Injektion eines Spermiums in eine Eizelle
Bildrechte: picture-alliance/dpa

Injektion eines Spermiums in eine Eizelle

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Kinderwunsch-Medizin: Die meisten Zusatzleistungen sind unnötig

Eine Forschungsgruppe der europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie hat 42 Tests und Behandlungen bei Kinderwunsch-Therapien untersucht. Das Ergebnis: Die meisten sind unnütz oder sogar potenziell gefährlich.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Der Kinderwunsch-Markt ist groß und unübersichtlich: Tests, Pillen, Infusionen oder Gebärmutterspülungen sollen angeblich die Chance auf ein Baby steigern. Eine internationale Forschungsgruppe im Auftrag der europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) hat solche Zusatzleistungen untersucht und 42 Empfehlungen ausgesprochen. Die schwedische Embryologin Kersti Lundin fasst zusammen: "Die meisten Methoden empfehlen wir nicht; entweder 'überhaupt nicht', weil sie nicht sicher sind oder weil Studien schon gezeigt haben, dass sie nichts bringen."

Eierstockverjüngung oder gefährliche Therapie?

Auf der Liste der Forschungsgruppe stehen Eingriffe wie zum Beispiel Injektionen oder Spülungen der Gebärmutter mit sogenanntem körpereigenen plättchenreichen Plasma (PRP). Hintergrund ist, dass manche Frauen in Kinderwunsch-Behandlungen zu wenige Eizellen haben. Mit dem Wirkstoff PRP sollen eventuell noch vorhandene Eizellen anfangen zu wachsen. Auch deutsche Kliniken werben für das Verfahren mit der Bezeichnung "Eierstockverjüngung".

Der Berliner Reproduktionsmediziner Prof. Heribert Kentenich sieht das kritisch und erklärt: "Die Substanz wird mit einer dünnen Nadel über die Scheide in den Bauch der Frau gespritzt und dann muss man den Eierstock auch treffen. Das kann auch potenziell gefährlich sein." Die ESHRE-Forschungsgruppe hat zwar Daten gefunden, wonach die Methode effektiv sein könnte. Doch es gebe ernsthafte Sicherheitsbedenken, das Verfahren sollte nur unter strengen Forschungsbedingungen angewandt werden und wird daher "nicht empfohlen".

Wunsch-Eltern traurig und enttäuscht

Heribert Kentenich hat für die vielen Therapie-Versuche und Tests eine psychologische Erklärung: Oftmals seien Arzt oder Ärztin und Wunsch-Eltern enttäuscht, wenn die Frau nach mehreren Versuchen nicht schwanger ist. Sie suchen nach einer Lösung.

Beispielsweise existiert eine ganze Reihe von Tests und Therapien, die auf der Vorstellung beruhen, dass Mutter und Fötus genetisch unterschiedlich sind. Dies könne angeblich dazu führen, dass der Fötus – ähnlich wie ein Transplantationsorgan – abgestoßen werde. Es werde behauptet, dass die sogenannten natürlichen Killerzellen (uNK) den Fötus töten können. Dazu schreibt die ESHRE-Forschungsgruppe: "Das ist falsch." Tests zu den Killerzellen würden daher "nicht empfohlen".

Kinderwunschzentren bieten außerdem verschiedene immunmodulierende Behandlungen an (beispielsweise Intralipid, IVIG, rh-LIF, PBMCs, anti-TNF). Auch von diesen Methoden rät die Forschungsgruppe ab, da sie viele potenzielle Nebenwirkungen haben, jedoch "keinen klinischen Nutzen".

Unseriöse Versprechen für verzweifelte Patientinnen

Die ESHRE-Forschungsgruppe hat ihre Ergebnisse Ende Juni auf einer Fachtagung in Kopenhagen vorgestellt. Während Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dort in den Konferenz-Räumen neue Forschungsergebnisse diskutieren, präsentieren sich in den beiden Hallen direkt daneben Pharmafirmen, Samen- und Eizellbanken oder Leihmutter-Agenturen. Auf Leinwänden streicheln Schwangere über ihren Babybauch, Mütter kuscheln mit Neugeborenen. Und: Hier preisen Unternehmen genau solche Zusatz-Leistungen an, die die ESHRE-Forschungsgruppe als unnütz einstuft; zum Beispiel eine chinesische Firma, die einen Test der Gebärmutterschleimhaut anbietet. Das Ziel: damit das angeblich beste Zeitfenster zu finden, um Embryonen bei Kinderwunsch-Patientinnen einzusetzen.

Auf einem Werbeflyer steht, die Schwangerschaftsrate könne durch den Test angeblich um 30 Prozent gesteigert werden – allerdings ohne Quellenangabe. Die deutsche Reproduktionsbiologin Katharina Späth kennt den Test von verschiedenen Anbietern und ist sehr skeptisch: "Da gibt es massig Studien, die zeigen, dass das überhaupt nicht funktioniert! Da müssten eigentlich die Ärzte den Patientinnen sagen: Nein, das ist Blödsinn."

Tests ohne Beweiskraft

Katharina Späth forscht an der Universität Oxford und für das britische Labor Juno Genetics. Sie beschäftigt sich mit einem der großen Rätsel der Reproduktionsmedizin: Warum nisten sich so viele Embryonen nicht ein, selbst dann, wenn sie vorher genetisch untersucht wurden? Könnte es an den Mitochondrien liegen? Sie sind wichtig für die Entwicklung des Embryos und gelten als Kraftwerke der Zellen, weil sie Energie herstellen. Auf der Konferenz hat Katharina Späth einen Vortrag über die Frage gehalten, ob sich Embryonen besser einpflanzen, wenn sie mehr mitochondriale DNA haben. Das Ergebnis: "Man könnte ja meinen, mehr mitochondriale DNA ist besser, unsere Arbeit zeigt aber: Das ist nicht so." Es reicht also, sich den Embryo unter dem Mikroskop anzuschauen – die mitochondriale DNA zu messen, hat keinen Mehrwert. Zum gleichen Ergebnis kommt auch die ESHRE-Forschungsgruppe.

Und trotzdem: Tests dafür sind bereits auf dem Markt. Katharina Späth überrascht das nicht: "Es gibt einen Wettbewerb zwischen den Laboren, man bringt Tests raus, die Patienten lesen das und wollen das dann machen - ohne, dass es wirklich dafür genügend Beweiskraft gibt."

Medizinische Hilfe oder Profit?

Die ESHRE-Forschungsgruppe beobachtet, dass den Kinderwunsch-Paaren häufig Behandlungen angeboten werden, die noch gar nicht richtig erforscht sind. Die Embryologin Kersti Lundin findet: "Es ist schrecklich für die Patientinnen, dass sie verführt werden, alles zu bezahlen und zu akzeptieren, weil sie so verzweifelt sind und hoffen, dass es funktioniert."

Auch der Berliner Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich bezeichnet es als "in der Nähe von unethisch", einer Patientin sinnlose Tests und Therapien anzubieten. Er ist der Meinung: "Ein Arzt ist in erster Linie jemand, der Menschen behandelt in ihrer Not und nicht einer, dem es darauf ankommt, möglichst viel Geld abzuziehen."

Video: Ethische und rechtliche Aspekte der Reproduktionsmedizin

Kinderwunschbehandlung Uni.klinik Leipzig
Bildrechte: BR /Brigitte Jünger
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Forschung, Reproduktionsmedizin und medizinische Praxis entwickeln sich schnell weiter. Die Gesetze, die sie regulieren, hinken hinterher.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!