Atomkraftwerk Grohnde und Windräder 2020
Bildrechte: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Die Strommarktreform der EU soll sowohl Atomkraft, als auch Windenergie fördern.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Neuer EU-Strommarkt: Was die Reform Verbrauchern bringen soll

Die Energieminister der EU haben sich diese Woche auf eine Reform des Strommarktes in Europa geeinigt. Die Chancen für Verbraucher, die Risiken für den Staat und die zu erwartenden Folgen für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern – ein FAQ.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat in Europa eine Energiekrise verursacht. Die Europäische Union will daraus Lehren ziehen und reformiert ihren Strommarkt. Als Ziel gilt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher künftig besser vor Preisschwankungen geschützt sind und von den günstigen Erzeugungskosten nicht-fossiler Energien profitieren können.

Wie will die EU starke Ausschläge beim Strompreis verhindern?

Ein möglichst großer Anteil des Stroms soll künftig nicht mehr zum schwankenden Börsenpreis gehandelt werden, sondern in Form von langfristigen Verträgen zwischen Stromproduzenten und -abnehmern, sogenannten Power Purchase Agreements (PPAs). Dabei wird der Preis des Stroms über längere Zeit festgeschrieben. Solche Stromabnahmeverträge gibt es schon jetzt, zum Beispiel zwischen Industrieunternehmen und Windparkbetreibern oder zwischen Stromversorgern und Solarparks. Die Marktbedingungen für solche Arrangements sollen besser werden, nach dem Willen der EU-Energieministerinnen und -minister sollen die Mitgliedsstaaten Hemmnisse beseitigen und die Stromlieferverträge mit Garantien hinterlegen.

Darüber hinaus werden Stromversorger generell verpflichtet, sich gegen Schwankungen an den Strombörsen abzusichern, so dass sie ihre Lieferverpflichtungen stets erfüllen können.

Wird der Strom durch die EU-Reform auch billiger?

Auch das ist ein Ziel. Zwar bleibt die prinzipielle Funktionsweise des Strommarktes nach der sogenannten Merit-Order unangetastet. Diese besagt: An der Strombörse bestimmt jeweils das teuerste Kraftwerk, das zu diesem Zeitpunkt laufen muss, den Preis für die gesamte Strommenge. Das sind bisher oft Gaskraftwerke, deren Erzeugungskosten vom Erdgaspreis abhängen.

Welches neue Instrument soll den Strompreis drücken?

Mit einer Zusatzregel will die EU erreichen, dass die Verbraucher von den günstigeren Preisen des Stroms aus Photovoltaik, Wind und auch Atomkraft profitieren. Die bisher übliche Einspeisevergütung für nicht-fossile Kraftwerke soll durch sogenannte "Contracts for Difference" (CfDs) ersetzt werden.

Das bedeutet: Betreiber bekommen einen immer gleichen Garantie-Preis pro Kilowattstunde. Wenn der Marktpreis an der Strombörse niedriger ist, subventioniert der Staat den Strom. Wenn der Börsenstrompreis jedoch hoch ist, bekommt der Kraftwerksbetreiber (anders als bisher) ebenfalls nur seine garantierte Vergütung – darüber hinaus gehende Einkünfte gehen an den Staat. Der kann dieses Geld dann dafür einsetzen, den Strompreis zu dämpfen. Ad hoc erhobene Übergewinnsteuern sollen dadurch überflüssig werden. Die CfDs sollen dafür sorgen, dass schnell nicht-fossile Kraftwerke gebaut werden und somit das Stromangebot steigt – was den Preis ebenfalls drücken könnte.

Gibt es weitere Vorteile für Verbraucher?

