In dem Youtube-Video erklärt Bhakdi mit Zeichnungen die (angeblichen) Funktionsweisen des Immunsystems.
Bildrechte: BR

In dem Youtube-Video erklärt Bhakdi mit Zeichnungen die (angeblichen) Funktionsweisen des Immunsystems.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

#Faktenfuchs: Warum die Impfung nicht unnötig ist

In einem Youtube-Video behauptet der umstrittene Mikrobiologe Sucharit Bhakdi, die Impfung gegen Corona sei unnötig. Dank früherer Corona-Infektionen hätten viele Menschen bereits eine Grundimmunität. Doch er hat eine Studie falsch interpretiert.

Sucharit Bhakdi ist in der "Querdenker"-Szene eine bekannte Figur. Der emeritierte Professor, bis 2012 als Mikrobiologe an den Universitäten in Gießen, Mainz und Kiel tätig, tritt seit Beginn der Pandemie öffentlich als Corona-Maßnahmen-Kritiker auf, etwa in einem Brief an die Kanzlerin und zwei Büchern, die er jüngst mit seiner Frau veröffentlichte. Wiederholt hat Bhakdi dabei auch Falschinformationen verbreitet.

  • Dieser Artikel stammt aus 2021. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier

In einem Anfang August veröffentlichten Youtube-Video, das sich seither auf Telegram weiterverbreitet, vertritt Bhakdi die These, die Corona-Impfungen seien unnötig. Denn, so Bhakdi: Aufgrund von früheren Infektion mit vorherigen Coronaviren hätten die meisten von uns schon eine schützende Immunität gegenüber dem Virus gebildet. Beide Schlussfolgerungen sind falsch. Offenbar hat Bhakdi die Ergebnisse einer Studie falsch interpretiert.

Studie aus Dänemark als "Beleg"

Bhakdi stützt sich unter anderem auf eine Studie, die dänische Forschende im Juni 2021 veröffentlicht haben: Sie haben das Blut von rund 200 Probandinnen und Probanden untersucht. Alle hatten sich mit SARS-CoV-2 angesteckt; und alle bis auf einen hatten im Verlauf Antikörper gegen das Virus gebildet. Die Forschenden haben sowohl sogenannte IgA- als auch IgG-Antikörper gegen das Spike-Protein gefunden. IgM-Antikörper, die sich üblicherweise besonders schnell nach einer Infektion bilden, haben sie nicht bestimmt. Sie schlussfolgern, dass fast alle Patienten eine gute Immunantwort gezeigt haben, unabhängig von der Schwere ihrer Symptome.

💡 Welche Antikörper gibt es?

Wenn der Körper sich gegen Krankheitserreger wehrt, hat das Immunsystem verschiedene Waffen. Eine wichtige Rolle spielen Antikörper, die sich direkt gegen die Erreger richten. Es gibt verschiedene Antikörper, die unterschiedliche Funktionen erfüllen - und die auch etwas über den Status der Infektion verraten.

  • IgM-Antikörper: Sie werden bei Infektionen normalerweise als erstes gebildet und wehren die Keime recht unspezifisch ab. Ein erhöhter IgM-Wert deutet auf eine akute Infektion mit einem Krankheitserreger hin. Bei der Corona-Virus-Infektion ist der zeitliche Ablauf nach den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft etwas anders: IgM-Antikörper werden demnach oft erst dann gebildet, wenn sich auch schon die IgG-Antikörper bilden.
  • IgA-Antikörper: Zu Beginn einer Infektion mit dem Corona-Virus bildet das Immunsystem IgA-Antikörper. Sie kommen vor allem in den Schleimhäuten vor (zum Beispiel Hals, Nase, Lunge) und wehren dort die Krankheitserreger ab, die in den Körper eindringen.
  • IgG-Antikörper: Sie werden erst im Verlauf einer Infektion gebildet, bei einer Sars-Cov-2-Infektion nach etwa zwei Wochen. Sie sind Teil des "immunologischen Gedächtnisses" des Körpers, bleiben lange im Blut und sorgen für eine rasche Immunantwort, wenn derselbe Erreger nochmal in den Körper eindringt.
  • Mehr Informationen darüber, wie genau das Immunsystem funktioniert, finden Sie hier. (Erklärt von Moritz Pompl, BR24-Wissen)

Schutz nach älterer Corona-Infektion?

Bhakdi dagegen schlussfolgert etwas anderes: Er behauptet, unser Immunsystem schütze uns so zuverlässig vor einer SARS-CoV-2-Infektion, dass wir uns die Impfung sparen könnten. Mitverantwortlich sei auch eine Kreuzreaktivität nach älteren Infektionen mit anderen Corona-Viren. So sei es auch zu erklären, dass nur die "Gedächtnis-Antikörper" IgG und IgA gefunden worden seien: Das Immunsystem der Probandinnen und Probanden sei bereits vorbereitet gewesen. Diese Gedächtnis-Antikörper, so Bhakdi, bildeten sich erst bei einer Zweitinfektion.

Doch Bhakdi bringt - immunologisch betrachtet - einiges durcheinander.

