Homo heidelbergensis
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Homo heidelbergensis jagte schon vor 300.000 Jahren mit Wurfstöcken nach Vögeln oder trieb Pferde vor sich her.

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Homo heidelbergensis jagte schon vor 300.000 Jahren mit Wurfholz

Vor 300.000 Jahren lebte Homo heidelbergensis, ein Zeitgenosse der Neandertaler. Und ähnlich wie bei ihm ging die Forschung lange davon aus, dass diese Menschen eher primitiv waren. Stimmt aber gar nicht, sie waren zum Beispiel versierte Jäger.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Ob es vor 300.000 Jahren schon den Homo sapiens gab, ist noch nicht abschließend geklärt, aber der Neandertaler (Homo neandertalensis) und dessen Vorfahr, der Homo heidelbergensis, sie lebten zu dieser Zeit schon in Europa. Im heutigen Schöningen in Niedersachsen gibt es ein Paradies für Paläontologen - denn hier finden sich so viele Gegenstände aus der Zeit des Heidelbergensis wie sonst an keiner anderen Stelle auf der Welt.

"Ich habe den tollsten Job der Welt. Die Chance, so ein Objekt auszugraben, das als letztes vor 300.000 Jahren ein Vertreter des Homo heidelbergensis in der Hand hatte, ist beeindruckend." Dr. Jordi Serangeli, Archäologe, Universität Tübingen

Stab aus Holz überdauerte 300.000 Jahre

Normalerweise finden Forscher der Vorgeschichte Fossilien, also versteinerten Knochen. Es bleibt ihnen oft auch kaum etwas anderes übrig, denn nur wenige Materialien überdauern die Jahrtausende. Vor allem Holz ist äußerst selten. In Schöningen dagegen finden der örtliche Grabungsleiter Jordi Serangeli und seine Mitarbeiter erstaunlich viel prähistorisches Holz. Die Objekte sind damals nämlich im Wasser versunken und so luftdicht im Sediment abgeschlossen worden.

"Nur dank der fabelhaft guten Erhaltungsbedingungen in wassergesättigten Seeufersedimenten in Schöningen können wir die Evolution der Jagd und die vielfältige Nutzung von Holzwerkzeugen dokumentieren." Prof. Nicholas Conard, Universität Tübingen

Weil kein Sauerstoff an das Holz kommt, wird es nicht zersetzt. Jetzt haben die Forscher einen Stab analysiert, den sie im Jahr 2016 entdeckt haben und der viel über die Intelligenz unseres Vorfahren aussagen kann. Die genaue Untersuchung wurde in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution veröffentlicht (doi: 10.1038/s41559-020-1139-0).

Wurfholz des Homo heidelbergensis

Der Stab aus Fichtenholz ist 64,5 Zentimeter lang, wiegt 264 Gramm und ist fast vollständig erhalten, auch wenn er an einer Stelle gebrochen ist. Was ihn so besonders macht? Er wurde aufwändig bearbeitet: die Rinde entfernt, seine Oberfläche geschliffen oder geglättet, die kleinen Ästchen entlang seiner Länge entfernt, die beiden Enden zugespitzt. Und er ist asymmetrisch - die eine Seite etwas gebogen, die andere flacher - die Hominiden haben den Fichtenstab mit steinernem Werkzeug bearbeitet. Das macht ihn zu einem perfekten Jagdinstrument, einem Wurfstock.

„Sie sind effektive Waffen über verschiedene Entfernungen, unter anderem bei der Jagd auf Wasservögel.“ Dr. Jordi Serangeli, Archäologe, Universität Tübingen

Knochen von Schwänen und Enten sind aus der Fundschicht auch gut belegt. Darüber hinaus könnten unsere Vorfahren damit auch Pferde aufgeschreckt haben, die häufig am Schöniger Seeufer gejagt wurden.

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Mit einem speziell bearbeiteten Wurfstock konnte Homo heidelbergensis nach Vögeln jagen.

Man kennt solche Jagdwaffen zum Beispiel auch aus Australien oder Tasmanien. Der Stock hat nur Abnutzungsspuren im Mittelteil - ein Zeichen dafür, dass er als Wurfstock und nicht etwa als Werkzeug zum Graben verwendet worden ist. Wurfstöcke funktionieren ähnlich wie ein Bumerang, nur, dass sie nicht zum Werfenden zurückkehren. Sie drehen sich um die eigene Achse und können mit etwas Übung bis zu 30 m/s schnell werden und sehr zielgerichtet eingesetzt werden. Solche Wurfstöcke nennt man auch "rabbit sticks".

"Die Jäger haben sie vielleicht in einen Schwarm Enten hineingeworfen, senkrecht oder schräg nach oben. Wenn sie Wasservögel erlegen wollten, die sich auf dem Wasser befanden haben, dann warfen sie den Stock horizontal zur Oberfläche." Dr. Jordi Serangeli, Archäologe, Universität Tübingen

Der Wurfstock sagt auch viel über die Intelligenz des Homo heidelbergensis aus. Denn so ein Stock entsteht nicht zufällig. Darüber hinaus wurden in derselben Fundschicht schon hölzerne Speere gefunden. Die frühen Menschen konnten solche Waffen nur herstellen, wenn sie planen konnten oder kommunizieren, womöglich sogar so ähnlich sprechen, wie wir heute.

Homo heidelbergensis war schlau

In Schöningen haben die Forscher übrigens bislang noch keine fossilierten Knochen oder Zähne von frühen Menschen gefunden, seien es Neandertaler oder Homo heidelbergensis. Nur ihre Gegenstände.

An anderen Fundstätten, zum Beispiel in Spanien, ist es genau umgekehrt. Dort finden die Paläontologen die menschlichen Überreste, aber keine Speere, Wurfstöcke oder sonstige Gerätschaften.

"Das heißt: Von denen erfahre ich, wie dick der Schädel des Homo heidelbergensis vor 300.000 Jahren war, und von mir erfahren die Kolleginnen und Kollegen, was drin war in dem Schädel." Dr. Jordi Serangeli, Archäologe, Universität Tübingen

Es ist schon eine besondere Ausgrabungsstätte in Schöningen. Die in Zukunft sicher noch viele weitere Überraschungen zu bieten hat.

"Die Fundstelle Schöningen liefert bemerkenswerterweise mit Abstand die zahlreichsten und bedeutendsten paläolithischen Holzwerkzeuge und Jagdwaffen.“ Prof. Nicholas Conard, Universität Tübingen

Früher gab es viele Menschenarten auf der Erde

In der Frühzeit der Menschwerdung gab es viele verschiedene Menschenarten, nicht nur den Homo sapiens, der einzige Überlebende der Gattung Homo. Auch Homo floresiensis, der Denisova-Mensch, der Homo luzonensis oder der Homo naledi bevölkerten die Erde. Warum sie, genau wie der Neandertaler und der Homo heidelbergensis am Ende ausgestorben sind, ist nicht abschließend geklärt.

Und dass Neandertaler nicht dümmer oder primitiver gewesen sind als Homo sapiens, gilt mittlerweile als gesichert. Sie konnten zum Beispiel mit Feuersteinen Feuer machen, haben auch Höhlenmalereien angefertigt und nach Fischen und Meeresfrüchten gejagt.