Für Haushalte, mittelständische Unternehmen und öffentliche Einrichtungen soll es leichter werden, selbst erzeugten Ökostrom direkt mit anderen zu teilen – also zum Beispiel mit einer großen Photovoltaik auf einer Lagerhalle auch das Wohnviertel nebenan zu versorgen. Die EU-Energieminister wollen ein Recht auf dieses sogenannte Energy Sharing einführen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten müssen dann dafür konkrete Regeln einführen. Das heißt allerdings ausdrücklich nicht, dass auf diesen geteilten Strom keine Steuern, Abgaben und Netzentgelte erhoben würden.

Stromanbieter müssen ihrer Kundschaft künftig die Wahl geben, ob sie einen Vertrag mit festem Strompreis pro Kilowattstunde abschließen wollen – oder mit schwankenden Preisen je nach aktueller Marktsituation. Letzteres kann künftig vor allem für Haushalte mit Elektroautos oder Wärmepumpen interessant sein, die ihren Verbrauch in Zeiten mit billigeren Preisen "verschieben" können. Bei "schutzbedürftigen" Kunden soll es für Versorger künftig schwerer werden, den Strom abzudrehen.

Gibt es auch Nachteile der geplanten Reform?

Wenn der Staat mit den "Contracts for Difference" den Betreibern klimafreundlicher Kraftwerke einen bestimmten Preis garantiert, geht er ein Risiko ein. Gerade wenn der Ausbau erneuerbarer Energien sehr erfolgreich ist, kann das den Börsenstrompreis irgendwann in vielen Stunden des Jahres auf ein niedriges Niveau drücken. Dann kann es für den Staat teuer werden.

In der Ampelkoalition gibt es bereits wieder Ärger: Während Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen der EU-Energiemarktreform zugestimmt hat, kritisiert der FDP-Energiepolitiker Michael Kruse, die EU folge hier einem "zentralistischen und staatsfixierten Kurs".

Was war der Knackpunkt zwischen den EU-Staaten?

Besonders umstritten war die Frage, wie Frankreich künftig mit dem Strom aus seinen Atomkraftwerken umgeht. Zwar ist schon länger klar, dass die EU neue Kernkraftwerke als förderwürdig anerkennt. Auch für sie können "Contracts for Difference" abgeschlossen werden, mit denen EU-Staaten die Atomkraft unterstützen.

Frankreich wollte jedoch dieses Instrument auch unbegrenzt auf seine alten Atommeiler anwenden. Mit dem Ziel, ohne EU-Beihilfeprüfung verbilligten Strom an alle Verbraucher abzugeben. Deutschland und andere EU-Staaten fürchteten dadurch eine Wettbewerbsverzerrung: indem Frankreich bei seinem staatlichen Stromversorger EDF Gewinne abschöpft und an die Industrie im Land verteilt. Das wäre für andere EU-Staaten, die ihre Energieversorgung marktwirtschaftlicher organisiert haben, so nicht möglich. Denn private Energieunternehmen würden nicht einfach auf Gewinn verzichten.

Wie haben sie sich geeinigt?

Der Kompromiss sieht jetzt so aus: Frankreich darf CfDs auch für den Strom alter Kernkraftwerke anwenden – allerdings unter mehreren Bedingungen: In die Kraftwerke müssen auch erhebliche Neuinvestitionen fließen, der Preis darf nicht unter den Selbstkosten liegen und die EU-Kommission prüft, ob dieser billige Strom den EU-Binnenmarkt verzerrt.

Wann tritt die EU-Strommarktreform in Kraft?

Erst einmal muss sie überhaupt vollständig verabschiedet werden. Nachdem jetzt der Rat der Energieminister seine Position festgelegt hat, geht er in die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament. Die spanische EU-Präsidentschaft will die Reform bis Ende dieses Jahres unter Dach und Fach haben. Spätestens im nächsten Frühjahr muss sie jedoch ohnehin fertig werden – denn die Amtszeit von EU-Parlament und Kommission endet: im Juni 2024 ist Europawahl. Einen Teil der Regeln muss Deutschland anschließend noch in nationales Recht umsetzen.

Dieser Artikel ist erstmals am 21. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!