Sogenannte dynamische Stromtarife sind ab 2025 Pflicht, doch noch gibt es kaum Anbieter.
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Sogenannte dynamische Stromtarife sind ab 2025 Pflicht, doch noch gibt es kaum Anbieter.

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Flexibel sparen: Chancen und Risiken dynamischer Stromtarife

Strom verbrauchen, wenn er am Markt wenig kostet. Das ist die Idee von sogenannten dynamischen Stromtarifen. Zugleich könnte das die Netzauslastung optimieren. 2025 sind solche Angebote Pflicht, noch gibt es kaum Anbieter.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Andreas Müller aus Herrsching am Ammersee in Oberbayern ist Herr über jede Kilowattstunde Strom, die in seinem Haushalt verbraucht wird. Wann sein Strom besonders günstig ist, zeigt ihm die App seines Anbieters "Tibber" bereits am Vortag als Prognose an: "Der Strompreis sagt nach wie vor 22 Cent, was sehr günstig ist. Das wäre demnächst der richtige Zeitpunkt, die Waschmaschine zu starten. Noch eine bestimmte Uhrzeit auswählen, zum Beispiel 14.30 Uhr. Speichern, aktivieren und das war's."

Die Waschmaschine wäscht dann später zum günstigen Tarif für Andreas Müller. Ein intelligenter, digitaler Stromzähler im Keller überträgt via Schnittstelle die Daten zum Anbieter. Abgerechnet wird stündlich, zum aktuellen Marktpreis. Ähnlich wie beim Tanken oder bei Spartickets der Deutschen Bahn sind die Preise in den Randzeiten billiger.

So funktionieren dynamische Stromtarife

Dynamische Stromtarife basieren auf variablen Strompreisen, die sich je nach Angebot und Nachfrage auf dem Energiemarkt in Echtzeit ändern. Diese Preise werden anhand verschiedener Faktoren wie Wetterbedingungen, Stromnachfrage, Verfügbarkeit erneuerbarer Energien und Stromerzeugungskosten festgelegt. Verbraucher können sich an aktuellen Tarifen orientieren und ihren Energieverbrauch auf günstigere Zeiten verschieben, um Kosten zu sparen.

In der Praxis sollen die Spülmaschine, der Wäschetrockner, das E-Auto oder das Pedelec dann laufen beziehungsweise aufgeladen werden, wenn der Strom gerade billig am Markt zu kriegen ist. Digital vernetzt oder per Zeitschaltuhr. Stundengenaue Abrechnung statt fester Preise für die Kilowattstunde. Bei den herkömmlichen Tarifen der Grundversorger ist das beispielsweise nicht möglich. Die Verträge sind langfristig geschlossen. Dafür bleiben die Preise über Monate stabil.

Stromnetze stabil halten

Der finanzielle Anreiz für die Verbraucher, ihren Energieverbrauch flexibel zu gestalten, ist das eine. Dynamische Stromtarife sollen aber auch zur Optimierung der Netzauslastung und zur Integration erneuerbarer Energien beitragen. Für Detlef Fischer vom Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) sind dynamische Stromtarife jedenfalls keine Spielerei: "Je besser es uns gelingt, den Stromverbrauch zu flexibilisieren, um so weniger Reservekraftwerke und Speicher müssen wir errichten. Das gesamte Stromversorgungssystem wird dadurch für jeden von uns ein Stück günstiger."

Schlüsseltechnologie: Smart Meter

Der Schlüssel, um die Möglichkeiten dynamischer Strompreise optimal nutzen zu können, sind sogenannte Smart Meter. Vernetzte, moderne Messeinrichtungen (mME), die Verbrauchsdaten automatisch an die Anbieter übertragen und auch für die Nutzer sichtbar machen. "Wenn die smarten Tarife ein Erfolg werden sollen", sagt Detlef Fischer vom VBEW, "dann geht das nur mit zusätzlicher, intelligenter Steuerungstechnik in den Haushalten." Die neuen Zähler registrieren übrigens auch, wenn Strom ins Netz eingespeist wird, was für Besitzer von Solaranlagen auf dem Dach oder dem Balkon wichtig ist.

Schon in knapp neun Jahren sollen alle Messeinrichtungen in den Privathaushalten digital laufen. Von den acht Millionen bayerischer Stromzähler sind aber aktuell nicht mal ein Prozent smart. Um den Austausch voranzutreiben, wurde im Mai 2023 ein Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende verabschiedet. Nutzer mit relativ geringem Verbrauch zahlen ab 2024 für einen intelligenten Stromzähler künftig nicht mehr als 20 Euro im Jahr (kosten die alten Zähler auch). Für Haushalte mit steuerbaren Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen und E-Autos sollen es 50 Euro pro Jahr sein. Der Austausch kostet nichts.

Tarifvergleiche sind noch schwierig

Eigentlich sind die großen Stromversorger mit mehr als 100.000 Kunden bereits seit Anfang 2023 gesetzlich verpflichtet, ihren Kunden dynamische Stromtarife anzubieten. In der Praxis ist es jedoch schwierig, auf den Seiten der Grundversorger solche Angebote zu finden. Auf Nachfrage kann einzig E.ON für bayerische Regionen ein solches Angebot vorweisen: "Unser Tarif 'E.ON ÖkoStrom dynamisch' bildet, wie gesetzlich vorgesehen, die sich stündlich ändernden Spotmarktpreise an der Strombörse ab", heißt es seitens des Konzerns.

