Eine junge Frau steht bei einer Gedenkveranstaltung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern vor der Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob an der Außenfassade, vor der hunderte Kerzen angezündet wurden.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Matthias Balk

Eine junge Frau steht bei einer Gedenkveranstaltung der Israelitischen Kultusgemeinde München am 12. Oktober 2023

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Wie Angehörige hier mit dem Krieg in Israel und Gaza umgehen

Für Juden weltweit ist der Glaube an eine sichere Heimstätte in Israel brüchig geworden. Zugleich leiden Zivilisten auf palästinensischer Seite - unter dem Hamas-Terror und den Bomben im Gaza-Streifen. Wie gehen Angehörige in Bayern damit um?

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Am Samstagmorgen vor einer Woche ahnt Nelly noch nicht, was für eine Katastrophe in den nächsten Stunden geschehen wird. Ihre Eltern besuchen gerade ihren Bruder in Israel, der dort lebt. Nelly wohnt in München. "Ich bin aufgewacht und im Familienchat auf WhatsApp, mit meinen Eltern, meinen Brüdern und mir, hat meine Mutter geschrieben: Krieg in Israel."

Nelly ist 31. Nach dem Abitur war sie sechs Jahre in Israel. Sie denkt auf Deutsch und träumt auf Hebräisch, sagt sie. Eigentlich organisiert sie von München aus Delegationsreisen nach Israel für deutsche Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler. Sie hat viele Kontakte. Immer mehr Menschen schreiben ihr, etwa um einen Kontakt zur Botschaft zu bekommen, weil jemand die Leiche seiner auf dem Musikfestival ermordeten Schwester nach Deutschland bringen möchte.

Nelly ist in vielen WhatsApp-Gruppen, ständig blinkt ihr Handy. Sie redet mit Angehörigen und Freunden von Geiseln, spricht mit Medien, damit ihre Geschichten gehört werden. Sie will Druck ausüben, auch auf deutsche Organisationen und Behörden. Sie sollen sich stärker für die Freilassung der Entführten einsetzen. "Es ist ein noch nie dagewesenes Massaker, was da angerichtet wurde." So etwas hätte man sich im schlimmsten Albtraum nicht vorstellen können.

Sicher fühlt sie sich in München nicht

Ihre Eltern und ihren Bruder überzeugt sie, nach Deutschland zu fliegen. Ihr Bruder ist nicht in der Armee. Von hier aus können sie besser helfen, glauben sie. Jetzt ist die Familie in München vereint.

Sicher fühlt sich Nelly in diesen Tagen in München nicht. Sie habe gezögert, ihre Kinder in den jüdischen Kindergarten zu schicken, erzählt sie. Es habe Risikowarnungen gegeben, dass jüdische Einrichtungen auch hierzulande Zielscheibe von Islamisten und Hamas-Sympathisanten werden könnten. "Dass ich mir heute im Jahr 2023 in München überlegen muss, ob ich meine Kinder in eine jüdische Einrichtung schicken kann oder nicht. Da sollten Tausende, wenn nicht Millionen auf der Straße stehen und sagen: Du brauchst keine Angst zu haben. Wir stehen an deiner Seite, stehen hinter dir. Du kannst deine Kinder in den Kindergarten schicken."

Zur Solidaritätsdemonstration für Israel am vergangenen Montag in der Münchner Innenstadt ging Nelly nicht. "Ich hatte Angst, auf dem Odeonsplatz zu stehen und mich mit Israel zu solidarisieren, weil ich wusste, dass ein paar Meter weiter, auf dem Marienplatz eine Solidaritätskundgebung mit den Palästinensern passiert. Und ich hatte Angst, nicht nur auf dem Platz, wenn Polizei da ist, sondern dass mich jemand verfolgt und dass ich danach Angriffsziel werde."

So schnell kriege sie hier aber niemand weg, sagt sie. "Ich bin hier zu Hause. Die einzigen, die von hier weg müssen, sind Islamisten, Salafisten und alle, die sich mit dem Terror solidarisieren." Es liege an Deutschland, klarzumachen, dass so etwas hier nicht toleriert werde. Und trotzdem, so absurd es sich auch anhöre: Wenn es hart auf hart komme, fühle sie sich in Israel als Jüdin sicherer.

