebiet einen Asylantrag zu stellen.

"Ich kann nicht ausschließen, dass es individuelles Fehlverhalten gibt, aber ganz prinzipiell halten wir uns an die Regeln", sagte Mitarachi. Er betonte: "Wir haben das Recht, unsere Grenzen zu schützen."

Griechenland missachtet Schutzrechte Asylsuchender immer wieder

Griechenland muss laut europäischem Recht Schutzsuchenden, die das Land erreichen, ein Asylverfahren ermöglichen - missachtet dies aber regelmäßig. Die EU-Kommission hatte Griechenland erst in diesem Monat erneut aufgefordert, "gewaltsame und illegale" Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen zu beenden.

Hierbei geht es um sogenannte Pushbacks: Dabei handelt es sich um Zwangsmaßnahmen etwa der Küstenwache, mit denen Migranten meist unmittelbar nach Grenzübertritt zurückgewiesen werden, ohne die Möglichkeit zu bekommen, einen Asylantrag zu stellen.

Die Zahl der Flüchtlinge, die vor allem aus der Türkei in Griechenland eintreffen, hat nach griechischen Angaben in diesem Jahr zugenommen - alleine in den ersten vier Monaten des Jahres um 30 Prozent, wie die Regierung in Athen mitteilte. Die Flüchtlinge stammen oft aus Bürgerkriegsländern wie Syrien oder aus Afghanistan oder dem Irak.

Blumen am Holocaust-Mahnmal

Bei ihrem Antrittsbesuch in Griechenland hat Baerbock auch der Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gedacht. Die Forderung Griechenlands nach Entschädigungszahlungen für das erlittene Leid wies sie allerdings zurück. "Bei der Frage mit Blick auf Entschädigungszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg sind wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung", sagte sie. Deutschland und Griechenland verbinde eine schwierige Geschichte - "eine Täternation und eine Opfernation".

In ihren Gesprächen mit der griechischen Regierung am Freitag wolle sie darüber beraten, "wie wir aus unserer gemeinsamen Geschichte eine gemeinsame Zukunft noch besser bauen können", sagte Baerbock. Die Ministerin besuchte in Athen die Gedenkstätte am Ort der früheren NS-Stadtkommandantur, wo die deutschen Besatzer tausende griechische Widerstandskämpfer und Zivilisten festhielten und folterten. Am Holocaust-Mahnmal legte sie Blumen nieder.

"Vielen Deutschen ist Griechenland als Urlaubsort sehr vertraut, aber zu wenige wissen um das Ausmaß der Schuld, die Deutschland dort im Zweiten Weltkrieg durch die Gräueltaten der NS-Besatzung auf sich geladen hat", erklärte sie. "Die Erinnerung daran wachzuhalten ist mir wichtig."

Griechenland hat Forderung nach Reparationen nie aufgegeben

Baerbock machte zugleich klar, dass sie dem griechischen Wunsch nach Gesprächen über die Zahlung von Reparationen für das Leid der Besatzung im Weltkrieg nicht nachkommen könne. Die neue Bundesregierung sei hier "nicht zu einer neuen Rechtsauffassung gekommen", sagte sie in einem Interview mit der griechischen Zeitung "Ta Nea".

Die griechische Regierung hat die Forderung nach Reparationen offiziell nie aufgegeben. Die Bundesregierung argumentiert seit Jahren, dass es für solche Zahlungen keine Rechtsgrundlage gebe.

Treffen mit Ministerpräsident Mitsotakis und Weiterreise in die Türkei geplant

Am Freitag sind in Athen Unterredungen der Bundesaußenministerin mit Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und Außenminister Nikos Dendias geplant, ehe die Ministerin nach Istanbul weiterreist. Dort ist noch am selben Tag ein Treffen mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu vorgesehen.

Baerbock rief die Nato-Mitglieder Griechenland und Türkei zum Auftakt ihres Besuchs auf, ihre wachsenden Spannungen im Dialog beizulegen. Sie warnte davor, dass Russland derzeit "mit allen Mitteln" versuche, die Nato zu spalten. Streit innerhalb der Nato spiele dem Kreml in die Hände: "Nie kam es mehr auf den Zusammenhalt zwischen Nato-Verbündeten und europäischen Partnern an als in diesen Zeiten."

Griechenland und die Türkei sind Bündnispartner in der Nato, ihre Beziehungen sind aber schon seit Jahrzehnten von großen Spannungen geprägt, vor allem konkurrierende Gebietsansprüche in der Ägäis sorgen für Streit. Die Türkei hatte zuletzt den Ton gegenüber Griechenland deutlich verschärft, die Regierung in Ankara stellte die griechische Souveränität über mehrere Ägäis-Inseln in Frage und legte ihre Kontakte zur griechischen Regierungsspitze auf Eis.

Baerbock lobt Griechenland

In ihrem Interview mit der Athener Zeitung "Ta Nea" ließ Baerbock Kritik am Gebaren der türkischen Führung erkennen. "Mitglieder eines gemeinsamen Verteidigungsbündnisses bedrohen einander nicht, sondern akzeptieren und respektieren gegenseitig ihre Souveränität", sagte sie. Sie lobte die griechische Regierung für deren "Signale der Dialogbereitschaft".

(mit Agenturmaterial)

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