Die Stadtwerke München (SWM), mit rund 900.000 Kunden das Schwergewicht am bayerischen Strommarkt, rufen dynamische Tarife bislang nur auf Kundenanfrage auf. "In Kürze werden die Informationen zum dynamischen Stromtarif auch online auf der Homepage zu finden sein", heißt es weiter. Die Stadtwerke in Augsburg, Würzburg oder auch N-Ergie in Nürnberg brauchen noch Zeit für die Ausgestaltung solcher Angebote. Spätestens 2025 sind dynamische Stromtarife aber für alle Stromanbieter verpflichtend, sagt Norbert Endres, Stromberater der Verbraucherzentrale Bayern (VZB). "Da ist auch viel Musik drin. Weil es eben auch für viele große, alte Anbieter ein neues Thema ist. Da müssen alle sich erst mal reinfuchsen."

Kleine Start-ups stoßen in die Lücke

Vor allem kleinere Start-ups nutzen derzeit ihre Chance und stoßen in die dynamische Stromtariflücke. Tarife bieten unter anderem die Ökostromanbieter "Lichtblick", "rabot.charge" aus Hamburg oder auch "aWATTar" aus Österreich. Alle verlangen in der Regel eine Grundgebühr plus Netzentgelte und Abgaben sowie eine Art Erfolgsbeteiligung pro Kilowattstunde Strom. Am bekanntesten dürfte derzeit jedoch der Anbieter "Tibber" sein, der aktuelle Platzhirsch in Sachen dynamischer Stromtarife.

Das norwegische Start-up unterscheidet sich von der Konkurrenz insofern, als zwar auch hier eine monatliche Grundgebühr von 4,50 Euro anfällt, am Strompreis selbst, sagt Merlin Lauenburg, der Geschäftsführer in Deutschland, verdiene Tibber nichts: "Wir reichen diese Stromkosten, so wie sie an der Strombörse entstehen, eins zu eins an Kundinnen und Kunden weiter und berechnen einen zusätzlichen Aufschlag für die Steuern und Abgaben, die natürlich abgeführt werden müssen." Die eigentlichen Geschäftsfelder des Ökostromanbieters liegen woanders. "Tibber" verdient sein Geld mit dem Verkauf smarter Haushaltsgeräte und über Netzgeschäfte in Skandinavien.

Ein Vorteil bei den variablen Tarifen, sagt Stromberater Norbert Endres von der VZ Bayern, sind die Vertragslaufzeiten: "Kündigungsfristen sind vergleichsweise kurz, im Vergleich. Und damit kann man eben nach Beendigung des Vertrags auch problemlos wieder in den normalen Tarif zurück."

Für wen lohnt es sich besonders

Privatkunden müssen auch bei dynamischen Stromtarifen natürlich weiterhin Steuern, die Abgaben, Umlagen, Netzentgelte und so weiter entrichten. Die Preisschwankungen am Strommarkt müssen die Verbraucher also außerhalb dieser Sockelpreise für sich nutzen. Deshalb ist auch nicht sofort für jeden der Wechsel hin zu einem börsenorientierten, variablen Preis zu empfehlen. "Die Kunden der ersten Stunde sind welche mit Wärmepumpe, mit Elektroauto für die heimische Ladung und unter Umständen mit Nachtspeicherheizung", sagt Strom- und Energieberater Norbert Endres, "die haben einen Verbrauch, der hoch genug ist, und auch deswegen ein großes Potenzial für Einsparungen."

Risiko: An der Börse schwanken die Preise

"Tibber"-Kunde Andreas Müller aus Herrsching spart, nach eigenen Angaben, derzeit etwa 15 Euro im Monat, im Vergleich zu herkömmlichen Stromtarifen. Er weiß aber, das Pendel kann, wie im August 2022, auch in die andere Richtung ausschlagen: "Da konnte man tatsächlich sehen, dass der Strom in Spitzenzeiten fast 70 Cent gekostet hat, die Kilowattstunde. Da war es sehr wichtig, den günstigsten Preis pro Tag irgendwie auszunutzen, um hier nicht allzu hohe Preise zu bezahlen."

Wie groß ist der Reiz des Stromsparens?

Ob die Einführung dynamischer Stromtarife in den nächsten Jahren ein Erfolg wird, hängt maßgeblich von den Verbrauchern ab. Schließlich erfordert der Umgang damit ein gewisses Maß an Engagement. Die komplexen Tarifstrukturen und schwankenden Preise sind für viele Verbraucher noch abschreckend. Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) fühlte sich bei dynamischen Stromtarifen nur jeder zehnte Haushalt in Deutschland sehr gut oder eher gut informiert. Fast die Hälfte (48 Prozent) schloss die Nutzung eines dynamischen Stromtarifs aus.

Benjamin Spannbauer von "Octopus Energy", einem nachhaltigen Stromanbieter, der mit der Einführung dynamischer Stromtarife bereits in Großbritannien weitreichende Erfahrung machen konnte, sieht die Herausforderungen pragmatisch: "Viele Menschen wollen einen Beitrag leisten. Das dürfen wir nicht unterschätzen. Und wenn sie im Supermarkt Spaghetti kaufen, weil sie im Angebot sind, warum sollten sie dann nicht auch ihre Waschmaschine eine Stunde später laufen lassen, um auch hier zu sparen?"

Andreas Müller, der in seinem smarten Haushalt im oberbayerischen Herrsching die dynamischen Stromtarife bereits ausgiebig nutzt, ist jedenfalls begeistert: "Die Möglichkeit, in Echtzeit zu sehen, wann ist der Preis niedrig, wann ist der Preis hoch - und mich danach zu richten in meinem Verbraucherverhalten: Das spart erheblich Geld auf der einen Seite und ist auf der anderen Seite auch ein gutes Gefühl."

Mann an Stromzählern
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Mann an Stromzählern

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