Angst, Sorgen und Gebete

Verunsichert ist auch Eliza Weber, 39. Ihre Eltern und sie seien in den 90er Jahren aus er ehemaligen Sowjetunion als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen. Andere aus der erweiterten Familie zogen nach Israel. Und noch ein anderer Teil der Familie lebt in Odessa. Eliza fühlte sich in den vergangenen Tagen an den Februar 2022 erinnert, als Russland die Ukraine überfallen hat. "Das ist es, das Déjà-vu. Man ist in München ganz sicher, ruft die Familie an und die erzählen dir mit einer Selbstverständlichkeit: Wir müssen jetzt aufhören, weil die Sirene jetzt kommt. Und wir müssen jetzt mal in die Schutzräume."

Mit ihrer Tochter habe Weber damals ihren Verwandten in der Ukraine immer wieder Pakete geschickt, mit Süßigkeiten und Stromgeneratoren. Ihre Tochter habe sie jetzt gefragt: "Mama, werden wir wieder Pakete schicken?" Da habe sie geantwortet: "Leider nicht mehr. Unsere Pakete werden nicht so einfach ankommen wie in der Ukraine." Jetzt könne man einfach nur noch beten.  

Weber möchte nicht, dass man sie bemitleidet. "Wir sind keine Opfer", sagt sie. Von der deutschen Bevölkerung wünscht sie sich, dass sie nicht wegschaut und zwar nicht nur bei der Gewalt in Israel, sondern auch, wenn jüdische Menschen hier in Deutschland bedroht werden.

Halabi leitet Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern

Auch Slieman Halabi hat sich um seine Familie gesorgt, als Hamas-Terroristen in Israel ihr Blutbad angerichtet haben. Als Erstes habe er mit seiner Mutter und seinen Brüdern telefoniert und gefragt, ob alles ok sei. Die von der Hamas abgefeuerten Raketen würden keinen Unterschied machen: Sie träfen nicht nur jüdische Israelis, sondern auch jene der arabischen Minderheit – so wie Halabi und seine Familie.

Halabi ist in Israel aufgewachsen. Seine Eltern leben im Norden, sie sind aktuell nicht vom Hamas-Terror betroffen.  Er sagt, er sei "total schockiert" gewesen.

"Das konnte ich nie glauben, dass solche Sachen in Israel passieren." Vor neun Jahren kam Halabi nach Deutschland. Er ist 35, hat in Sozialpsychologie promoviert und forscht zu Gruppen-Konflikten, auch in Nahost. Und er bringt regelmäßig Israelis und Palästinenser online zu Konfliktgesprächen zusammen, zufällig und ausgerechnet auch am zweiten Tag der Hamas-Angriffe. "Manche haben geweint. Wir haben Leute zum Beispiel aus Gaza, die Familie dort haben. Die sind wirklich besorgt. Wir haben auch Israelis, die Familien im Süden haben. Der andere Moderator, mit dem ich arbeite, hat auch Freunde, die getötet wurden. Also, das war wirklich schrecklich." Trotzdem finde er es toll, dass Menschen zu seinem Gespräch gekommen seien und trotz allem versucht hätten, mit der anderen Seite zu reden.

Der Sozialpsychologe sagt, es sterben Unschuldige auf beiden Seiten. Hamas-Terroristen haben auch Israelis getötet, die der arabischen Minderheit angehören. In Gaza droht nun eine humanitäre Katastrophe, unter der unzählige Zivilisten leiden. "Ich habe viel Empathie für die Unschuldigen auf beiden Seiten. Für mich spielt es dabei keine Rolle, Araber zu sein. Es gibt Palästinenser, die Opfer sind. Die sind nicht alle Hamas. Für mich heißt diese arabische, israelische Perspektive: Ich sehe alle Seiten, es gibt so viel Leid auf allen Seiten."

Polarisierte Debatte

Halabi selbst ist sehr vorsichtig. Er möchte nichts sagen, was ihn in Schwierigkeiten bringen könnte. Die Debatte in Deutschland sei sehr polarisiert. Er will nicht zwischen die Fronten geraten. "Wenn man Empathie zu Israelis äußert, da sind die Palästinenser gegen dich und denken, du bist nicht wirklich loyal. Und wenn du Empathie für die Palästinenser hast, dann haben die Israelis den Verdacht, dass du auf der anderen Seite bist. Und das finde ich wirklich schlimm. "

Ähnliches ist auch vom bayerischen Landesverband des Zentralrats der Muslime zu hören. Auf Anfrage teilte auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Mohamed Abu El-Qomsan, vergangene Woche mit, Palästinenser aus seinem Bekanntenkreis wollten nicht in der Öffentlichkeit auftreten - die Atmosphäre in Deutschland mache ihnen viel Angst.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Newsletter abonnieren

Sie interessieren sich für Religion, Glaube, Spiritualität oder ethische Fragen? Dann abonnieren Sie den Newsletter der Fachredaktion Religion und Orientierung.