Seit den Ostermärschen im vergangenen Jahr wird darüber diskutiert, ob die Friedensbewegung von der politischen Rechten unterwandert werden.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Sebastian Gollnow

Seit den Ostermärschen im vergangenen Jahr wird darüber diskutiert, ob die Friedensbewegung von der politischen Rechten unterwandert werden.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Von rechts unterwandert? Ostermärsche wieder in der Kritik

Seit den 60er Jahren demonstrieren in Deutschland alljährlich Friedensaktivisten auf Ostermärschen. Angesichts herrschender Kriege wird der Bewegung aber der Vorwurf der Naivität gemacht – und gar, von Rechtsextremisten unterwandert zu sein.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Sonntagvormittag am .

"Bomben donnern – denkst Du dir nichts dabei? Menschen müssen langsam sterben – ist es Dir einerlei?" So sangen Friedensaktivisten einst in den 1960ern auf den ersten Ostermärschen, die durch Deutschland zogen, nach dem Vorbild britischer Demonstranten gegen die atomare Aufrüstung und die Etablierung der Atomindustrie als Energiequelle.

Doch warum gerade an Ostern? "Es gab viele Friedensinitiativen aus dem kirchlichen Raum. Ich denke, es hat auch etwas damit zu tun, dass Ostern ein Fest der Hoffnung ist und damit auch ein Ja zum Leben damit verbunden ist", sagt Michael Vilsmeier vom Münchner Friedensbündnis, das den Marsch für den Frieden in der Landeshauptstadt veranstaltet.

Ostermärsche 2023: Teils Vorwurf der Offenheit zum rechten Rand

Im vergangenen Jahr wurden jedoch ganz andere Stimmen laut, von denen sich viele Menschen aus der ursprünglichen Friedensbewegung distanziert haben – "weil sich Teilnehmer solidarisch mit Russland zeigen", hieß es im entsprechenden "Tagesschau"-Bericht zu den Ostermärschen in Berlin. Man könne Russland nicht allein die Schuld für diesen Krieg in die Schuhe schieben, hieß es vonseiten Demonstrierender. "Hier sind auch Querdenker, Corona-Leugner bis hin zum rechtsextremen Spektrum", hieße es in dem "Tagesschau"-Bericht.

Ähnlich war es in Bayern: "Die Friedensbewegung rückt nach rechts" titelte die "Süddeutsche Zeitung". In München wurden 2023 Osterdemonstrationen von Gruppen organisiert, denen Verbindungen zur Querdenkerszene und eine Offenheit zum rechten Rand vorgeworfen wird. Das Münchner Friedensbündnis grenzt sich klar davon ab, öffentliche Demonstrationen bringen jedoch immer die Gefahr mit sich, von Einzelnen oder Gruppen unterwandert zu werden. "Das Risiko, dass man missverstanden wird, ist immer da, vor allem, wenn man in einer Gruppe agiert", sagt der Theologe und Friedenswissenschaftler Egon Spiegel.

Aktuelle Kriege: Verhandlungen, Feuerpause, Waffenstillstand

Das war schon so zu den Zeiten von Martin Luther King und den antirassistischen Protesten in den USA in den 1960er-Jahren. "Wenn man in die Bürgerrechtsbewegung nach Amerika geht, gab es schon das Problem, dass aus Demonstrationen heraus Menschen Steine geworfen haben", sagt Spiegel. "Dort war dann die klare Anweisung, in dem Moment sich hinzulegen, sodass derjenige, der Steine wirft, auch sichtbar wird, dazu stehen muss, sich nicht verstecken kann hinter den anderen."

Eine Möglichkeit, Extremisten auszugrenzen und die Demonstration friedlich zu halten. Das Münchner Friedensbündnis hat solche Maßnahmen bislang nicht nötig. In diesem Jahr liegt der Fokus der Ostermärsche nach wie vor auf dem Krieg in der Ukraine und jetzt zusätzlich auf dem Nahost-Konflikt, sagt Heinz Michael Vilsmeier: "Es geht vor allem darum, dass wir für den Beginn von Verhandlungen, für eine Feuerpause, für einen Waffenstillstand eintreten."

Doch wer das fordere, der werde oft missverstanden: Mit Waffenstillstand sei keineswegs gemeint, dass man etwa der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung abspreche oder sie zur Kapitulation auffordere. Vorwürfe, die immer wieder gegen Friedensbewegte erhoben werden. Vilsmeier sieht eine Verengung des öffentlichen Diskurses und eine starke Fokussierung auf rein militärische Lösungen. "Deswegen ist es beinahe schon anrüchig, dass man von Verhandlungen spricht. Das ist eigentlich in einer Zivilgesellschaft, die nicht darauf basiert, dass man die Dinge mit Gewalt löst, ein sehr bedenklicher Vorgang", meint Vilsmeier.

"Wir müssen friedenstüchtig werden!"

Die Friedensbewegung habe jedenfalls mehr anzubieten als die weiße Fahne zu hissen oder die andere Wange hinzuhalten, sagt auch der Theologe Egon Spiegel: "Wer Pazifisten als naiv bezeichnet, der macht es sich relativ einfach. Es ist so, dass wir alle vor komplexen Problemen stehen, und der pazifistische Blick ist ein anderer, aber er basiert auf Jahrtausenden von Erfahrungen im Umgang mit Konflikten."

So sieht es auch der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Friedrich Kramer. "Wie naiv ist es, auf Waffengewalt als Beendigung eines solchen Krieges zu setzen?", sagt der Theologe. Die Friedensbewegung sei nicht gespalten, aber rechte Parteien übernähmen die Losungen der Friedensbewegung: "Weil man weiß, dass Leute damit positiv räsonieren, gerade im Osten." Das "ganze politische Spektrum" der Gesellschaft spiegele sich auch in der Friedensbewegung wider. Der Appell des EKD-Friedensbeauftragten lautet: "Wir müssen friedenstüchtig werden!"

Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.