  1. Die “Gedächtnis-Antikörper” IgG und IgA bilden sich auch nach einer Erstinfektion: IgG- und IgA-Antikörper bilden sich auch nach einer Erstinfektion mit einem Erreger; sie brauchen nur etwas länger als die schnelleren IgM-Antikörper (bei einer Corona-Infektion ist das zeitliche Auftreten der IgM-Antikörper nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen verzögert, vgl. "Welche Antikörper gibt es?"). Aber dass IgG und IgA schon zwei bis vier Wochen nach der Infektion im Blut nachzuweisen sind, ist nichts Ungewöhnliches.
  2. Es kann sein, dass die Probanden sich vorher schon einmal mit einem älteren Coronavirus infiziert haben - muss aber nicht: Das Blut der Probandinnen und Probanden in der dänischen Studie ist in einem Zeitraum von bis zu zwölf Wochen nach einer nachgewiesenen Corona-Infektion untersucht worden. Insofern stimmt es nicht, dass die Teilnehmenden mit Sicherheit schon einmal eine Infektion mit einem älteren Coronavirus durchgemacht haben. Das kann sein, muss aber nicht.
  3. Noch ist unklar, ob es eine Kreuzimmunität aufgrund von früheren Coronaviren überhaupt gibt: Ungewiss ist auch, wie gut eine solche "Kreuzreaktivität" - wenn es sie denn gibt - vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützt. Zwar gebe es Hinweise darauf, dass unsere T-Gedächtniszellen, die sich nach einer älteren Infektion mit einem anderen Coronavirus gebildet hätten, ein gewisses Maß an Kreuzreaktivität zeigten und dies auch gegen SARS-CoV-2 hilfreich sein könnte, sagt der Immunologe Professor Reinhold Förster von der Medizinischen Hochschule Hannover. Aber inwieweit uns diese "Grundimmunität" schütze, sei wissenschaftlich noch nicht ausreichend belegt.

Probanden trotz guter Immunantwort schwer erkrankt

Zudem verwechselt Bhakdi etwas ganz Grundlegendes: Dass fast alle Probandinnen und Probanden in der dänischen Studie eine umfassende Immunantwort entwickelt haben, sagt nichts über die Schwere ihrer Erkrankung aus. Etwa ein Drittel der Untersuchten litt während der Krankheitsphase an schweren Covid-19-Symptomen, teilweise sind sie auf der Intensivstation beatmet worden. Dass sie im Verlauf ihrer Erkrankung dann IgG- und IgA-Antikörper entwickelt haben, hat ihnen also für ihren eigenen Verlauf erstmal wenig gebracht.

Impfung bereitet das Immunsystem vor

Genau hier kommt die Corona-Impfung ins Spiel: Sie aktiviere unser Immunsystem schon vorher und bilde die nötigen Waffen gegen das Virus, sagt der Infektiologe Reinhold Förster. Sprich: Spätestens zwei Wochen nach einer vollständigen Impfung verfügt unser Körper über die nötigen IgG- und IgA-Antikörper (und darüber hinaus auch über die entsprechende Antwort unserer Immun-Gedächtniszellen), um das Virus im Fall einer Infektion effektiv zu bekämpfen.

Wann genau welche Immunantwort vorliegt, hängt auch vom Impfstoff ab. Forscher der Universität Freiburg konnten im Juli in einer noch nicht veröffentlichten Studie nachweisen, dass etwa bei der Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech bereits sechs bis acht Tage nach der ersten Dosis ein relevanter Anstieg bei den sogenannten "T-Zellen" festzustellen ist.

Diese erste Linie der Immunabwehr, auch "Killerzellen" genannt, sorgt dafür, dass vom Virus bereits befallene Zellen sich selbst zerstören. Schon jetzt besteht ein vergleichsweise effektiver Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf. Erst nach der zweiten Impfdosis wird die Immunreaktion noch einmal spezifischer und schlagkräftiger. Jetzt lassen sich auch neutralisierende Antikörper nachweisen. Diese verhindern - in den meisten Fällen -, dass das Virus die Zellen überhaupt erst befällt und der Patient sich infiziert.

Es kommt in den allermeisten Fällen also gar nicht erst zu schwerwiegenden Symptomen. Ohne Impfung, das hat die dänische Studie gezeigt, ist das Immunsystem im Zweifel zu spät dran. Eine schwere Erkrankung lässt sich nicht verhindern. Von einem ausreichenden natürlichen Schutz, wie Bhakdi behauptet, kann keine Rede sein.

Fazit: Fast alle Patientinnen und Patienten bilden einer dänischen Studie zufolge nach einer Corona-Infektion entsprechende Antikörper gegen das Virus. Die Studien-Autoren ziehen daraus den Schluss, dass - unabhängig von der Schwere der Erkrankung - die meisten Menschen eine gute Immunreaktion auf das Virus ausbilden. Der umstrittene Mikrobiologe Sucharit Bhakdi, der auch in der Vergangenheit schon mit Falschbehauptungen aufgefallen ist, zieht daraus einen ganz anderen Schluss: Die Impfung sei unnötig, weil unser Immunsystem ohnehin gut mit dem Virus klarkommt. Eben das zeigt die Studie aber nicht: Denn in vielen Fällen kam die Immunreaktion des Körper zu spät, die Patienten waren schon schwer erkrankt. Derzeit schützt nur die Impfung zuverlässig vor einer schweren Infektion.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!