Blister einer Antibabypille und ein Fläschchen Astrazeneca-Impfstoff
Bildrechte: Collage BR24; dpa/pa M.i.S.-Sportpressefoto | dpa/pa M.i.S | Johan Nilsson/TT

Die Antibabypille kann zu Thrombosen führen - ein Vergleich mit dem Astrazeneca-Impfstoff ist aber irreführend.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Impfstopp: Irreführender Vergleich von Thrombosen

Nach dem Stopp der Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca kursieren in den sozialen Netzwerken irreführende Vergleiche. Doch die mutmaßlichen Nebenwirkungen des Impfstoffs sind mit denen der Pille nicht gleichzusetzen. Ein #Faktenfuchs.

Nachdem Jens Spahn am Montag vor die Kameras trat und die sofortige Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen ankündigte, verbreiteten sich in den sozialen Medien verschiedene Grafiken und Beiträge. Sie knüpften an der mutmaßlichen Nebenwirkung an, die zur Aussetzung der Impfungen geführt hat: Dem Verdacht, dass der Impfstoff Thrombosen auslösen könnte.

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat dies untersucht und hält weiterhin am Astrazeneca-Impfstoff fest. Die Impfung sei "sicher und wirksam". Wegen der Blutgerinnsel soll es in Zukunft einen Warnhinweis bei den Nebenwirkungen geben. Mittlerweile hat Deutschland die Impfung mit Astrazeneca wieder freigegeben.

Ein seit Bekanntgabe der Aussetzung häufig zu lesender Vergleich besagt sinngemäß: Durch die Nebenwirkungen der Antibabypille komme es hochgerechnet zu viel mehr Thrombosen als durch die Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff.

Bildrechte: BR24/ Twitter
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Ein irreführender Tweet führt den Vergleich verschiedener Thrombosen an

Auch das Satire-Magazin "quer" vom Bayerischen Rundfunk hat über die sendungseigenen Social-Media-Kanäle einen solchen Vergleich verbreitet. "quer" ordnet den Post auf Anfrage ein: "Der Post wurde vor der Eilmeldung geplant und veröffentlicht. Die Info, dass es sich um Hirnvenenthrombosen handelt, kam erst Stunden später."

Die Vergleiche sind jedoch irreführend, da die beiden Arten der Thrombose nicht wirklich vergleichbar sind, wie dieser #Faktenfuchs zeigt.

  • Hier finden Sie alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel

Thrombose ist nicht gleich Thrombose

Bei Thrombosen, die etwa durch zu langes Sitzen im Flugzeug oder als Nebenwirkung der Antibabypille auftreten können, handelt es sich vor allem um "tiefe Beinvenenthrombosen". Bei einer Thrombose bilden sich Blutgerinnsel, die sich lösen können und dann z.B. bei einer Beinvenenthrombose eine Lungenembolie auslösen können.

"Das sind die am häufigsten auftretenden Thrombosen", sagt Johannes Oldenburg in einem Telefonat mit dem #Faktenfuchs. Er ist Professor für Transfusionsmedizin am Uniklinikum Bonn und Vorsitzender der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung.

"Gründe dafür können auch genetische Veranlagungen sein, wie z. B. die vergleichsweise häufige Faktor-V-Leiden-Mutation." Dabei handelt es sich um eine Erbkrankheit, die die Blutgerinnung stört.

Bei der Hirnvenenthrombose oder Sinusvenenthrombose entsteht ein Blutgerinnsel im Gehirn. In der Folge kann es zu einem Schlaganfall kommen. Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar in München, sagte im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk:

"Sinusvenenthrombosen sind sehr seltene Erkrankungen der blutversorgenden Gefäße des Gehirns und zwar der Blutgefäße, der Venen, die das Blut vom Gehirn wegführen." Infektiologe Christoph Spinner
  • Weitere Informationen zur Hirnvenenthrombose können Sie hier nachlesen.

Was sagen die Zahlen?

Die Zahl der tiefen Venenthrombosen liegt in Deutschland laut Uniklinikum Saarland bei etwa 40-180 Fällen pro 100.000 Einwohnern jährlich und ist damit die dritthäufigste Herz-Kreislauferkrankung.

Die Zahl der Thrombosen, die auf die Einnahme der Anti-Baby-Pille zurückzuführen sind, liegt, je nach Art der Pille, zwischen etwa 50 und 120 Fällen pro hunderttausend Frauen jährlich. Bei diesen Angaben beruft sich die Techniker-Krankenkasse auf Zahlen der Universität Bremen.

