Das Internet würde Meinungsfreiheit nach China bringen, prophezeite der ehemalige US-Präsident Bill Clinton im Jahr 2000: Er wünschte der chinesischen Regierung augenzwinkernd "viel Glück" dabei, die Redefreiheit im Netz zu kontrollieren. Das funktioniere ähnlich gut, wie Wackelpudding an die Wand zu nageln.
Der Online-Bürger wird plötzlich unbequem
Tatsächlich verbreiten sich auf Plattformen wie "Renren", "Weibo" und "Youku" erst einmal Inhalte, die zuvor nie eine so große Öffentlichkeit erreicht hätten: 2011 generiert beispielsweise der Crash zweier Highspeed-Züge in Wenzhou tausende Kommentare, der Staat kommt mit dem Löschen nicht mehr hinterher. Später wird der Smog in Peking zum Thema im ganzen Land, man amüsiert sich sogar über Xi Jinpings vermeintliche Ähnlichkeit mit der Comicfigur Winnie Puuh.
🎧 "Wild Wild Web"-Podcast: Einer der Baumeister der großen Firewall packt aus: Ein junger Chinese, der als Programmierer beim Militär an der Entwicklung der heute stehenden großen Firewall mitgewirkt hat, will sie nun zum Einsturz bringen – und erzählt davon: in der aktuellen Doppelfolge des BR-Podcasts "Wild Wild Web".
Regierungskampagnen und zunehmende Zensur
Spätestens in den 2010er-Jahren reagiert die Regierung auf diese aufkeimende Meme- und Protestkultur in China: Zuerst mit Jingjing und Chacha, zwei fast niedlich anmutenden Cartoon-Polizisten, die eine ernste Botschaft verbreiten sollen: Die Polizei sieht euch, sagen sie – auch hier, im Internet. Und sie sieht, dass Begriffe wie "Demokratie", "Aufklärung" und "Hoffnung" unter chinesischen Internetnutzern die Runde machen.
Viele digitale Bausteine in der großen Firewall
Heute, nur ein paar Jahre später, wüssten "die meisten Menschen in China nicht einmal, dass sie hinter einer Mauer leben", beschreibt es eine chinesische Auswanderin, die anonym bleiben möchte. Die große chinesische Firewall besteht aus vielen einzelnen Programmen, die IP-Adressen blockieren, Nachrichtenkanäle überwachen und sogar Tanzvideos auf kritische Inhalte durchforsten.
Löschung oft in Sekundenschnelle
Begriffe wie "Regenschirm" oder "Tian'anmen", sogar einzelne Zahlen wie vier und sechs – die zusammen das Datum des Tian’anmen-Massakers am 04.06.1989 ergeben – verschwinden in Sekundenschnelle von Plattformen wie Weibo, manchmal ersetzen dann einfach nur Klammern den gelöschten Begriff. Mit den Worten, so scheint es, verschwindet allmählich auch der Protest.
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