Verkehrssünder-Punkte-Handel
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Kraftfahrt - Bundesamt in Flensburg, Deutschland. 21.09.2010 .

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Verkehrssünder-Punkte-Handel: "Tausche Punkte gegen Geld"

Wer rast, sammelt Punkte in Flensburg – so die vereinfachte Autofahrerpraxis. Bei zu vielen Punkten ist der Führerschein erst mal weg. Es sei denn, ein anderer nimmt Schuld und Punkte auf sich. Eine juristische Grauzone macht das (noch) möglich.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Einmal (viel) zu schnell in Zone 30 unterwegs oder eine rote Ampel übersehen, schon droht ein Bußgeld samt Punkt(en) in Flensburg. Diese werden im Fahreignungsregister ("Verkehrssündenkartei") des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg gespeichert.

Gerade wer beruflich viel mit dem Auto unterwegs ist oder dessen berufliche Existenz vom Führerschein abhängt, kann es sich – auch finanziell – nicht erlauben, fleißig Punkte zu sammeln. Denn ab acht Punkten ist der Führerschein weg. Eine neue Fahrberechtigung gibt es dann frühestens nach sechs Monaten. Dafür muss der Betroffene beweisen, dass er oder sie wieder geeignet ist, Kraftfahrzeuge zu führen, sprich zum Beispiel ein Auto fahren zu können. Eine positive Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) ist dabei zwingend notwendig.

Verkehrssünder-Punkte-Handel: eine juristische Grauzone

Wie praktisch wäre es da, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen und jemanden zu haben, der Geldbuße und Punkte für einen übernimmt, sodass man selbst ungeschoren davon kommt? Das Kuriose: solche Angebote gibt es. Und anders, als man meinen möchte, sind diese (noch) legal, weil man sich hier in einer juristischen Grauzone befindet. Entsprechend offen und teils auch progressiv bewerben diese dubiosen Punkte-Tausch-Anbieter ihre Dienste.

In der Praxis sieht das so aus: Ein Autofahrer begeht eine Ordnungswidrigkeit – das kostet neben dem Bußgeld einen Punkt in Flensburg. Nun wird mithilfe einer Online-Agentur ein eigentlich unschuldiger Strohmann vermittelt, der sich mit dem Verkehrssünder dahingehend verständigt, dass er gegenüber der Bußgeldbehörde zugibt, den jeweiligen Verkehrsverstoß begangen zu haben.

Voraussetzung: "Es kommen als 'Punkte-Empfänger' ähnlich aussehende Familienangehörige in Betracht, aber auch freiwillige Führerscheininhaber, die sich gegen Bezahlung als Fahrzeugführer ausgeben und die Punkte auf sich nehmen", bestätigt Alexander Schnaars, Unternehmenssprecher beim ADAC.

Punktehandel: Expertinnen und Experten fordern Schließung der Gesetzeslücke

Dass so ein Handel offen betrieben wird, ist einer Lücke im Gesetz geschuldet. "Das liegt daran, dass die Selbstbezichtigung einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht strafbar ist. Man kann also freiwillig sagen, dass man hinter dem Steuer saß, ohne es aber gewesen zu sein", erklärt Schnaars.

Anders wäre es, wenn der Verkehrssünder oder die Verkehrssünderin im Bußgeldbescheid eine andere Person als Fahrer angibt. Dann würde es sich nach dem Strafgesetzbuch § 164 um eine falsche Verdächtigung handeln – und diese wäre strafbar.

Dieses Problem, beziehungsweise diese juristische Lücke, ist auch dem Gesetzgeber bekannt, wurde bislang jedoch noch nicht angegangen. Zweimal forderten auch die Landesjustizminister das Bundesjustizministerium auf, die Gesetzeslücke zu schließen. "Das Bundesjustizministerium und das Ministerium für Digitales und Verkehr haben zu verschiedenen Aspekten des Punktehandels die Länder beteiligt. Beide Ressorts stimmen sich zu der Thematik derzeit untereinander ab", heißt es aus der Pressestelle auf BR-Anfrage.

"Punkte gegen Geld" – auch ein Thema auf dem Verkehrsgerichtstag

"Es ist daher höchste Zeit und erfreulich, dass sich auch der diesjährige Verkehrsgerichtstag für eine schnelle Schließung dieser Rechtslücke positioniert hat", sagt der ADAC-Sprecher.

Auf dem 64. Verkehrsgerichtstag, der vom 24. bis 26. Januar in Goslar stattgefunden hat, haben Vertreter verschiedener Verkehrsrechtsexperten, Juristen, Anwälte aus der Praxis, Versicherer oder auch der Polizei über aktuelle verkehrsrechtliche Themen diskutiert – auch über den Punktehandel.

Die Empfehlung war eindeutig: Durch diese Art der Behördentäuschung bestehe eine Gefahr für die Verkehrssicherheit. Damit der Punktehandel nicht mehr stattfinden kann, fordern Experten unter anderem Sanktionsmöglichkeiten.

Fahrtenbuch als Maßnahme gegen den Punktehandel?

"Denn wenn durch Manipulation, wie der Weitergabe von Punkten, diejenigen, die aufgrund ihres Vergehens eigentlich mit einem Fahrverbot belegt worden wären, weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen können, verfehlt die Gesamtdynamik aus Bußgeldern, Fahrverboten und Punkten ihre Wirkung", heißt es beim ADAC.

Eine schnelle Sanktionsmaßnahme, zum Beispiel einen Fahrzeughalter dazu zu verdonnern, ein Fahrtenbuch führen und dokumentieren zu müssen, fasse zu kurz, so die Experten: Wer trotz Verpflichtung kein Fahrtenbuch führt, zahlt hierfür 100 Euro ohne Punkteeintrag.

Relativ günstig im Vergleich zu den oft mehreren Hundert Euro, die Menschen bereit sind zu zahlen, um sich – verkehrstechnisch – reinzuwaschen. Wie viele das sind, dazu gibt es keine seriösen Zahlen. Die Dunkelziffer aber könnte sehr hoch sein.

Geschäft mit dem Verkehrssünder-Punkte-Handel

Das belegen Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts. Demnach wurden in den vergangenen Jahren jährlich grob 200.000 Führerscheininhaber wegen vier oder fünf Punkten ermahnt. Die nächsten Stufen wären dann Verwarnung und Entziehung des Führerscheins.

Sechs oder sieben Punkte kassierten jährlich zwischen rund 31.000 und 42.000 Fahrzeughalter. Und den Führerschein abgegeben haben wegen acht oder mehr Punkten jährlich etwa 4.500 Autofahrer und Autofahrerinnen.

Potenzielle Kunden könnte es also genug geben. Diese aber an Hand von falsch ausgefüllten Bußgeldbescheiden zu verfolgen, scheitert an Zeit und ausreichend Personal seitens der Bußgeldstellen; zudem fehlt diesen die rechtlichen Möglichkeiten, um das Vergehen weiter zur verfolgen.

Bleibt die Hoffnung einer schnellen Schließung der Gesetzeslücke, denn: Vom Deutschen Verkehrsgerichtstag seien in der Vergangenheit schon oft gewichtige Hinweise ausgegangen, die in der Praxis umgesetzt worden sind, heißt es aus Teilnehmerkreisen in Goslar.

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