Für ein funktionierendes Ökosystem ist der Erhalt der Artenvielfalt notwendig. Doch wie viele Tier- und Pflanzenarten auf der Erde leben, ist wissenschaftlich nicht erfasst. Geschätzt könnten es zwischen 5 und 20 Millionen unterschiedliche Arten sein. Unklar ist auch, welche Tiere und Pflanzen durch Klimawandel, Landwirtschaft und Industrie verdrängt werden. Langzeitstudien für genaue Daten sind jedoch sehr aufwendig. Außerdem müsste über Jahrzehnte der Bestand in vielen Ökosystemen beobachtet und erfasst werden. Forscher der Universität Würzburg gehen einen neuen Weg: Sie kombinieren verschiedenen Methoden und erhalten so eine umfassende Karte der Artenvielfalt im unterfränkischen Steigerwald.
Feldforschung liefert Stichproben aus einer Region
Mehr als die Hälfte des Steigerwalds ist als Landschaftsschutzgebiet ausgezeichnet. Im Unterholz und in den Tiefen des Waldes leben Insekten wie Falter und Käfer, aber auch Spinnen. Forscherinnen und Forscher der Universität Würzburg vom Lehrstuhl für Tierökologie haben bereits über mehrere Jahre die Bewohner einzelner Gebiete im Steigerwald erkundet. In ihren Studien am Boden sammeln sie Insekten zu unterschiedlichen Jahreszeiten und Witterungen. Außerdem beobachten sie die Ausbreitung der Schädlinge im Wald, wie zum Beispiel den Schwammspinner: Ein Schmetterling, der als Raupe gefährlich werden kann. Vor allem, wenn er in großer Zahl auftritt, kann er Bäume massiv beschädigen. Die Erforschung der Artenvielfalt, selbst in einem kleinen Waldgebiet, ist jedoch sehr aufwendig.
"Ich habe erstens mit ganz kleinen Organismen zu tun. Viele davon sind Millimeter groß. Die kann ich so im Gelände gar nicht direkt ansprechen, die muss ich erst mal einsacken und mitnehmen. Dann habe ich zu jeder Jahreszeit andere Arten. Also ich muss da immer wieder kommen, zu verschiedenen Witterungen. Dann muss ich mit verschiedenen Methoden kommen. Und so werde ich praktisch gar nicht fertig und kann das letztendlich nur auf einer ausgewählten Zahl von Flächen machen." Professor Jörg Müller, Lehrstuhl für Tierökologie, Universität Würzburg
Artenschutz aus dem All
Um die Artenvielfalt besser einschätzen zu können, benötigen Forscher Methoden, die ihnen ein großflächiges und vollständiges Bild vom Wald und seinen Bewohnern liefern. Auf diese Weise könnten sie feststellen, wie groß der Rückgang der Arten ist und welche Maßnahmen dem entgegenwirken. Weil die Erfassung am Boden nicht ausreicht, suchen Wissenschaftler nach Unterstützung aus dem All. Zum Beispiel von Satelliten, die in 700 Kilometern Höhe um die Erde kreisen, wie der Satellit-Sentinel-1. Seit sechs Jahren umkreist er die Erde und vermisst mit High-Tech-Radar die Oberfläche in 80 Kilometer breiten Streifen und mit einer Auflösung von fünf mal fünf Metern. Die Radar-Wellen durchdringen Wolken und zum Teil sogar das Kronendach des Waldes, sodass die Struktur der Vegetation sichtbar wird.
Erdbeobachter als Datensammler
Die Aufnahmen der Sentinel-Satelliten aller Regionen der Welt stellt die ESA zur freien Verfügung. Die Erdbeobachter sind wichtige Datensammler, unter anderem für den Umweltschutz. Sie liefern auch Aufnahmen bei Naturkatastrophen. In der ökologischen Forschung kamen Satellitenaufnahmen bislang kaum zum Einsatz: "Denn man war der Meinung, es gebe keine frei verfügbaren Daten, die ausreichend gute Ergebnisse liefern,“ sagt Professor Jörg Müller vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Kollegin Soyeon Bae unternahm trotzdem den Versuch, die Satellitenaufnahmen mit den Daten aus der Feldforschung zu ergänzen.
Laserscans für detaillierte Aufnahmen
Die Forscherin stellte daraufhin fest, dass sie mit den Radardaten der Satelliten die vorhandenen Baumarten gut bestimmen konnte, trotz der relativ groben Auflösung der Aufnahmen. Um mehr Details zu erhalten, verwendete sie zusätzlich noch Daten von Laser-Scans der untersuchten Gebiete. Diese zentimetergenauen Aufnahmen wurden mit Flugzeugen erstellt, die über Waldgebiete flogen. Mit den Ergebnissen aus der Feldforschung, kombiniert mit den Laserscans und den Satellitenaufnahmen, konnte die Forscherin aufschlussreiche Informationen über bestimmte Gebiete erhalten, etwa zum Beispiel wie der Wald beschaffen ist und welche Bewohner sich dort aufhalten.
"Wenn wir die Struktur über den Jahresverlauf erfassen, können wir die Zusammensetzung des Waldes erkennen. Und die wirkt sich auf die Arten aus, die im Wald leben. Daher können wir sehr gut erkennen, welche Arten im Wald sind und wie hoch die Artenvielfalt ist.“ Dr. Soyeon Bae, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Karte der Artenvielfalt
Mit dieser Methode konnten die Forscher Arten entdecken, die sie mit der reinen Feldforschung nicht sehen und aufgrund unwegsamen Geländes nicht erreichen würden. Mit einer Karte der Artenvielfalt können sie den Bestand in den untersuchten Gebieten des Steigerwalds nun genauer analysieren. Das ist der erste Schritt zum Schutz der Arten und ihrer Ökosysteme. Nun geht es darum, weitere Karten zu erstellen, um die biologische Vielfalt großräumig zu erfassen. Damit können sich weitere Wege eröffnen den Artenschutz zu verbessern.