Gerd Schönfelder aus der Gemeinde Kulmain im Landkreis Tirschenreuth ist der erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Winter-Paralympics.
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Gerd Schönfelder aus der Gemeinde Kulmain im Landkreis Tirschenreuth ist der erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Winter-Paralympics.

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Paralympics: Vom Nischendasein zum Spitzensport

Mehr Athleten, mehr Show, mehr Disziplinen: Die Bedeutung der Paralympics hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Zwei Paralympics-Teilnehmer aus Bayern blicken in der Geschichte zurück – und sportlich nach vorn.

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Die Paralympics sind immer weiter gewachsen. Inzwischen sind sie fast schon so groß wie die olympischen Spiele. In Tokio bei den vergangenen Sommer-Paralympics waren zuletzt rund 4.300 Sportlerinnen und Sportler am Start. 1972 waren es gerade mal 984.

Josia Topf aus Erlangen, der neue Schwimm-Stern am paralympischen Himmel, betrachtet die Bilder der Paralympics von 1972. "Ich fand es unglaublich zu sehen, wie das 1972 war. Auch wie die Tischtennis gespielt haben mit den Nummern oben drauf." Auch über die Rollstühle staunt er. "Solche Rollis gibt es jetzt noch im Krankenhaus oder am Flughafen, also schmunzeln musste ich, mit welchen Dingern die damals unterwegs waren", sagt der Paralympicsteilnehmer von Tokio 2021.

Gerd Schönfelder aus der Gemeinde Kulmain im Landkreis Tirschenreuth ist der erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Winter-Paralympics. Von 1992 bis 2010 gewann der heute 51-Jährige insgesamt 22 Medaillen. "Der große Durchbruch, das waren die Sommerparalympics in London", sagt der frühere Ski-Rennfahrer. "Man hat gesehen, dass man mit Athleten, die eine körperliche Beeinträchtigung haben, auch Werbung machen kann. Früher war das eher so: 'Wir unterstützen Euch gerne, aber wir erwarten gar keine Gegenleistung'. War eher eine Spende, 'aber nicht darüber reden, sonst wollen die anderen auch noch was'".

Behindertensport ist mittlerweile Spitzensport

Wer Medaillen erringen will, muss wie ein Profi trainieren und leben. Topathleten bekommen von der Sporthilfe finanzielle Unterstützung. Dazu werden duale Karrieren, Stipendien oder Sportförderstellen wie etwa beim Zoll angeboten. Bei Josia Topf steuern die Eltern noch zusätzlich etwas bei. Der 19-Jährige studiert Jura im ersten Semester. Denn von seinem Sport allein kann der junge Schwimmer nicht leben. Werbepartner und Sponsoren zu finden, ist auch nicht gerade einfach.

"Es geht eigentlich nur über Vitamin B. Man braucht jemanden, der dann jemanden kennt, der sagt, wir hätten hier jemanden an der Hand, wie wäre es wenn ihr den unterstützt", erklärt Topf. Ansonsten habe man keine Chance. "Es ist jetzt nicht so, wenn man was gewonnen hat oder bei der IDM dabei war und unter die besten fünf kommt, dass jemand auf dich zu kommt: 'Du hast eine Persönlichkeit, du bist ein cooler Typ, deine Ausstrahlung passt, bumm – wir nehmen dich!'. Ne, so läuft es leider nicht." IDM sind die Internationalen Deutschen Meisterschaften.

Statt Medaillen-Prämien: "Am Anfang gab es mal ein Ski-Brillenglas"

Seit acht Jahren sind Behindertensportler in Bezug auf die Prämien bei Medaillen gleichgestellt. Für eine Goldene beispielsweise gibt es jetzt 20.000 Euro. Davon konnte Gerd Schönfelder während seiner aktiven Karriere noch nicht profitieren. "Am Anfang gab es gar nichts", erinnert sich Schönfelder. "Da haben wir uns gefreut, wenn wir ein Brillenglas für die Skibrille geschenkt bekommen haben. Das war etwas Besonderes."

Schönfelder investierte viel an privatem Geld, weil er seinen Traum verwirklichen wollte. "Ich kann mich an meine frühesten Anfänge erinnern, als ich die anderen Athleten gesehen habe, die schon länger dabei waren und habe dann so gefragt, wie ich an Ski herankomme und dann hat es geheißen, damals von Michael Hipp, das weiß ich noch wie heute, da bin ich mit ihm Lift gefahren: 'Jetzt musst erstmal was gewinnen und wennst was gewonnen hast, dann bekommst vielleicht auch mal Ski.' Da habe ich mir gedacht: Genauso mache ich es!", erzählt Schönfelder und lacht.

Erfolg macht interessant. Es erscheinen Artikel in Zeitschriften und Boulevardmagazinen. Gerd Schönfelder avanciert zum Star und davon profitiert er bis heute, wie er sagt: "Natürlich hat das schon einen großen Einfluss auf meine berufliche Situation jetzt. Ich halte Vorträge, Motivationsvorträge und werde immer wieder mal eingeladen. Also ohne meine Erfolge im Sport wäre das nicht der Fall, dass so großes Interesse bestehen würde."

Startklassen und Punktesystem: Kritik an Einteilungssystem

So bekannt zu werden, darauf arbeitet auch Josia Topf Tag für Tag hin. Doch dem jungen Schwimmer steht für den großen Erfolg die Klassifizierung im Weg. Ein hochkomplexes Punktesystem, das die verschiedenen Behinderungen einstufen und in den Leistungen vergleichbar machen soll. Bei Josia Topf ist der Streitpunkt seine Hüfte und die Frage, inwieweit er sie einsetzen kann. Ein Thema, das emotional aufgeladen ist.

"Diese Leute haben einfach komplett in der Hand, wie dein Sportlerleben aussieht", kritisiert Topf. "Sie können entscheiden, ob du mit dem Sport aufhören musst, weil du in der falschen Startklasse bist, oder ob du auf einmal der nächste paralympische Sieger bist. Es ist wie würfeln gefühlt als Athlet." Es sei nicht einfach, jemandem so ausgesetzt zu sein. "Das ist unglaublich, weil, wenn du in der falschen Startklasse bist, kannst du machen, was du willst. Du wirst einfach nicht zu den Paralympics kommen oder zur EM oder WM. Du kannst dich totarbeiten. Du wirst es nicht hinkriegen", sagt Topf.

Auch bei Paralympics geht es inzwischen um viel Geld

Womöglich kann Behindertensport daher nie wirklich gerecht sein. Denn dafür geht es mittlerweile auch um zu viel Geld. "Und es gibt auch Länder, die dann ihre körperlich eingeschränkten Leute noch einmal operieren, damit sie noch weniger haben, um noch mal in eine andere Startklasse zu kommen. Also das ist viel anders oder komplett anders aufgebaut als bei uns. Und natürlich zerstört es in gewisser Weise den paralympischen Gedanken", sagt Josia Topf.

Es sind die Schattenseiten. Wie beim olympischen Sport zählen bei den Paralympics eben auch nur Erfolge und Medaillen. Dafür wird vieles in Kauf genommen. Und dennoch: Die Paralympics sind und bleiben das große Aushängeschild des Behindertensports.

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