Die Hirnvenenthrombosen (oder Sinusvenenthrombosen), die auch in zeitlichem Zusammenhang zu der Astrazeneca-Impfung aufgetreten sind, "sind eher weniger typische und seltene Lokalisationen", sagt Johannes Oldenburg dem #Faktenfuchs.

Hirnvenenthrombosen treten in der allgemeinen Bevölkerung etwa zwei bis fünf Mal pro einer Million Personen pro Jahr auf. Gut 1,76 Millionen Menschen haben nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bislang in Deutschland den Astrazeneca-Impfstoff bekommen.

Wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) auf seiner Internetseite mitteilt, wurde in sieben Fällen (Stand 15.03.2021) eine spezielle Form von schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Bluttplättchen und Blutungen festgestellt – in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin.

Das macht circa vier Fälle pro eine Million Geimpfter, alleine seit Beginn der Astrazeneca-Impfungen Anfang Februar. Drei der sieben betroffenen Personen sind laut PEI verstorben.

Das PEI schreibt weiter: "Die Anzahl dieser Fälle nach Astrazeneca-COVID-19-Impfung ist statistisch signifikant höher als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung ohne Impfung auftreten. (...) Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle waren gemeldet worden."

"Vermutlich unterschiedliche Ursachen"

Johannes Oldenburg, der Vorsitzende der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung, erwähnt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs die Auffälligkeit der verminderten Thrombozyten, also der Blutplättchen, bei bisher allen Fällen, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind. "Eine Sinusvenenthrombose in Kombination mit der gesunkenen Zahl der Thrombozyten entspricht nicht dem normalen Bild einer Thrombose und kann eher zu Hirnblutungen führen. Die nach der Astrazeneca-Impfung aufgetretenen Thrombosen und klassische Thrombosen haben vermutlich unterschiedliche Ursachen", sagt Johannes Oldenburg.

Derart häufige Sinusvenenthrombosen durch die Pille "nicht bekannt"

Können Sinusvenenthrombosen, wie im möglichen Zusammenhang mit der Impfung, auch als Nebenwirkung der Antibabypille auftreten? Es gibt Studien, die ein erhöhtes Risiko für Sinusvenenthrombosen bei hormoneller Verhütung nachweisen. Der Berufsverband der Frauenärzte antwortet schriftlich auf eine Anfrage des #Faktenfuchs:

"Dass eine Thrombose zuerst in einer Hirnvene auftritt und nicht in den Beinen, ist extrem selten. Die Häufigkeit wird in der Literatur auf etwa 4-10/1 Mio/Jahr geschätzt." Frauen seien demnach zwar etwas häufiger betroffen als Männer. "Aber ob die hormonelle Verhütung oder die natürlich produzierten Östrogene die Thromboseneigung fördern, ist bei so niedrigen Fallzahlen kaum nachzuprüfen." Der Berufsverband der Frauenärzte schreibt weiter:

"Eine ähnliche Anzahl von Sinusvenenthrombosen, wie nach der Astrazeneca-Impfung, also nach 1,6 Millionen Impfungen 7 Sinusvenenthrombosen, ist bei Verwendung der hormonellen Verhütung mit der kombinierten Antibabypille nicht bekannt." Berufsverband der Frauenärzte

Fazit: Vergleich der Thrombosen ist irreführend

Die Komplikationen mit Hirnvenenthrombosen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Astrazeneca-Impfung aufgetreten sind, lassen sich nicht mit tiefen Beinvenenthrombosen vergleichen. Tiefe Beinvenenthrombosen können etwa als Nebenwirkung der Antibabypille, nach zu langem Sitzen (etwa im Flugzeug) oder genetisch bedingt auftreten.

Die Hirnvenenthrombose, die in Kombination mit der gesunkenen Zahl der Blutplättchen nach den Impfungen aufgetreten ist, ist laut Experten eine atypische und seltene Art der Thrombose, die mit einer tiefen Beinvenenthrombose nicht vergleichbar ist. Der Vergleich der Thrombosefälle als Nebenwirkung der Antibabypille mit den Fällen der seltenen Hirnvenenthrombosen ist daher irreführend.

Astrazeneca-Impfstoff
Bildrechte: BR
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Astrazeneca-Impfstoff

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

Disclaimer, 18. März 2021, 15 Uhr: Wir haben den vorletzten Absatz um einen Satz ergänzt, der besagt, Studien zeigen, dass hormonelle Verhütungsmittel das Risiko einer Sinusvenenthrombose erhöhen können. Wir haben außerdem die Zwischenüberschrift leicht angepasst.

Ergänzung, 19. März, 9:30 Uhr: Wir haben den Text um die Einschätzung der EMA und die Wiederaufnahme der Impfung ergänzt.