gelagerter Gerstensamen aus dem Svalbard Global Seed Vault; Spitzbergen
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Auch Saatgut aus Deutschland, wie diese Gerstensamen, wird in Spitzbergen verwahrt.

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Langzeitstudie: Wie lange keimt tiefgekühltes Saatgut?

Im Saatgut-Tresor auf Spitzbergen werden Sämereien aus aller Welt bewahrt, für den Fall, dass Katastrophen oder Klimawandel Kulturpflanzen vernichten. Nun soll ein 100-jähriges Experiment klären, wie lange gekühlte Samen überhaupt keimfähig sind.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Wenn man Saatgut von 13 Nutzpflanzen heute bei idealen Bedingungen, also bei , minus 18 Grad, trocken einlagert: Aus wie vielen der Samen wächst 100 Jahre später noch eine Pflanze? Das ist grob zusammengefasst die Frage, der nun ein Experiment im globalen Saatgut-Tresor „Svalbard Global Seed Vault“ auf Spitzbergen nachgeht.

Erste Proben aus Deutschland

Die ersten Proben für die Langzeitstudie kamen aus Deutschland und wurden Ende August eingelagert. Die Antwort, wie lange diese Samen überhaupt keimfähig sind, wird aber etwa drei Wissenschaftlergenerationen auf sich warten lassen. Ein Jahrhundert ist ein immens langer Zeitraum für ein Forschungsprojekt, sagt auch Andreas Börner vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben:

„Die Gedanken gingen sogar soweit, dass ich mir vorgestellt habe, dass mein in diesem Jahr geborenes Enkelkind möglichweise das Ende dieses Versuchs auch nicht mehr erleben wird.“ Andreas Börner, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben

Andreas Börner ist leitender Wissenschaftler am IPK. Das Institut betreibt in Sachsen-Anhalt eine der sechs Genbanken, die Proben für das Langzeit-Experiment in Norwegen über die nächsten Jahre einlagern werden.

13 Nutzpflanzen im Test

Insgesamt steht das Saatgut von 13 Nutzpflanzen wie Erbse, Reis und Kichererbse auf dem Prüfstand: Wie nimmt seine Keimfähigkeit über 100 Jahre ab? Das ist die Frage. Dass Samen nicht ewig keimen, ist klar. Genbanken wie in Gatersleben frieren sie ein, um ihr Leben zu verlängern. 100-jährige Samen sucht man dort trotzdem vergebens. Die Kühlung läuft schlicht erst seit 1976. Vermutlich würden die Samen aber auch vorher ausgetauscht, weil sie den Fitnesstest von Andreas Börners Mitarbeiter nicht bestehen. Die prüfen alle paar Jahre Proben.

„Wir nehmen diese Samen, legen sie aus auf feuchtem Filterpapier und nach sieben Tagen wird geschaut, wie viel von 100 Samen haben noch gekeimt. Wenn die Keimfähigkeit unter 70 Prozent absinkt - dann muss regeneriert werden.“ Andreas Börner, Leibniz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben

Sicherheitskopien für Saatgut

Regenerieren bedeutet: Die Institut-Mitarbeiter säen die Samen aus, ziehen die Pflanzen auf bis sie Samen tragen und tauschen sie gegen die alten aus. Das Gleiche passiert im globalen Saatgut-Tresor auf Spitzbergen. Hier lagern Genbanken sozusagen ihre Sicherheitskopien - und in Zukunft auch die 100 Jahre-Versuchs-Samen. Der dortige Saatgut-Tresor Manager, der Norweger Åsmund Asdal, koordiniert das Projekt mit besonderen Herausforderungen.

„Das größte Problem ist, dass ich 160 Jahre alt werden muss (lacht) …nein, Ich denke, dass die größte Herausforderung ist, alles gut zu dokumentieren, damit neue Projektmanager genau wissen, was sie tun müssen.“ Åsmund Asdal, Seed Vault Coordinator, Nordic Genetic Resource Center

Keimlinge im Test

Tatsächlich bleibt das Saatgut nicht die ganze Zeit unangetastet. Alle 10 Jahre werden Mitarbeiter des Saatgut-Tresors Teile der Samen für Tests verschicken. Wie viele keimen noch 2030, 2040, 2050… Und 2120? Die Zeitspanne dürfte laut Asmund Asdal kein unüberwindbares Hindernis sein:

„Wir erwarten, dass einige Arten über mehrere hundert Jahre keimfähig bleiben können, falls das Saatgut eine hohe Qualität hat. Und einige Samen können sogar mehr als tausend Jahre lebendig bleiben.“ Åsmund Asdal, Seed Vault Coordinator, Nordic Genetic Resource Center

Bereits zweite Jahrhundert-Studie

Für den Forscher von der skandinavischen Genbank Nordic Genetic Ressource Center ist es kurioserweise schon der zweite 100-Jahre-Versuch. Bereits 1984 haben die norwegischen Wissenschaftler Saatgut in einer Kohlemine auf Spitzbergen gelagert. 1986 startete hier ein 100-Jahre-Experiment bei minus 3 Grad, wie sie bei Permafrost in der Kohlemine herrschen. Im Saatgut-Tresor auf Spitzbergen herrschen hingegen minus 18 Grad.

Art und Qualität entscheidend

Für die Genbankmanager von morgen dürfte der neue Versuch interessanter sein. Sie können dann mit den Ergebnissen genauer abschätzen, wann es für eingelagertes Saatgut kritisch wird. Allerdings hängt das nicht nur von der Art der Sämerei, sondern auch von der Qualität des Saatguts ab. Die Forscher werden deshalb pro Art Proben aus drei Erntejahren und mehreren Sorten vergleichen. Und für die, die es dann ganz genau wissen wollen, schlummert in Gatersleben noch eine Vergleichsprobe der Samen in flüssigem Stickstoff. Der hält die Samen bei annähernd - 200 Grad fast so jung wie am Tag der Einlagerung, erklärt der Pflanzenwissenschaftler Andreas Börner:

„Wenn wir wissen, diese eine Probe hat beispielsweise nach 100 Jahren noch 80 Prozent Keimfähigkeit und eine zweite Probe der gleichen Art 20 Prozent. Dann können wir auf die original tiefgefrorene Probe, jene in flüssigem Stickstoff eingelagerte, zurückgehen, um herauszufinden, warum hat die eine Probe die Keimfähigkeit schneller verloren als die andere." Andreas Börner, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben

Hoffnungen ruhen auf der Erbse

Mit „wir“ meint Andreas Börner seine Nachfolger - oder besser die Nachfolger seiner Nachfolger. Zumindest was die Pflanzenart angeht, hat der Wissenschaftler aber schon heute im Langlebigkeitswettbewerb einen Favoriten: die Erbse.

„Ich bin mir sicher, dass bei der Erbse auch nach 100 Jahren noch zahlreiche Samen keimen werden.“ Andreas Börner, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben

2120 wird es sich zeigen.

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